Dieser Artikel ist am 3. März 2022 in der Magyar Nemzet erschienen.
Statt Abenteurertum brauchen wir eine verantwortungsvolle Politik und Stabilität.
– Das Wichtigste ist das Leben und die Sicherheit der Ungarn, einschließlich derer in Subkarpatien – stellte Viktor Orbán in einer Videobotschaft klar, die nach einer Regierungssitzung aufgezeichnet wurde. Der Ministerpräsident gab außerdem der Wochenzeitung Mandiner ein Exklusivinterview, in dem er unter anderem über die russisch-ungarische Energiekooperation, den Beginn einer neuen Ära der Sicherheitspolitik und die Verantwortungslosigkeit der Äußerungen der Linken sprach.
– Das Wichtigste ist das Leben und die Sicherheit der Ungarn, einschließlich derer in Subkarpatien [westlichste Provinz der heutigen Ukraine, die von den Völkern, die östlich der Karpaten leben, Transkarpatien genannt wird: Ukrainer etc. – AdÜ.] – sagte Ministerpräsident Viktor Orbán am Mittwoch im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg in einer Videobotschaft auf seiner Facebook-Seite. Nach einer Regierungssitzung erklärte er, dass „wir keine Entscheidungen treffen können und werden, die ungarische Siedlungen oder die ungarische Bevölkerung – einschließlich der Bevölkerung von Subkarpatien, unabhängig davon, ob sie ethnisch ungarisch oder ukrainisch ist – zu Zielscheiben machen“.
Und weiter: „Nach der Lagebeurteilung, die die Regierung am siebten Tag des Krieges vorgenommen hat, hat das Kabinett bestätigt, dass Ungarn auch weiterhin keine Soldaten oder Waffen auf ukrainisches Territorium schicken wird.“
„Das Wichtigste ist, dass Ungarn sich aus diesem Krieg heraushält.“
Der Ministerpräsident argumentierte jedoch, dass die Ukraine unser Freund sei, dass sie in Schwierigkeiten stecke und dass wir die Pflicht hätten, denen zu helfen, die in Schwierigkeiten seien. „Wir haben eine der umfangreichsten humanitären Missionen in der Geschichte Ungarns gestartet. In der ersten Phase werden wir Lebensmittel, Hygieneartikel und Babyartikel im Wert von 600 Millionen Forint schicken“, sagte er in der Videobotschaft.
Der Vorteil einer erfahrenen Regierung
In seinem Exklusivinterview mit der Wochenzeitung Mandiner behauptet Viktor Orbán, dass der aktuelle Krieg bereits der dritte ist, der unter den von ihm geführten Regierungen in unserer Nachbarschaft entfesselt wurde. Er zählte auf: 1999, einen Tag nach unserem Beitritt, griff die NATO in den Kosovo-Krieg ein. Im Jahr 2014 war es die Krimkrise, die er zu bewältigen hatte – und jetzt dieser zweite russisch-ukrainische Krieg. Er sieht diese Regierungserfahrung als einen Vorteil – den Vorteil, über die strategische Ruhe zu verfügen: wenig reden, aber wenn man redet, sich dann präzise und verantwortungsvoll ausdrücken. Unter solchen Umständen darf man nicht zulassen, dass Wahlkampfsorgen über die Interessen der Nation gestellt werden, denn die kleinste unpassende Geste kann Schaden verursachen. Für ihn ist in einer Kriegssituation ein Wort bereits die Hälfte einer Tat. „Die Opposition möchte Waffen verschiffen, mit denen dann auf Russen geschossen wird, oder sogar Soldaten, die dann gegen die Russen kämpfen. Das zeigt, dass sie keine Erfahrung und keine Methode haben und dass es ihnen völlig an Verantwortungsbewusstsein fehlt. Ihre unverantwortlichen Äußerungen gießen nur Öl ins Feuer, was den Interessen Ungarns zuwiderläuft. Statt Abenteurertum brauchen wir eine verantwortungsvolle Politik, Sicherheit und Stabilität“, sagte er. Auf seine Erfahrungen zurückblickend sagt er: „Wenn man die Bilanz unserer Regierungen zieht, wird man sehen, dass wir seit 2010 alles gesehen haben: eine Finanzkrise, den Austritt von rotem Schlamm aus Ajka, die Überschwemmung, den Krimkrieg, die Migrantenkrise, das Coronavirus und schließlich den russisch-ukrainischen Krieg. Die Zeit der Krisen, die wir heute erleben, beraubt uns der friedlichen Schaffensperiode, die wir verdient hätten, und trotz allem haben wir Ungarn es geschafft, ein System zur Unterstützung von Familien aufzubauen und die Wirtschaft zu sanieren“ – aber all das ist laut Viktor Orbán immer noch wenig im Vergleich zu unserem Potenzial, da der Großteil unserer Energie damit verbracht wird, die Folgen der Krisen zu kompensieren.
Wir können die Familien nicht den Preis des Krieges zahlen lassen
„– Wenn wir unsere Energiekooperation mit den Russen aufgeben würden, würde sich innerhalb eines einzigen Monats das Energiebudget aller ungarischen Familien verdreifachen. Deshalb bin ich nicht für eine solche Maßnahme: Es ist nicht Aufgabe der ungarischen Familien, den Preis für diesen Krieg zu zahlen“ – so Viktor Orbán gegenüber Mandiner.
„Auch die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben klargestellt, dass die Sanktionen die Energielieferungen aus Russland nicht beeinträchtigen dürfen, da dies die gesamte europäische Wirtschaft ruinieren würde.“
Auf die Frage „Woher kommt dieser Krieg?“ antwortete Viktor Orbán: „– Wir sind zwischen den Fronten gefangen, im Kreuzfeuer der wichtigsten geopolitischen Akteure: Die NATO dehnt sich immer weiter nach Osten aus, was Russland immer weniger gefiel. Die Russen stellten daraufhin zwei Forderungen: Die Ukraine solle sich für neutral erklären und die NATO solle sich verpflichten, den Beitritt der Ukraine nicht zu akzeptieren. Und als die Russen diese von ihnen geforderten Sicherheitsgarantien nicht erhielten, beschlossen sie, sie um den Preis eines Krieges zu erpressen. Ihr Konzept der Sicherheitspolitik ist, dass Russland, um sich sicher fühlen zu können, von einer Pufferzone neutraler Länder umgeben sein muss.“
„Da die Russen über die militärische Überlegenheit verfügen, ist der Beginn von Friedensverhandlungen nur eine Frage der Zeit.“
„Die Regierung verurteilt die russische Aggression, aber Ungarn stellt sich auf die Seite des Friedens, weshalb wir vorgeschlagen haben, dass die Friedensverhandlungen in Budapest beginnen.“
Beginn einer neuen Ära der Militär- und Sicherheitspolitik
Nebenbei erklärte der Regierungschef auch, dass der Ausbruch dieses russisch-ukrainischen Krieges deutlich gemacht habe, dass die europäische Militär- und Sicherheitspolitik auf eine neue Grundlage gestellt werden müsse: „Europa braucht eine eigene Militärmacht und eine Rüstungsindustrie, die diesen Namen auch verdient. – Wir dürfen nicht ausschließlich von den Amerikanern abhängig sein“.
„Die NATO ist eine wertvolle Errungenschaft, die bewahrt werden muss. Allerdings gibt es ein Ungleichgewicht zwischen dem europäischen und dem nordamerikanischen Flügel des Bündnisses: Die Amerikaner investieren viel mehr in das Bündnis als wir. Das ist es, was sich ändern muss: Während wir das amerikanische Bündnis beibehalten, müssen wir uns in die Lage versetzen, aus eigener Kraft die Sicherheit Europas zu gewährleisten.“
„Die Grundlage der amerikanischen Strategie ist die Vorstellung, dass militärische Investitionen, wenn man seine Militärpolitik klug organisiert, zu wirtschaftlicher Entwicklung führen und in die zivile Wirtschaft transferiert werden können, wenn sich zwischen der Rüstungsindustrie und anderen Wirtschaftssektoren Zirkulationskanäle bilden; in diesem Fall ist das Endergebnis ein wirtschaftlicher und technologischer Sprung nach vorn, von dem alle profitieren. – Wenn man darüber nachdenkt: Mobiltelefonie, Geolokalisierung und Internet – das sind alles Ergebnisse militärischer Forschung, von denen auch die zivile Wirtschaft erheblich profitiert.“
„Ich habe die Frage einer französisch-mitteleuropäischen militärischen Zusammenarbeit bereits angesprochen, mit Macron und mit mitteleuropäischen Regierenden.“
Den vollständigen (ungarischen) Text des Interviews mit Viktor Orbán finden Sie hier.
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Von der Visegrád Post aus dem Ungarischen übersetzt.