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Gáspár Miklós Tamás, den die Ungarn TGM nannten, starb gestern im Alter von 74 Jahren. Der mehrsprachige Philosoph, Kádár-Gegner in den 1980er Jahren, ungarischer liberaler Abgeordneter von 1990 bis 1994, marxistischer Ökofeminist in den 2000er Jahren, Polemiker mit furchterregender Feder und Verfasser denkwürdiger Sprüche gegen die Orbán-Regierung, TGM war ein Mann mit starkem Charakter und ein bewährter Hetzer.

Innerhalb des „konservativen Lagers“ in Ungarn wurde er von vielen beschuldigt, seine Meinung mehrmals geändert zu haben. Diese Kritik ist angesichts seines Werdegangs nicht unberechtigt. Es geht hier jedoch nicht darum, sich in das Zelt des politischen Zirkus zu begeben. TGM war viel mehr als seine politischen Stellungnahmen. Er war übrigens kein Philosoph im eigentlichen Sinne, da er seit Anfang der 1990er Jahre nichts Konsequentes in diesem Bereich hervorgebracht hat. War er ein Schriftsteller? Ein Leitartikler? Ja, wenn man so will. Sein scharfer Stil war unverkennbar. Ihn zu lesen war immer ein großes Vergnügen.

Sein Tod ist nicht nur der Tod einer schönen Feder und einer Persönlichkeit der ungarischen Geistesgeschichte. TGM ist ein Stück Ungarn der letzten fünfzig Jahre. Er wurde in Klausenburg (Kolozsvár) in Siebenbürgen geboren und lebte seit 1978 in Budapest, wo er bis zu seinem Lebensende die Figur des Budapester Intellektuellen pflegte, der belesen war und eine solide klassische Bildung besaß. Manchmal war er sogar ein wenig zu sehr ein solcher, der in dieser so mittelmäßigen Zeit einen „Makel“ darstellte.

Vielleicht lag es daran, dass diese Zeit nicht die seine war. TGM hatte etwas vom hochgebildeten, liberalen, bürgerlichen Wiener Fin de Siècle, das von Carl Emil Schorske porträtiert wurde. Ein menschlicher Typ, von dem TGM wahrscheinlich der letzte Vertreter in Budapest war. Eine viel sympathischere Version als die spießige Wiener Version. Ein wenig zerlumpt und abgedreht, bezog er zwar viele seiner Referenzen aus intellektuellen Welten außerhalb Ungarns, aber er hatte eine zutiefst ungarische Seite in sich.

TGM war der Archetyp des ungarischen und sogar mitteleuropäischen „Dissidenten“ der 1970er und 1980er Jahre. Er blieb es sein ganzes Leben lang. Vierzig Jahre lang wetterte er gegen alle „Regime“, immer verpackt in einen schlecht sitzenden Cordanzug, mit seiner Brille des von der Macht „unterdrückten“ Intellektuellen, mit einem Bart, der sichtlich immer gelber wurde, und einer Stimme, die ein Rauchen wie aus einer anderen Zeit verriet.

Zu seiner klassischen Bildung kam noch seine Fähigkeit, sich als ungarischer Lebenskünstler zu bewegen. Denn schließlich war TGM nicht so sehr ein Intellektueller als vielmehr ein Künstler. Er verstand es wie kein anderer, diese Partitur zu spielen: sich beschweren, übertreiben, sich aufregen und seine Gesprächspartner mit seiner Kultur überrollen. Indem er diese Rolle unermüdlich spielte, konnte er sich überdauern. Er hatte das Image desjenigen, der die Provinzungarn verhöhnte und verachtete. Diese zahlten es ihm heim. Aber ist dieses Spiel der gegenseitigen Abneigung nicht letztendlich das, was Ungarn im Wesentlichen ausmacht? Das eine kann ohne das andere nicht auskommen. Beide bilden ein Ganzes, das wir Ungarn nennen.

TGM hatte politische Verbindungen, die es ihm nicht erlaubten, sich mit voller Kraft gegen den neuen Woke-Schwachsinn und andere biosicherheitsbezogene Wahnvorstellungen zu stemmen. Aber man kann sich vorstellen, was diese Verrücktheiten in ihm auslösten. TGM erregte die Frauen in Klausenburg und Budapest mit seinem Ruf als mutiger „Dissident“. Er hatte zwei Ehefrauen und war Vater von vier Kindern. Er hatte die Männlichkeit eines Meisters, dieses dominierende Selbstbewusstsein, das die Frauen anzog. Seine altmodische Heterosexualität würde selbst die banalste kalifornische Feministin zum Kotzen bringen. Man kann sich vorstellen, wie er zwischen zwei Lesungen in Altgriechisch mit Zigarillo im Schnabel verächtlich seinen Schülern zuhört, die mit den Giften unserer Zeit gefüttert wurden. TGM war ein Mann, der von diesen nur eine Überdosis nehmen konnte. Sein Tod markiert das Ende einer Ära, in der er eine der Säulen war.

Nyugodjon békében, Művész Úr, hiányozni fog!