„Immer mehr Menschen werden in Afrika geboren, die klimatischen Bedingungen verschlechtern sich und die konfliktbedingten Probleme nehmen zu. Wir müssen mit einem erhöhten Migrationsdruck rechnen“, so Jan Wójcik, polnischer Migrationsexperte bei der Stiftung The Opportunity.
Dieses von Karol Gac geführte Interview, Chefredakteur der Website dorzeczy.pl, wurde auf Englisch auf Sovereignty.pl veröffentlicht. Um die vollständige englische Version auf Sovereignty.pl zu lesen, klicken Sie bitte hier.
Karol Gac: Woher kommen die Migranten, die in Europa ankommen? Was sind die bedeutendsten Migrationsrichtungen und -routen?
Jan Wójcik: Wenn wir von illegaler Einwanderung sprechen, handelt es sich hauptsächlich um Menschen aus Afrika, dem Nahen Osten bzw. Zentral- und Südostasien. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass es sich um dynamische Prozesse handelt und dass sich die Dinge ändern. Beispielsweise kamen im Jahr 2022 sehr viele Menschen aus Afghanistan und Syrien, während wir heuer immer mehr Menschen aus Ländern wie Pakistan, Guinea bzw. Kamerun sehen. Auch die Zuwanderung aus der Elfenbeinküste hat sich mehr als verachtfacht (von 900 auf fast 8.000 Personen im ersten Quartal).
Auch in Bezug auf die Migrationsrouten ist eine gewisse Dynamik zu beobachten. Die beliebteste Route für die illegale Einreise in die EU ist die sogenannte zentrale Mittelmeerroute, die von Libyen bzw. Tunesien nach Italien führt. Zwischen 2014 und 2015 erfolgte die stärkste Einwanderung über die östliche Mittelmeerroute durch die Türkei und Griechenland, die im weiteren Verlauf zur Balkanroute wurde. Die Westbalkanroute war in jenem Jahr sehr beliebt. Allerdings wurden von den Ländern entlang dieser Route eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um sie einigermaßen zu stopfen. Ende 2022 blockierte Österreich beispielsweise die Ausweitung des Schengen-Raums auf Bulgarien und Rumänien, da diese Länder die Grenzen der EU nicht ausreichend schützen würden. Wie man sieht, hat die Anwesenheit von Migranten auch politische Konsequenzen.
Karol Gac: Warum entscheiden sich diese Menschen für die illegale Einwanderung? Können sie nicht den legalen Weg nutzen?
Jan Wójcik: Das ist eine sehr komplexe Frage. Im Allgemeinen wählen diese Menschen aus verschiedenen Gründen nicht den legalen Weg. Einige von ihnen sind sich der legalen Möglichkeiten nicht einmal bewusst. Ich habe Freunde, die nach Nigeria gereist sind und dort Menschen getroffen haben, die aufgrund ihrer Ausbildung in der Lage gewesen wären, eine legale Arbeit in der EU zu suchen. Sie hatten jedoch keine Informationen darüber, wie sie dies tun könnten. Der zweite Punkt ist, dass es erhebliche Blockaden seitens der Konsularabteilungen gibt, die Personen ohne das erforderliche Bildungsniveau nur ungern ein Visum erteilen. 2015 dachte Deutschland, es würde die Probleme auf seinem Arbeitsmarkt lösen, indem es eine Masseneinwanderung zulasse. Acht Jahre später stellt es fest, dass dies nicht die richtige Lösung war. Heuer haben die Deutschen damit begonnen, in afrikanischen und asiatischen Ländern Jobcenter zu eröffnen, um nach Menschen zu suchen, die zwecks Arbeit legal einreisen können. Die EU-Länder wollen die illegale Einwanderung reduzieren und bieten im Gegenzug an, ihre Arbeitsmärkte für Drittländer zu öffnen. Diese Frage muss u.a. mit afrikanischen Ländern bzw. Pakistan diskutiert werden.
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Karol Gac: Glauben Sie, dass die Europäische Union eine Idee hat, wie die Probleme der illegalen Einwanderung zu lösen seien? Man hört von einem Migrationspakt, der teilweise auf die bereits vor acht Jahren vorgeschlagene Umsiedlung zurückgreift.
Jan Wójcik: Die EU hat acht Jahre gebraucht, um ihre Herangehensweise zur illegalen Einwanderung zu ändern. Selbst das Europäische Parlament, das in dieser Frage eine besonders liberale Institution ist, neigt nun dazu, mehr Geld für den Grenzschutz bereitzustellen und einen Sicherheitsansatz zu verfolgen. Darüber hinaus wurde der Teil des Migrationspakts angenommen, der die Möglichkeiten einschränken soll, in mehreren Ländern Anträge zu stellen, was Migranten abschrecken soll. Auch der Grundsatz der Zusammenarbeit mit Drittländern wurde akzeptiert. Es sind also gewisse Entwicklungen festzustellen. Ich denke, dass die Frage der Umsiedlung in Polen etwas zu sehr verteufelt wird, da uns eigentlich die Möglichkeit gegeben wurde, keine Migranten aufzunehmen. Das größte Problem scheint die Art und Weise zu sein, wie die Entscheidung selbst getroffen wurde, d.h. durch Mehrheitsbeschluss und nicht durch Konsens. Der Betrag von 20.000 Euro pro Migrant erscheint hoch, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es darum geht, die Kosten für ihre mehrmonatige Aufnahme und die Arbeit vieler Menschen zu decken, die an dieser Aufnahme arbeiten. Ich mache mir keine Illusionen über eine mögliche Verbesserung der Situation. Ich denke, dass die Kosten für die Bewältigung der Migration steigen werden und dass es sich um eine dauerhafte Ausgabe handeln wird. Immer mehr Menschen werden in Afrika geboren, die klimatischen Bedingungen verschlechtern sich und die konfliktbedingten Probleme nehmen zu. Wir müssen mit einem erhöhten Migrationsdruck rechnen.
Karol Gac: Aber könnte die Annahme dieses Pakts nicht noch weitere Probleme mit sich bringen? In kurzer Zeit könnten wir mit einer neuen Einwanderungswelle konfrontiert werden, wenn die Menschen erfahren, dass es in der EU einen Platz für sie gibt.
Jan Wójcik: Was die Umsiedlung betrifft, bin ich dagegen. Ich sehe ohnehin nicht, wie wir diese Menschen dazu bringen können, bei uns zu bleiben. Wir wissen genau, dass sie in die west- bzw. nordeuropäischen Länder und nicht nach Ost- und Mitteleuropa wollen. Ich verstehe jedoch, dass es sich um eine gewisse Geste gegenüber den Ländern handelt, die unter dem Druck der illegalen Einwanderung stehen. Aber der Teufel steckt im Detail. Die Frage ist, ob wir alle umsiedeln werden, oder nur diejenigen, die Anspruch auf den Flüchtlingsstatus haben? Wenn dieser Pakt nur zur Umsiedlung, zur Verstärkung der Grenzen und gleichzeitig zur Beschleunigung des Dublin-Verfahrens mit der Möglichkeit führt, Migranten in das erste Land zurückzuschicken, wäre das sehr schlecht für uns. Die Länder, die nicht an den Außengrenzen der EU liegen, wären die Hauptnutznießer, da sie Migranten in die Grenzländer abschieben könnten. Wenn das Ganze jedoch mit Rückübernahmeabkommen mit Drittländern einhergeht, dann würde dieser Pakt einen Sinn ergeben, aber wir kennen noch nicht alle Details. Wir müssen die Gespräche der EU mit Drittländern wie Tunesien beobachten. Die EU-Länder könnten diese Menschen zum Beispiel in die Länder zurückschicken, über die sie nach Europa eingereist sind.
Karol Gac: Illegale Einwanderung ist mit vielen negativen Phänomenen verbunden. Die Kriminalität nimmt zu, ebenso wie die Gefahr von Terroranschlägen. Welche kurz- und langfristigen Auswirkungen könnte die illegale Einwanderung auf die EU haben?
Jan Wójcik: Ich werde meine Antwort in zwei Teile aufteilen. Der eine betrifft die illegale Einwanderung und der andere die mangelnde Integration. Was den ersten Teil betrifft, so sind die Staaten mit enormen Kosten konfrontiert. Deutschland hat allein aus dem Bundeshaushalt 20 Milliarden Euro für migrationsbedingte Ausgaben gezahlt. Darüber hinaus wurden die Migrationsrouten genutzt, um Terroristen einzuschleusen. Heute wissen wir mit Sicherheit, dass dies zu sagen nicht bedeutet, in Panikmache zu verfallen: Terroristen sind sehr wohl über diese Routen gekommen, was unter anderem die Anschläge in Paris und Brüssel zur Folge hatte. Dies wurde von Frontex offiziell bestätigt, und heute senden uns die italienischen Dienste ähnliche Signale. Darüber hinaus haben diese Menschen häufig Kriegstraumata bzw. psychologische Probleme. Wenn sie nicht unterstützt werden, können sie sich kriminellen Gruppen zuwenden, und sind auch ein beliebtes Rekrutierungsziel für radikale Gruppen.
Was wir hingegen heute viel diskutieren – Fahrzeug- und Infrastrukturbrände in Frankreich, Bandenkriminalität in Schweden, Probleme mit dem sozialen Zusammenhalt, Konflikte in der Schule bzw. kulturelle Unterschiede – ist unter anderem das Ergebnis einer schlechten Integration. Jahrzehntelang ging man davon aus, dass der Staat nur eine Art Rahmen sei, in dem jeder so leben kann, wie er will. Diese Konflikte bestehen nicht nur zwischen Einwanderern und einheimischen Bürgern, sondern es handelt sich auch um importierte Konflikte zwischen Einwanderergruppen. Wir haben z.B. den Konflikt zwischen Kurden und Türken, religiöse Spannungen zwischen verschiedenen muslimischen Gemeinschaften usw. Die Frage ist, ob die mangelnde Integration nur auf unsere schlechte Einwanderungspolitik zurückzuführen ist oder ob sie vielmehr durch den Willen der Einwanderer selbst verursacht wird.
Jan Wójcik ist ein Forscher, der bei der Stiftung The Opportunity über Migration arbeitet, und ein regelmäßiger Mitarbeiter des polnischen Magazins für internationale Beziehungen „Układ Sił“. Wójcik schreibt außerdem in den polnischen Medien „Infosecurity24“ und „Dziennik Gazeta Prawna“.
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Vollständige Fassung (auf Englisch) auf Sovereignty.pl.
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Übersetzung: Visegrád Post