Dieser Artikel ist am 12. Dezember 2023 auf dem Portal Omerta erschienen.
Unser Korrespondent in Budapest analysiert exklusiv für OMERTA die ungarische Position zu einem möglichen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union, der derzeit in Brüssel diskutiert wird.
Laut einer am Montag in Ungarn veröffentlichten Umfrage lehnen 72% der Ungarn den sofortigen Beitritt der Ukraine zur EU ab. Die Bedenken beziehen sich insbesondere auf die Bedrohung der Ölversorgung, die unfaire Behandlung ungarischer Unternehmen und die Verschlechterung der Lebensbedingungen der dortigen ungarischen Minderheit. Wirtschaftliche Bedenken bestehen auch weiterhin aufgrund des Zustroms von ukrainischem Getreide.
EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember
Die Einzelheiten des EU-Beitrittsprozesses der Ukraine sollten am Donnerstag und Freitag in Brüssel, wo ein Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs stattfindet, auf dem Verhandlungstisch liegen. Laut Reuters könnten diese Verhandlungen allerdings auf März 2024 verschoben werden.
Die Medien berichten alle von einer Blockade durch den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, aber nur wenige weisen darauf hin, dass die Slowakei unter Robert Fico in diesem Punkt die gleiche Position wie Budapest vertritt. Die anderen europäischen Staats- und Regierungschefs scheinen zwar offener für Gespräche mit der Ukraine zu sein, tun dies aber nur in sehr allgemeinen Worten und sind nicht in der Lage, die Agenda für den Verhandlungsprozess mit Kiew zu präzisieren.
Unvorbereitete Entscheidungen
Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó sagte am Montag vor einem Treffen mit seinen Amtskollegen in Brüssel, dass „die Mehrheit der europäischen Politiker Entscheidungen treffen wollen, die völlig unvorbereitet sind“, während es „keine Einigung über die strategische Zukunft Europas“ gebe.
Péter Szijjártó führte anschließend ein langes Gespräch mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba und erinnerte ihn in einem als „sehr offen“ bezeichneten Austausch an die ungarische Position zu diesem Thema. Die beiden Männer hatten sich seit dem Ausbruch des Krieges im Februar 2022 nicht mehr getroffen, hielten aber natürlich Kontakt, um die Beziehungen zwischen Budapest und Kiew zu verbessern.
Laut Dmytro Kuleba, dessen Regierung es nicht geschafft hat, weitere 60 Milliarden US-Dollar Hilfe aus Washington zu erhalten, wäre es für sein Land „zerstörerisch“, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs diese Woche kein grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen geben würden. Ungarn plädiert seinerseits für mehr Vorsicht und erklärt, dass es sich nicht um eine taktische Frage, sondern um eine historische Entscheidung mit Auswirkungen auf die Zukunft der gesamten EU handelt.
Bemüht sich die Ukraine?
Dmytro Kuleba sagt es laut und deutlich: Die Ukraine hat ihre Versprechen gehalten, um in der Lage zu sein, diese Verhandlungen zu beginnen. Tatsächlich hat das ukrainische Parlament letzte Woche – und Präsident Volodymyr Zelenskiy hat sie bereits ratifiziert – vier Gesetze verabschiedet, die Teil der von der Europäischen Kommission gestellten Bedingungen sind. Dieses Gesetzespaket betrifft:
-die Aufstockung des Personals des Nationalen Büros für Korruptionsbekämpfung (NABU);
-die Befugnisse der Nationalen Anti-Korruptionsbehörde zur Kontrolle des Vermögens ihrer Beamten;
-die Unabhängigkeit der Sonderstaatsanwaltschaft für Korruptionsbekämpfung;
-die Rechte der nationalen Minderheiten. In Bezug auf diesen letzten Punkt wären die Teile, die ukrainischen nationalistischen Kreisen Sorgen bereiteten und die es der russischen Sprache ermöglicht hätten, fünf Jahre nach dem Krieg einige der betreffenden Rechte zu genießen, gestrichen worden. Die Beschränkungen, die der russischen Sprache auferlegt wurden, würden auf unbestimmte Zeit bestehen bleiben.
Der letzte Punkt ist für Budapest von entscheidender Bedeutung. Aus ungarischer Sicht mag dies zu hoffen geben, doch Kiew hat seine Versprechen in Bezug auf den Schutz der ungarischen Sprache und der ungarischen Schulen in Subkarpatien zu oft gebrochen. Ungarn fordert einfach die Rückkehr zur Situation vor dem ukrainischen Gesetz von 2015, das die Rechte der ungarischen Minderheit beschnitten hatte. Alles deutet jedoch darauf hin, dass wir davon noch weit entfernt sind, da das neue Gesetz nur ein Rahmen darstellt, der noch keine greifbaren Fortschritte bringt.
Dumping und Fass ohne Boden
Ein weiterer Punkt, der stark in Frage gestellt wird, sind die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen einer zu schnellen Integration der Ukraine. Nicht nur Ungarn, sondern auch Polen und die Slowakei wehren sich gegen die fehlenden Beschränkungen für die Einfuhr von ukrainischem Getreide. In den letzten Wochen hat sich dieser Konflikt auf die ukrainischen Lkw-Fahrer ausgeweitet, die in Mitteleuropa als Quelle kolossaler Dumpingpreise angesehen werden.
Die Lkw-Fahrer in den drei an die Ukraine angrenzenden Ländern Ungarn, Slowakei und Polen sind wütend und demonstrieren, bis hin zur Blockade von Grenzübergängen, wenn ihre ukrainischen Kollegen vorbeifahren.
Wie eine vom Ungarischen Institut für Internationale Angelegenheiten veröffentlichte Studie zeigt, ist die Ukraine auch aus wirtschaftlicher Sicht stark von finanzieller Unterstützung von außen abhängig geworden, um zu funktionieren. In einer solchen Situation würde der Beitritt der Ukraine der Europäischen Union eine enorme kontinuierliche finanzielle Belastung auferlegen. Ohne ein hohes Maß an ausländischer Unterstützung, die die ukrainische Währung stabilisiert, wäre die Ukraine auch nicht in der Lage, die Anforderungen an die Preisstabilität zu erfüllen.
Da Washington allerdings nicht mehr so begeistert zu sein scheint, die Ukraine finanziell zu unterstützen, ist es nicht etwa beabsichtigt, dass die Europäer auf Kosten ihres ohnehin schon relativen wirtschaftlichen Wohlstands einspringen?