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György Matolcsy: Die Zukunft unserer Region besteht darin, die Region der Zukunft zu sein

Die Magyar Nemzet ist die größte Tageszeitung Ungarns. Die 1938 gegründete Magyar Nemzet (dt. Ungarische Nation) ist eine führende Zeitung der Konservativen und steht der Regierung von Viktor Orbán nahe.

Lesezeit: 5 Minuten

Dieser Artikel ist am 18.Oktober 2021 in der Magyar Nemzet erschienen.

Historisch und geografisch gesehen besteht unsere Region aus zehn EU-Mitgliedstaaten in Mittelosteuropa: die drei baltischen Staaten, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Kroatien und Rumänien. Die Geschichte der letzten tausend Jahre, das „östliche imperiale Abenteuer“ von 1945-1990, die letzten dreißig Jahre – gekennzeichnet durch den Übergang zur Marktwirtschaft mit ihren Höhen und Tiefen, deren Ergebnisse jedoch aus wirtschaftshistorischer Sicht unbestreitbar sind – und der Beitritt zur EU bilden die Grundlagen unserer gemeinsamen Zukunft. Historisch und geografisch gesehen ist unsere Region sogar noch größer und umfasst Österreich, Norditalien, Süddeutschland sowie den Balkan, aber diese zehn Länder Mittel- und Osteuropas sind diejenigen, die am engsten durch die Bindungen der Vergangenheit und die Chancen der Zukunft miteinander verbunden sind.

Heute ist klar, dass die Staaten dieser Region auch innerhalb der Europäischen Union die historischen Divergenzen zwischen ihnen und Westeuropa beibehalten haben, weshalb ihre Zukunft auch ganz anders aussehen könnte als die anderer Regionen der EU. Die baltischen Länder sind bereits ein integraler Bestandteil der skandinavischen Wirtschaft, während die Wirtschaft der V4-Länder mit der Wirtschaft Deutschlands, Norditaliens und Österreichs verflochten ist. Polen baut eine mittelstarke Wirtschaft auf, während sein unausgewogenes Wachstum Rumänien in die südliche Umlaufbahn der Eurozone führt.

Die drei baltischen Staaten im Norden und Rumänien im Süden werden durch die großen Zukunftstrends aus der Region gedrängt, während im Zentrum der Region die politische Allianz der V4-Länder den Keim für ein neues Europa bildet. Der Balkan als Ganzes tendiert nicht dazu, sich der Region anzunähern, aber Serbien ist eine große Ausnahme, so dass die serbische Wirtschaft die rumänische Wirtschaft auf diesem Schiff in die Zukunft ersetzen könnte.

Wohin steuert das Schiff?

Die Zukunft unserer Region besteht darin, die Region der europäischen Zukunft zu werden

Unsere Volkswirtschaften sind dynamischer als die der EU-Länder, die einen höheren Entwicklungsstand aufweisen. Das ist es, was uns der Übergang zur Marktwirtschaft und zur Demokratie gebracht hat – auch wenn er nicht ganz erfolgreich war, hat er schließlich Früchte getragen. Die ursprüngliche Quelle dieser Dynamik sind unsere motivierten und gut ausgebildeten Mitarbeiter. Ihre externen Quellen sind Importe von Spitzentechnologie, Kapital und Marktwissen sowie Transfers innerhalb der EU. Dieses Wachstum wird durch eine sehr hohe Erwerbsquote, eine sehr hohe Investitionsquote, eine Reindustrialisierungsoffensive, eine höhere Produktivität und einen neuen, auf eine höhere inländische Wertschöpfung ausgerichteten Dienstleistungssektor unterstützt.

All dies hat dazu geführt, dass die Länder unserer Region in den letzten 30 Jahren im Vergleich zum EU-Durchschnitt und sogar im Vergleich zu den hoch entwickelten Ländern Westeuropas einen beträchtlichen wirtschaftlichen Aufholprozess vollzogen haben. Ruchir Sharma, Stratege bei Morgan Stanley, stuft die Länder in die Kategorie der „entwickelten Länder“ auf der Grundlage eines jährlichen Pro-Kopf-Einkommens von 17.000 Dollar ein. Nach seinen Berechnungen sind seit dem Zweiten Weltkrieg nur 18 Länder in diese Kategorie aufgestiegen. Von diesen 18 Ländern sind sechs aus Mittel- und Osteuropa (die baltischen Staaten, die Tschechische Republik, die Slowakei und Slowenien), und die nächsten Länder, die sich anschließen könnten, sind wohl Polen und Ungarn. Von allen Neuankömmlingen in diesem Club der Industrieländer könnte also bald fast die Hälfte aus unserer Region stammen – ein Zeichen dafür, dass Mittel- und Osteuropa nicht nur in der EU, sondern weltweit einer der Wachstumsmotoren ist und zur größten regionalen Erfolgsgeschichte im Weltmaßstab werden könnte.

Der Aufholerfolg der Länder in der Region ist ein Gruppenaufholerfolg

Die größten wirtschaftlichen Erfolge der Welt nach 1945 beruhen auf einer goldenen Regel: Der Sprung nach vorn wird nicht von einem Land, sondern von einer Gruppe von Ländern gemacht. In den Jahren 1950-1973 stellt Japan eine Ausnahme von dieser Regel, die auf der US-Kriegspolitik in Asien aufbaut – man kann also sagen, dass Japan in der Lage war, eine Politik des Kalten Krieges, die aus den Reflexen des langen deutsch-amerikanischen Weltkrieges von 1914-1945 geerbt wurde, für seinen eigenen wirtschaftlichen Aufstieg zu nutzen. Bei allen anderen Beispielen handelt es sich um gebündelte Aufholprozesse: der Aufstieg der kleinen Tiger Ostasiens (Südkorea, Hongkong, Singapur und Taiwan), der Aufholprozess, der die südeuropäischen Länder (Portugal, Spanien, Italien und Griechenland) auf europäisches Niveau gebracht hat, sowie der Aufholprozess Irlands und der Sprung der chinesischen Megastädte. In diese Reihe wird sich unsere Region einreihen – wahrscheinlich noch vor Ende dieses Jahrzehnts.

Der Aufholprozess der Region basiert auf einem ausgewogenen und damit nachhaltigen Wachstum

Im Großen und Ganzen – wenn auch nicht in jedem Land und zu jeder Zeit – basiert der Aufholprozess unserer Region auf nachhaltigen Gleichgewichten, wobei die charakteristischen Ungleichgewichte in Rumänien die einzige Ausnahme darstellen. Dies gilt für die gesamte Region, mit Ausnahme von Rumänien während des gesamten Zeitraums und für Ungarn in den beiden Jahrzehnten vor 2010. Dies ist einer der Hauptunterschiede zum südeuropäischen Aufholmodell, das sich als zunehmend unhaltbar erweist. In unserer Region werden diejenigen, die mit dem Modell des gleichgewichtigen Aufholens brechen, in den Süden oder in ihre eigene Vergangenheit abdriften.

Der Motor des Aufholprozesses der Region ist die verarbeitende Industrie

Das Geheimnis der Weltwirtschaftsgeschichte der letzten 150 Jahre ist, dass derjenige die Entwicklung gewinnt, der eine verarbeitende Industrie entwickelt hat. Der große Gewinner sind die Vereinigten Staaten, die auch heute noch 25 % des weltweiten BIP auf sich vereinen. Die Grundlage für diesen Erfolg ist, dass die US-Industrieproduktion in den 1890er Jahren die britische, französische und deutsche Produktion einzeln überholte und dann die Produktion all dieser Länder zusammengenommen überholte, so dass sie schließlich 50 % der weltweiten Produktion der verarbeitenden Industrie erreichte.

Das Geheimnis des verarbeitenden Gewerbes besteht darin, dass es einen unverhältnismäßig hohen Bedarf an Investitionen sowie an Forschung und Entwicklung hat – Faktoren, hinter denen die Ansammlung von intellektuellem Kapital durch Bildung und Forschung steht. Diejenigen, die in der verarbeitenden Industrie erfolgreich sind, sind auch diejenigen, die den Kampf um die Anhäufung von materiellem und intellektuellem Kapital gewinnen – und umgekehrt.

Unsere Region ist offen für Initiativen und nicht durch Monopole aus der Vergangenheit gebunden

Zum Zeitpunkt der Wende wurden in allen Staaten der Region die aus der Vergangenheit überkommenen Wirtschaftsstrukturen abgeschafft und mit ihnen die alten Monopole. Die Gesellschaft und ihre wirtschaftlichen Akteure durchliefen einen beschleunigten Prozess der „schöpferischen Zerstörung“, in dem der Wandel permanent und unter starkem Anpassungsdruck stattfand. Westeuropa sah sich nach 1945 ähnlichen Zwängen ausgesetzt, während Japan, die kleineren asiatischen Tigerstaaten und China vor ähnlichen Herausforderungen und Chancen standen.

So ist unsere Region im Vergleich zu den fortgeschrittenen Ländern der EU offener für moderne Initiativen, Effizienzsteigerungen, Kreativität und Entdeckungen. Es gibt zwar Monopole, aber sie sind nicht alt, sondern neu: Die einst an einzelne Parteien gebundenen Interessennetze sind verschwunden, und die neuen befinden sich noch im Aufbau.

Die meisten Akteure in der Region setzen auf währungspolitische Unabhängigkeit

Die Hälfte der Länder der Region kann sich auf eine Politik der finanziellen Unabhängigkeit stützen, die der Grundstein für eine autonome Wirtschaftspolitik ist. Die finanzielle Unabhängigkeit ist im Kampf um die Zukunft von besonderer Bedeutung, da unabhängige Zentralbanken besser als die Eurozone in der Lage sind, gezielte Maßnahmen zur Akkumulation neuen Kapitals zu ergreifen, was für jeden notwendig ist, der in einem Bereich wettbewerbsfähig sein will, in dem die Kapitalintensität ein Schlüsselfaktor für den Erfolg ist.

Die Größe, Offenheit, Stabilität und Dynamik unserer Region machen sie für die wichtigsten Akteure der Weltwirtschaft attraktiv.

Neben dem Marktzugang, den die EU-Mitgliedschaft bietet, ist unsere Region mit ihren fast hundert Millionen Einwohnern bereits groß genug, um Großprojekte von globalen Investoren anzuziehen. Neben seiner geografischen Lage und seiner Größe hat es auch den Vorteil, dass es offen für Initiative und Innovation ist. Seine politische Stabilität, sein Modell des Aufholens auf der Grundlage des Gleichgewichts sowie seine sehr starke Dynamik machen es insgesamt zu einem begehrten Geschäftspartner – ja sogar zu einem begehrten strategischen Verbündeten – für die großen Akteure der Weltwirtschaft. Auf dieser Grundlage werden die heutigen und künftigen Wirtschaftsbündnisse aufgebaut, die ihrerseits als Grundlage für politische Bündnisse dienen werden.

P.S.

„Was ähnlich ist, kommt zusammen.“ [Similis simili gaudet – AdÜ.] – Lateinisches Sprichwort, heute ein Sprichwort des New Age.

György Matolcsy
Präsident der Ungarischen Nationalbank

Von der Visegrád Post aus dem Ungarischen übersetzt.