Europäische Union – Diese Entscheidung wurde erwartet und ist nicht überraschend. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EUGH) hat am Mittwoch, den 16. Februar, „die Klagen Ungarns und Polens gegen den Konditionalitätsmechanismus [abgewiesen], der den Erhalt von Mitteln aus dem Unionshaushalt davon abhängig macht , dass die Mitgliedstaaten die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einhalten“. Während die europäischen Instanzen und die Linke sich darüber freuen und stolzieren, reagieren Budapest und Warschau ganz anders.
„Die Union muss in der Lage sein, ihre Werte zu verteidigen“
In seinem Urteil stellte der EUGH fest, dass
„das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf beruht, dass diese die gemeinsamen Werte achten, auf die sich die Union gründet. Diese Werte haben die Mitgliedstaaten festgelegt, und sie sind ihnen gemeinsam. Sie geben der Union als Rechtsgemeinschaft der Mitgliedstaaten schlechthin ihr Gepräge. Zu ihnen zählen Rechtsstaatlichkeit und Solidarität“.
In der Pressemitteilung des EUGH wird weiter versichert, dass „da die Achtung der gemeinsamen Werte somit eine Voraussetzung für den Genuss all jener Rechte ist, die sich aus der Anwendung der Verträge auf einen Mitgliedstaat ergeben, die Union auch in der Lage sein [muss], diese Werte im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben zu verteidigen“, dass
„der Haushalt der Union eines der wichtigsten Instrumente ist, mit denen in den Politiken und Maßnahmen der Union der tragende Grundsatz der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten konkretisiert werden kann“,
dass „soweit dieser Grundsatz mittels des Unionshaushalts umgesetzt wird, dies auf dem gegenseitigen Vertrauen [basiert]“, dass „die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union und
ihre finanziellen Interessen jedoch durch in einem Mitgliedstaat begangene Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit schwer beeinträchtigt werden können“,
und dass ein „Konditionalitätsmechanismus“ „unter die der Union durch die Verträge verliehene Zuständigkeit fallen [kann], ‚Haushaltsvorschriften’ über die Ausführung des Haushaltsplans der Union zu erlassen“. Darüber hinaus, so der Gerichtshof, „verfolgen das sogenannte Artikel-7-Verfahren und das mit der Verordnung eingeführte Verfahren unterschiedliche Ziele, und jedes dieser Verfahren hat einen eigenen, klar abgegrenzten Gegenstand“, während
„die Befugnisse, die diesen Organen durch die Verordnung verliehen werden, die Grenzen der Zuständigkeiten der Union nicht [überschreiten]“.
„Ein großer Sieg“, so Katalin Cseh (Momentum).
Dieses Urteil wurde natürlich von führenden liberalen und linken Politikern auf europäischer Ebene begrüßt. So reagierte der Europaabgeordnete Guy Verhofstadt, ehemaliger Vorsitzender der ALDE-Fraktion, sofort auf Twitter:
„Der EUGH weist die [Klage] von Ungarn und Polen ab und bestätigt den Mechanismus der Rechtsstaatlichkeit! Ursula von der Leyen muss jetzt handeln…. Sie kann sich nicht mehr hinter dem Gerichtshof verstecken!“
Letztere wartete übrigens nicht auf die Aufforderungen Verhofstadts, um selbst in diesem Sinne zu reagieren:
„Im Lichte des Urteils werden wir in den kommenden Wochen Leitlinien verabschieden, die die praktische Anwendung des Mechanismus klären werden […] Das heutige Urteil bestätigt, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden“.
Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola (EVP), teilte ihrerseits in einer Erklärung mit, dass
„das Europäische Parlament von der Europäischen Kommission [erwartet], dass sie den Mechanismus so schnell wie möglich anwendet.
[…] Die Werte zählen und die Bürger haben das Recht zu wissen, wie die gemeinsamen Gelder verwendet werden“.
Seitens der „vereinigten“ ungarische Opposition erklärte Klára Dobrev (Demokratische Koalition, DK), dass
„dieses Urteil das Recht der EU [betrifft], diejenigen zu bestrafen, die EU-Gelder stehlen“,
während der sozialdemokratische Europaabgeordnete István Ujhelyi (MSZP) meinte, dass dieses Urteil des EUGH „auch die Aneignung von öffentlichen EU-Geldern durch Orbáns mafiöses System beenden wird“.
Für die Europaabgeordnete Katalin Cseh (Momentum) ist das Urteil des EUGH ein „großer Sieg“, wobei sie – es ist ja Wahlkampf – der Meinung ist, dass
„wenn Viktor Orbán an der Regierung bleibt, das ungarische Volk und die ungarische Wirtschaft keinen Zugang zu den Ressourcen haben werden, die sie verdienen“.
Der Vorsitzende der zentristischen ehemals rechtsextremen Jobbik, Péter Jakab, erklärte: „Am 3. April […] wird das Urteil des ungarischen Volkes auch unser Urteil sein, denn wir verdienen diese 6 Billionen [Forint], und wir können nicht so viel Geld einem Kriminellen anvertrauen. Vor allem nicht einem, der bereits seine eigene Nation ausgeplündert hat“.
Das Urteil ist keine Überraschung
Die von Do Rzeczy befragte polnische Juristin und ehemalige sozialistische Parlamentarierin Genowefa Grabowska meinte ihrerseits, dass „dieses Urteil keine Überraschung ist. Die Stellungnahme des Generalanwalts des EUGH im Dezember letzten Jahres ging in die gleiche Richtung und hatte den gleichen Wortlaut. Wir haben nicht damit gerechnet, dass der Gerichtshof plötzlich seine Meinung ändert“. Aber sie legte auch den Finger auf den Kern des Problems:
„Nirgendwo steht geschrieben, was genau Rechtsstaatlichkeit ist“.
Grabowska erinnerte auch daran, dass die Europäische Kommission unter „wahnsinnigem Druck des Europäischen Parlaments [steht, da] die Liberalen [in der endgültigen Form des EU-Haushalts] einen ziemlich seltsamen Änderungsantrag eingebracht [haben], in dem
sie die Aussetzung der Mittel für die Kommission, für den Präsidenten, für die Beamten forderten, da der Konditionalitätsmechanismus nicht angewendet und die Zahlungen aus dem Haushalt an die Mitgliedstaaten nicht zurückgehalten werden.
[…] Ein solch irrationales Verhalten der Europaabgeordneten könnte eine abschreckende Wirkung auf die Kommission haben“.
Ein weiteres Instrument zur Bekämpfung von Polen und Ungarn
Auch der Europaabgeordnete Ryszard Legutko (PiS) war von dem Urteil nicht überrascht: „Ich bin von den Urteilen des EUGH nicht mehr überrascht, denn als ich anfing, den Fall zu verfolgen, wurde mir klar, dass
er eine Institution ist, die die anderen europäischen Institutionen unterstützt; nicht ein einziges Mal hat er sich zum Beispiel gegen die Kommission ausgesprochen, und einige Urteile sind sogar erstaunlich und eine Beleidigung für die Intelligenz …“
Legutko ist in der Tat der Ansicht, dass das Urteil ein neues „Werkzeug für die EU-Institutionen bereitstellt, um das Gesetz zu umgehen und die Warschauer Regierung zu bekämpfen“.
In einem Interview mit dem polnischen Rundfunk erklärte der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński, seinerseits:
„Wir haben es mit einem Missbrauch zu tun, wir haben es, seien wir ehrlich, mit einem Betrug seitens der EU-Behörden zu tun“.
Der Europaabgeordnete Jacek Saryusz-Wolski (PiS) zeigte sich seinerseits besorgt über die Tendenz einiger polnischer Konservativer, die meinen, sie könnten sich zurücklehnen, solange Polen mehr Geld aus Brüssel erhält als es einzahlt, in der Hoffnung, sich der Föderalisierung der EU wirksam widersetzen zu können, wenn Polen einmal zum Nettozahler des EU-Haushalts geworden ist: „Dann wird es zu spät sein, die Regimewechsel, einschließlich des Verlusts der Souveränität, werden unumkehrbar sein“.
Für den stellvertretenden Justizminister Sebastian Kaleta (Solidarna Polska),
ist dies „ein historischer Tag für die Europäische Union. Die Verträge wurden durch eine Verordnung und ein politisches Urteil des EUGH verändert. Von heute an ist jede unabhängige Entscheidung Polens in Gefahr, finanziell erpresst zu werden.“
Der Abgeordnete Janusz Kowalski (Solidarna Polska) fügte hinzu: „Das ist das Ende der EU, wie wir sie kennen! Wir müssen [unsere] Souveränität verteidigen […] Das Urteil des EUGH ist ein Versuch, die Illegalität zu legalisieren!
Der Konditionalitätsmechanismus ist nichts anderes als die Umsetzung der Ankündigung [dass] ‚Polen und Ungarn, finanziell ausgehungert werden sollen‘“.
Der Europaabgeordnete Patryk Jaki (Solidarna Polska) sagte: „Diese Entscheidung verändert tatsächlich alles in der Europäischen Union, die auf dem Prinzip gegründet wurde, dass die schwierigsten Entscheidungen gemeinsam getroffen werden müssen. […] Da die EU-Politiker keine Einstimmigkeit erzielen konnten, um Polen zu bestrafen, haben sie einen solchen Mechanismus erfunden. […]
Polen kann nun in fast allen Fällen erpresst werden“.
Ein ungeschriebene neue Version des Vertrags
In diesem Sinne erklärte Jean-Éric Schoettl, ehemaliger Generalsekretär des französischen Verfassungsrats (1997-2000), am Montag, den 14. Februar, in einem Beitrag der Stiftung Res Publica: „Die Berufung auf die Rechtsstaatlichkeit spielt nunmehr eine strategische Rolle bei der Legitimierung von Angriffen auf die nationale Souveränität durch die europäischen Institutionen.
Der Begriff der Rechtsstaatlichkeit, der in den europäischen Verträgen zwar erwähnt, aber nicht definiert wird, ermöglicht es den Organen der Union, die von Aktivistengruppen betätigt werden, eine ungeschriebene neue Version des Vertrags auszuarbeiten. Dieser Zweitvertrag entspricht den Ansichten einer sehr gut organisierten Gutmenschenschaft, die seit etwa 20 Jahren den europäischen Hebel nutzt, um ihre Agenda zum Blühen zu bringen.“