Mitteleuropa – Am Donnerstag, den 8. Juni, stimmten die Innenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten in Brüssel mit qualifizierter Mehrheit einem Migrationspakt zu, das die Europäische Kommission als historische Einigung der Mitgliedstaaten über zwei zentrale Texte des Migrations- und Asylpakts bezeichnete. In Mitteleuropa und insbesondere in der Visegrád-Gruppe ist man weit davon allerdings entfernt, jene Brüsseler Euphorie über dieses Thema zu teilen.
Im Wesentlichen sieht das mehrheitlich beschlossene Abkommen – Ungarn und Polen stimmten dagegen, während sich die Slowakei ebenso wie Bulgarien, Malta und Litauen der Stimme enthielt – ein verbindliches Solidaritätssystem für die Steuerung der Ankunft von Asylanten und einen gemeinsamen Rahmen zur Straffung der Grenzverfahren vor. Demnach sollen jährlich 30.000 Asylbewerber umgesiedelt werden, während Mitgliedstaaten, die sich weigern, ihre Migrantenquote zu erfüllen, eine „Strafe“ von 20.000 Euro pro abgelehnter Person zahlen müssen werden. Damit kehrt eine alte Leier zurück, die seit 2015 durch die europäische Politik geistert und die die Länder der Visegrád-Gruppe vehement abgelehnt hatten.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ließ nicht lange auf sich warten, um auf diesen Schachzug Brüssels zu reagieren:
„Brüssel missbraucht seine Macht. Sie wollen Migranten gewaltsam nach Ungarn transferieren. Das ist inakzeptabel! Sie wollen Ungarn durch Zwang zu einem Einwanderungsland machen.“
Die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Nemzet titelte ihrerseits am Sonntag, den 11. Juni zu diesem Thema: „Brüssel würde die Schreckenszeit der Massenmigration wieder aufleben lassen“: „Die Europäische Union, die nichts aus dem Scheitern ihrer Migrationspolitik gelernt hat, verfolgt dieselben erfolglosen Maßnahmen wie zuvor, wie der neue Migrationspakt zeigt, über den am Donnerstag abgestimmt wurde.“ Und erinnerte an das Chaos, das durch die Migrationskrise 2015 ausgelöst wurde.
Ähnlich klang es in Warschau, wo Ministerpräsident Mateusz Morawiecki auf Twitter reagierte:
„Die erzwungene Umsiedlung löst das Problem der Migration nicht, sondern verletzt die Souveränität der Mitgliedstaaten. Polen wird nicht für die Fehler der Einwanderungspolitik anderer Länder bezahlen.“
Ähnlich forderte der Chefredakteur der polnischen Wochenzeitung Sieci, Jacek Karnowski, ein „Referendum über die Zwangsumsiedlung von Migranten durch die Europäische Union“, wie es Ungarn 2016 durchgeführt hatte, und meinte, dass dieses „bereits im Herbst, zusammen mit den Wahlen, stattfinden könnte“: „Es geht darum, einen Kanal einzurichten, durch den sie zuerst 20.000, dann 200.000 und schließlich 2 Millionen [Migranten] schicken werden… Es geht darum, eine Veränderung der ethnischen Zusammensetzung zu erzwingen.“
Der tschechische Innenminister Vít Rakušan gab sich seinerseits versöhnlicher: „Ich freue mich, dass die EU eine faire Lösung für die Bewältigung der Zuwanderung gefunden hat: keine Quoten, sondern eine auf Solidarität basierende finanzielle Unterstützung für die am stärksten belasteten Mitgliedsstaaten.
Die Tschechische Republik wird nun von der Beitragspflicht, wie ich vorgeschlagen hatte, angesichts der großen Zahl ukrainischer Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben, ausgenommen“.
Der ehemalige Ministerpräsident und Chef der Oppositionsbewegung ANO, Andrej Babiš, sieht die Dinge hingegen anders: „Migranten kapern mit Gewalt ein Boot, in Schweden gibt es No-Go-Areas, die Kriminalität steigt, und diese Menschen in Europa billigen diesen Wahnsinn. […] Dies ist eine weitere Einladung für illegale Einwanderung und Schlepper“.
In der Slowakei ist für den ehemaligen Ministerpräsidenten Peter Pellegrini, dessen Bewegung Hlas in den Umfragen für die vorgezogenen Wahlen im Herbst auf dem zweiten Platz liegt, die Sache klar:
„Wir lehnen die Einführung von Zwangsquoten für die Slowakei ab!“
Vor kurzem hatte der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund, dessen Besessenheit gegenüber der ungarischen Regierung sowie der Migrationsfrage bekannt ist, zugegeben, dass insbesondere Ungarn die ihm zustehenden EU-Gelder nicht erhalten werde, solange es sich der Einwanderung widersetze. Offiziell wird allerdings die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit als Grund für die illegale Blockierung von EU-Geldern angeführt.