Polen/Europäische Union – Man sollte nicht denken, dass die relative Waffenruhe, die die europäischen Instanzen gegenüber Polen eingehalten haben, von Dauer sein wird, während Ungarn – wegen seiner Weigerung, seine nationalen Interessen zu opfern – nun mit dem sogenannten Konditionalitätsmechanismus angegriffen wird. Es handelt sich dabei höchstens um einen vorübergehenden Waffenstillstand aufgrund des russisch-ukrainischen Krieges.
Didier Reynders: Andrzej Dudas Vorschlag ist positiv, aber nicht ausreichend
Der EU-Justizkommissar Didier Reynders hat in seiner Rede am Dienstag, den 3. Mai (Nationalfeiertag in Polen…), anlässlich der Debatte über die Rechtsstaatlichkeit in Polen die Dinge, wenn nötig, richtig gestellt. In Bezug auf den versöhnlichen Gesetzentwurf, den Präsident Andrzej Duda im Februar vorgelegt hatte, um die umstrittene Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs wieder abzuschaffen, stellte Reynders zwar fest, dass es positiv sei, „dass es einen Impuls für eine Reform des Disziplinarsystems in Polen zu geben scheint […].
entscheidend ist, inwieweit die vom polnischen Parlament schließlich verabschiedeten Rechtsvorschriften – sofern eine endgültige Verabschiedung möglich ist – die vom Gerichtshof festgelegten Anforderungen erfüllen werden.
„Jede neue Gesetzgebung […] muss die Anforderungen des europäischen Rechts an die Unabhängigkeit der Justiz erfüllen“, betonte er.
Vergleich der Lage in Polen mit derjenigen in Russland…
„Denn [wenn] wir Russland sagen, dass es das internationale Recht achten soll, müssen wir auch unsere eigene Arbeit […] in der Europäischen Union machen,
[…] Bei uns darf es keinen Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit geben. Wir müssen sehr genau darauf achten, dass die demokratische Ordnung in der Europäischen Union funktioniert, wenn wir Russland ermahnen wollen […]. Wenn wir unsere eigenen Probleme haben, wird es für uns schwierig sein, effektiv zu handeln“.
und verglich damit munter die Situation der Rechtsstaatlichkeit in Polen mit derjenigen in Russland.
„Sie werden die Polen nicht belehren“
Als Reaktion auf die Äußerungen des Justizkommissars ergriff der polnische Europaabgeordnete Patryk Jaki (Solidarna Polska) das Wort und erinnerte zunächst an das Symbol des 3. Mai 1791, der ersten polnischen Verfassung und die darauf folgenden Teilungen Polens, denn damals
„hatte der Westen Angst, dass Polen mit seiner neuen Verfassung und seiner Freiheit – die es nirgendwo in Europa so sehr gab wie in Polen – sehr schnell immer stärker werden würde, und beschloss daher zusammen mit Russland, [Polen] zu zerstören. Natürlich mit Hilfe von bestochenen Polen…“
Die Verbindung zur heutigen Situation herstellend, fügte der polnische Parlamentarier hinzu:
„Heute, 231 Jahre später, ärgern Sie sich erneut über die Freiheitsbestrebungen der Polen und natürlich über die Tatsache, dass wir die Ukraine weiterhin unterstützen.
Und auch hier schmieden Sie mit Hilfe [einiger] Polen, zur Freude Russlands, neue Pläne, um Polen zu schwächen. Was ist der Grund dafür? Weil Sie wieder mit Russland Geschäfte machen wollen! […] Sie wollen, dass dieser Krieg schnell zu Ende geht, und wir wollen, dass die Ukraine gewinnt. Das sind zwei verschiedene Dinge. […]
Sie werden die Polen nicht belehren. [Es sind] die Polen, die die erste Verfassung in Europa verabschiedet haben. Sie werden sie nicht darüber belehren, was Freiheit [bzw.] Rechtsstaatlichkeit ist. Sie können es von uns lernen…“
Die ehemalige polnische Ministerpräsidentin Beata Szydło (PiS), ebenfalls Mitglied des Europäischen Parlaments, reagierte ihrerseits auf Twitter wie folgt: „Diese Debatte im Europäischen Parlament gegen Polen am polnischen Nationalfeiertag ist eine weitere Stufe der Heuchelei […] für einige Abgeordnete. Warum tun Sie das, vor allem, wenn an Polens Grenzen ein Krieg tobt?“
„Verfall der Werte der Europäischen Union in Ungarn und Polen“
Im Anschluss an diese Debatte verabschiedete das Europäische Parlament am Donnerstag, den 5. Mai, eine neue Resolution, in der es den „Verfall der Werte der Europäischen Union in Ungarn und Polen“ verurteilte. Die Europaabgeordneten forderten die Europäische Kommission auf, in diesem Bereich „mehr zu tun“, da gegen Ungarn ein Verfahren nach dem Konditionalitätsmechanismus eingeleitet, während gegen Polen jedoch (noch) nichts unternommen werde.