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Marine Le Pen streckt Ungarn und Polen die Hand entgegen

Lesezeit: 5 Minuten

Ungarn – Von Montag bis Mittwoch war die Pfäsidentschaftskandidatin des französischen Rassemblement National (RN) in Budapest, um mit Viktor Orbán über die Bildung einer gemeinsamen Fraktion im Europäischen Parlament zu verhandeln. Dieses Treffen kündigt den Beginn einer verstärkten Zusammenarbeit an und ist Teil einer Neuzusammensetzung der europäischen politischen Landschaft, in der die Bruchlinie zwischen Souveränisten und Euroföderalisten immer deutlicher wird.

Marine Le Pen und Viktor Orbán in Budapest am 26. Oktober 2021. Bild: Visegrád Post

Marine Le Pen wird von Viktor Orbán mit großem Pomp empfangen

Die ungarischen Behörden haben sich sehr bemüht, die Galionsfigur der größten französischen Partei zu empfangen. Ein Polizeikonvoi, ein Sicherheitsprotokoll, das einem Empfang für einen amtierenden Staatschef würdig war, ein offizielles Mittagessen, eine Pressekonferenz auf Augenhöhe – nichts wurde außer Acht gelassen, um Marine Le Pen den bestmöglichen Empfang zu bereiten. „Die Art und Weise, wie Viktor Orbán mich empfangen hat, [… ist] des Besuchs eines Staatschefs würdig“, sagte die Präsidentschaftskandidatin im Interview mit dem Autor dieser Zeilen, das er für das französische Magazin L’Incorrect führte. Ein Empfang, den Marine Le Pen sehr zu schätzen wusste. Sie sagte, sie habe sich „sehr geehrt“ gefühlt.

Auf die Frage nach den Parallelen zwischen ihrem Besuch und dem des noch nicht deklarierten Kandidaten Éric Zemmour einen Monat zuvor, betonte sie nachdrücklich, dass Éric Zemmour als Redner bei einem Kolloquium empfangen wurde, während ihr Besuch politischer Natur war und daher keineswegs den gleichen Charakter gehabt habe. Viktor Orbán, der ebenfalls befragt wurde, ist der Meinung, dass er sich nicht in die französische Innenpolitik einmischen solle und dass seine Aufgabe darin bestehe, Verbündete für Ungarn zu suchen, und nicht darin, sich über die künftige demokratische Entscheidung der Franzosen zu äußern.

Marine Le Pen und Viktor Orbán nach ihrer gemeinsamen Pressekonferenz in Budapest am 26. Oktober 2021. Bild: Visegrád Post

Orbán sucht Verbündete in Europa

Diese Charmeoffensive der ungarischen Regierung kommt jedenfalls nicht von ungefähr, das liegt auf der Hand: Nach dem Austritt aus der EVP zu Beginn des Jahres braucht der Fidesz von Viktor Orbán neue Verbündete, oder besser gesagt, er muss seine Bündnisse auf europäischer Ebene festigen. Da die CDU in Deutschland nicht mehr an der Macht ist, wird sich die europäische Rechte nach Ansicht des ungarischen Ministerpräsidenten noch viele Jahre lang verändern und neu formieren. Unter diesem Gesichtspunkt wird die RN zu einem unverzichtbaren Verbündeten für Ungarn, das von den europäischen Institutionen zunehmend angegriffen wird.

Wenn Marine Le Pen sich dessen bewusst ist, ist das Ende des „Cordon sanitaire“, den die EVP – eigentlich die französische Partei Les Républicains (LR) – dem Fidesz auferlegt hatte, auch für die französische Partei schätzenswert. Obwohl es  bei den Wahlen 2019 zu keiner populistischen Welle gekommen ist, könnte die jetzt angekündigte Neuzusammensetzung der europäischen Souveränisten allerdings zur Bildung einer Fraktion mit beinahe 150 Abgeordneten führen, was sie zur zweiten politischen Kraft hinter der EVP machen und es den Anhängern eines anderen Europas ermöglichen würde, die Sozialdemokraten zahlenmäßig zu überholen. Im Sommer dieses Jahres wurde eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der eine umfassendere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zwischen Parteien, die derzeit unterschiedlichen Gruppen angehören, angekündigt wurde.

Marine Le Pen während der Pressekonferenz. Bild: Visegrád Post

Es bleiben Hindernisse bestehen

Auch wenn die gemeinsame Pressekonferenz von Marine Le Pen und Viktor Orbán keine größeren Ankündigungen brachte, insbesondere keine Ankündigung zur Gründung der lang erwarteten Fraktion, so ist doch festzustellen, dass die ungarische Regierung, die wegen der Bundestagswahlen abgewartet hatte, nun offenbar über die Zusammensetzung der nächsten deutschen Regierung Bescheid weiß. Dieses Hindernis wurde also beseitigt, doch andere bleiben weiterhin bestehen.

Manchmal gibt es kleine Delegationen, die Angst haben, sich einer sehr großen Gruppe anzuschließen, weil es viele sehr große Delegationen gibt. Frankreich, Italien und Polen sind sehr große Delegationen, so dass es eine Reihe anderer Delegationen geben könnte, die Angst haben, nicht zugehört zu werden. Dabei irren sie sich, denn wir haben wirklich eine Fraktion, die sehr respektvoll funktioniert, weil wir der Meinung sind, dass jede Delegation eine Nation vertritt und nicht bloß die Vertreterin einiger weniger Abgeordneter oder eines Prozentsatzes ist“, so Marine Le Pen auf meine Frage nach den konkreten Hindernissen, die die Bildung der Fraktion jetzt noch hindern. Meint sie etwa Ungarn, wenn sie kleine Delegationen erwähnt, die sich um ihr Schicksal in dieser neuen Fraktion sorgen würden?

Angesichts des zunehmend feindseligen Euroföderalismus – dessen Ideologen von Frau Le Pen mit wilden Tieren verglichen werden, die in einen Käfig gesperrt sind und angreifen bzw. knurren – ist die Homogenität der Fraktion das Ziel von Marine Le Pen. Die „unerhörte Heftigkeit der Erklärung der Kommission nach der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts ist äußerst aufschlussreich [… Die Kommission] räumt sich selbst Befugnisse ein, die sie in den Texten nicht hat. Das ist eine Realität. Und das ist der Beweis für eine gewisse Fieberhaftigkeit. Ich sehe das sogar als ein sehr gutes Zeichen“, erklärt sie optimistisch und betrachtet dabei die wachsende Feindseligkeit der liberalen Kräfte innerhalb der EU als „letztes Aufbäumen“. Marine Le Pen sagt: „Sie sind umso aggressiver, als sie spüren, dass sich der Wind dreht. Und dass die politischen Kräfte an Stärke gewinnen, die sie besiegen werden.“

Auch wenn eine Einigkeit über den souveränen Aspekt, den die Union haben sollte, und über die Ablehnung der Fantasie einer europäischen Nation möglich ist, gibt es noch viele Streitpunkte, die überwunden werden müssen. Insbesondere die Frage des Verhältnisses zu Russland und die damit zusammenhängende Frage des Verhältnisses zur NATO bleiben sensible Streitpunkte.

Marine Le Pen auf der Budaer Burg am 26. Oktober 2021. Bild: Visegrád Post

Um die Europäische Union zu reformieren, will Marine Le Pen sich mit Mitteleuropa verbünden

Sollte Marine Le Pen im April 2022 zur Präsidentin der Französischen Republik gewählt werden, würde Frankreich Polen und Ungarn auf jeden Fall zur Seite stehen.

Deutschland in die Zange nehmen, um die EU zu reformieren, so lautet Le Pens Projekt. Die französische Präsidentschaftskandidatin ist der Ansicht, dass eine Verbindung zwischen Frankreich und dem mitteleuropäischen Block ihnen genügend Gewicht innerhalb der EU verleihen würde, um die notwendigen Reformen einzuleiten. Sie sagte, es sei an der Zeit, zum „europäischen Bündnis der Nationen“ zurückzukehren. Ziel ist es, dass sich die Nationen durch eine Zusammenarbeit verbünden, die nicht erzwungen wird und die nicht gegen die Interessen der Mitgliedsländer durchgesetzt werden darf.

Der Besuch Marine Le Pens in Ungarn bildet den Abschluss einer europäischen Reihe von Treffen mit den Ministerpräsidenten von Polen und Slowenien, deren Regierungen ebenfalls im Visier der Europäischen Union sind. Auf dem europäischen Parkett gestärkt kann sich Marine Le Pen nun wieder auf die nationale Dimension ihres Präsidentschaftswahlkampfs konzentrieren, wo sie derzeit im Kampf um die zweite Runde Kopf an Kopf mit Xavier Bertrand und Éric Zemmour liegt, auch wenn der eine noch nicht offiziell aufgestellt wurde und der andere sich noch nicht deklariert hat.