Von Modeste Schwarz.
Mitteleuropa – Seit über einem Monat fallen die mitteleuropäischen Währungen (ich benutze persönlich die Bezeichnung Mitteleuropa in ihrer konventionellen geographischen Bedeutung, sprich das post-kommunistische Europa außerhalb der ehemaligen Sowjetunion) gegenüber den westlichen Währungen – sei es dem Dollar, dem Euro oder dem Pfund: diese Devaluation von 5-10% im Zusammenhang mit stabilen Transaktionsvolumen betrifft praktisch alle Länder der Zone (mit der selbstverständlichen Ausnahme der Slowakei, die sich 2005 für den Euro entschieden hat).
Aus dieser einfachen Feststellung entstehen zwei offensichtliche Schlussfolgerungen:
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Trotz der hoffnungslosen Anstrengungen einer durchaus diskreditierten liberalen Presse, die unter anderem in Ungarn und in Rumänien versucht, diese Entwicklung als die Demonstration des vorhersehbaren Bankrotts der mehr oder weniger heterodoxen Wirtschaftspolitiken zu interpretieren, die die Regierungen dieser Länder (seit 8 Jahren in Ungarn bzw. 4 Jahren in Rumänien) anwenden, verliert diese Lüge ihrer Wirkung, sobald man das geographische Ausmaß und die Chronologie des Phänomens beobachtet, das sowohl das reiche und geschickte Polen (siehe den Kurs Euro/Złoty) sowie ein noch sehr vom Kohlenbergbau abhängiges Rumänien (siehe den Kurs Dollar/Leu) bzw. sowohl dieses noch wesentlich den westlichen Diktaten unterworfene Rumänien als auch das sehr rebellische Ungarn (siehe den Kurs Dollar/Forint) in Mitleidenschaft zieht.
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Umgekehrt, auch wenn es mir niemals einfiele, die Realität der politisch bedingten Manipulationen der Kurse verschiedener Währungen leugnen zu wollen, halten die „Verschwörungstheorien“, die darin eine „Bestrafung Mitteleuropas“ sehen wollen (z.B. wegen seiner massiven Reaktion der Ablehnung gegenüber der Migrationspolitik der Open Society) nur schwer gegenüber der Realität des Phänomens stand, sowohl in dessen Timing (es wird seit den ungarischen Wahlen schlechter, während die rumänischen Präsidentschaftswahlen – im Prinzip – noch weit entfernt sind) wie in dessen Ausmaß (wieso sollte man z.B. Rumänien bestrafen, das immer noch ein Paradies für westliche Verlagerung mit „verhandelter“ Besteuerung bleibt, sich während der „Migrantenkrise“ unauffällig verhielt und den westlichen militärisch-industriellen Komplex aufgrund seiner anämischen Haushaltsmöglichkeiten über jede Vernunft hinaus subventioniert?)
Kurz gesagt ist es klar, dass es sich um einen echten und tiefgreifenden finanziellen Trend handelt (und nicht um eine vorläufige Nebelwand im Dienste einer politischen Agenda), der einer globalen Erklärung bedarf.
Diese Erklärung wurde höchstpersönlich vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán während eines Radiointerviews am 8. Juni durch die Blumen geliefert, ein Interview, das übrigens auf YouTube unter dem Titel „Möglicherweise kommt bald die Krise“ aufgeladen wurde. Auf die Frage einer Journalistin, warum es im Haushaltsentwurf für 2019 eine Reduzierung des ungarischen Haushaltsdefizits vorgesehen wird, die über die Forderungen Brüssels in dem Bereich hinaus geht, antwortete er, dass es sich im Haushalt um eine „Absicherung des Wachstums“ handle, die „Erdbeben standhalten“ solle. Indem er behauptete, „den Ratschlägen der führenden ungarischen Wirtschaftswissenschaftler zuzuhören“, betrachtete er als wahrscheinlich, dass die Zinsen weltweit erhöht werden bzw. dass der schon begonnene weltweite „Handelskrieg“ sich verschlimmern werde (was die Instabilität der globalisierten Wirtschaft verschlechtern werde und daher den Steigerungstrend der Zinsen nur verstärken könne).
Dadurch kann man schon mal sagen, dass Viktor Orbán bloß ein offenes Geheimnis verraten hat. Seit langer Zeit von mehreren Analysten vorhergesagt könnte ein Remake der Krise des Jahres 2008 (dessen Unvermeidlichkeit aus sehr ernsthaften Argumenten entsteht – wie z.B. denjenigen, die der französische Essayist Michel Drac seit Monaten vorbringt) durchaus bis Jahresende bzw. spätestens 2019 stattfinden. Dessen Bevorstehen erscheint – aus leicht verständlichen psychologischen Gründen – zwar selten auf den Erstseiten der Zeitungen, doch wird es immer leichter, es im Hintergrund unterschiedlicher Erklärungen wahrzunehmen – inbegriffen der Erklärungen von Amtsträgern von westeuropäischen Regierungsparteien. In Reaktion auf die Macron-Merkel-Erklärung von Meseberg (die einen schüchternen Aufruf zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Haushalts beinhaltete) kritisiert Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU, die Position seiner eigenen Kanzlerin und behauptet u.a., dass „Europa einen transparenten Mechanismus braucht, der den Ländern der Eurozone erlaubt, ihre Schulden im Falle einer Krise zu umzustrukturieren.“ Selbstverständlich gehören die bewußten Gegenstände einer solchen Erklärung und deren Verbreitung (durch die Wirtschaftswoche, übernommen von Euractiv) zur deutschen Innenpolitik (die bayrischen Wahlen stehen ja vor der Tür): Steiger kann sowohl selber von den Interessen der deutschen Banken beeinflußt werden und als Politiker eine Trennung seiner Partei von der CSU befürchten (Letztere ist durchaus in der Lage, aus ordo-liberalem Fanatismus den Brüssler Ast abzusägen, auf dem der deutsche Wohlstand sitzt – die Geschichte wird es uns bald zeigen). In diesem Diskurs ist das Bevorstehen der Krise bloß ein Aspekt in dem Zusammenhang und stellt wahrscheinlich schon eine Selbstverständlichkeit in den Besprechungen dar, die off the record von besagtem Steiger und den europäischen Entscheidungsträgern gleichen Niveaus gehalten werden. Gleichermaßen wendet sich das hier oben erwähnte Interview Viktor Orbáns, das auf Ungarisch im ungarischen staatlichen Rundfunk gegeben wurde, vor allem der ungarischen Öffentlichkeit und nicht den Finanzmärkten (die sowieso wissen, was Sache ist). Es ist umso interessanter zu bemerken, dass es bei diesen beiden Politikern, die übrigens alles (außer ihre immer formellere EVP-Mitgliedschaft) trennt, einen gleichen Erwartungshorizont im wirtschaftlich-finanziellen Bereich gibt.
Und dies ist nicht erst seit gestern der Fall: man kann u.a. sich fragen, inwiefern die neuliche katalanische Krise – über den historischen Konflikt zwischen Madrid und Barcelona hinaus – nicht großteils von einer katalanischen Bourgeoisie inspiriert wurde, die wohl die Größe des Pfunds Fleisch verhandeln möchte, den sie bei der wirtschaftlichen Zerlegung Spaniens wird liefern müssen (welche im Falle einer Weltkrise nur beschleunigt werden kann). Schließlich, wenn man die spekulative Kühnheit etwas weiter bringt, ist es auch nicht verboten zu denken, dass die von manchen Sektoren des angelsächsischen Kapitalismus dem Brexit bzw. dem Wahlkampf Donald Trumps gewidmete Unterstützung auch aus einem Willen hat entstehen können, die bestmögliche Stellung am Deck der Weltfinanz-Titanic im Hinblick auf den zu erwartenden Aufprall zu erhalten.
Wenn man erst mal diese Hypothese verinnerlicht hat, dann ist die neuliche Krise der mitteleuropäischen Währungen gar nicht mehr so geheimnisvoll. Alle, die wie ich, das zweifelhafte Privileg besitzen, im Alter und im Stande zu sein, die Verkettung der Ereignisse der „Krise von 2008“ zu verstehen, erinnern sich daran, dass ein Sturz der Kurse eben dieser Währungen ebenfalls zu den Vorzeichen besagter Krise gehört hatte, und dies aus übrigens sehr wohl bekannten Gründen (die die Mainstreampresse sich davor hütet, daran zu erinnern): in unterschiedlichen Maßen (etwas weniger in Polen, etwas mehr in Ungarn und vollständig in Rumänien) bleibt der Banksystem dieser Länder weitgehend von den westlichen Banken beherrscht, die entweder durch Filialen mit gleichem Namen (Société Générale, Erste Bank, Raiffeisen, usw.) oder etwas besser versteckt unter der Firmierung von Banken vertreten sind, die ehemals vom einheimischen Kapital gegründet worden waren, bevor sie inzwischen aufgekauft wurden. Allerdings führt jede Antizipation der Erhöhung der weltweiten Leitzinsen (man schämt sich beinahe, daran zu erinnern) zu einer (zumindest potentiellen – antizipierten) Kreditkrise, die die schon gewaltige Exponierung der westlichen Banken (u.a. aufgrund der Minenfelder an Derivaten, mit denen ihre Bilanz durchsät werden) vor dem Risiko einer plötzlichen monetären Kontraktion verschlechtert; die Muttergesellschaften bemühen sich also, ihre interne Kapitalisierung zu verstärken, u.a. indem sie die Kapitalausstattung ihrer Filialen der peripheren Länder zurückfahren, die dann wohl gezwungen werden, den Schock einzustecken, da sie sich auf der falschen Seite dieser „beschränkten monetären Souveränität“ befinden, deren Wachthunde die EZB, der IWF, die Weltbank usw… sind. Sie schaffen somit eine Währungsnot auf den lokalen Märkten, die durch das (global verfälschte doch lokal effiziente) Gesetz von Angebot und Nachfrage zur Verteuerung besagter Währungen gegenüber den lokalen führt (für die der einzige Weg, um sich dem zu entziehen, eine Entdollarisierung/Enteuroisierung der einheimischen Banksysteme wäre – die natürlich ohne einen Banksystem mit einheimischem Kapital unmöglich ist).
Was die vorhersehbaren Konsequenzen dieses Phänomens anbelangt, so fangen wir damit an, manche der falschen Schlussfolgerungen zu beseitigen, die eine oberflächliche oder ausweichende Analyse diktieren könnten: nein, kurzfristig stellen diese Devaluationen keine Katastrophe für Mitteleuropa dar. Sie kurbeln dessen Exporte an (einschließlich dieses Exports in situ, den der für die ungarische Wirtschaft sehr wichtige Tourismus darstellt), lassen den vor Ort vorhandenen internationalen Konzernen Gewinne auf ihre Personalkosten realisieren (da sie ihre Arbeiter in Lei, Forint, Złoty usw. zahlen, doch ihre Produkte wohl in Euro bzw. Dollar nach der Fertigmontage in Deutschland, Österreich, Frankreich usw. verkaufen) und ermutigen somit zu Investitionen (wie dies z.B. der Boom der IT-Branche in Rumänien zeigt, der trotz des von der pro-westlichen Presse im Rahmen ihrer Kampagnen gegen die PSD an die Wand gemalte Schreckgespenst nicht abflaut). Darüber hinaus ermutigen sie zur sehr notwendigen regionalen wirtschaftlichen Integration – da all diese Währungen einigermaßen stabil untereinander bleiben, während sie nur zusammen gegenüber den westlichen Währungen fallen; indem sie fortbestünden, könnten sie also mutatis mutandis die gleichen – letztendlich heilsamen – Konsequenzen wie die gegen Russland seit der ukrainischen Krise verhängten Sanktionen haben: die Importe (vor allem von Lebensmittel) zu reduzieren und dazu anzuregen, vor Ort für die lokalen und regionalen Märkte zu produzieren. Man könnte ja dazu erwidern, dass sie auch den Export der Köpfe fördern, was technisch gesehen wohl stimmt, doch keine so große Bedeutung hat, da der Brain Drain schon gewisse strukturelle Grenzen erreicht hat (die sich seit über einem Jahr durch das Verschwinden der Arbeitslosigkeit und die ständige Steigerung der Gehälter in der Region zeigen).
Mittel- und langfristig dagegen – sprich bezüglich der nach dem tatsächlichen Ausbruch der sich am Horizont ankündigenden Krise vorzusehenden Konsequenzen – ist das Bild schon weniger rosarot. Ungarn und Polen sind zwar sehr urbanisiert und einigermaßen gut industrialisiert, doch aufgrund einer vom deutschen Kapital tragischerweise abhängigen Reindustrialisierung exportieren sie wohl ziemlich gut, doch importieren sie ebenfalls sehr viel und zwar vorwiegend aus der Eurozone. Auf einmal versteht man wohl besser das mittelfristige Interesse der Öffnungspolitik Viktor Orbáns gegenüber den Osten (u.a. in Richtung der Seidenstraße): sollte Deutschland den gerade laufenden Finanz- und Handelskrieg verlieren, könnten die großen deutschen Konzerne unter politischem Druck versuchen, ihre deutschen Niederlassungen zu retten, indem sie einen Teil der bisher in ihrem mitteleuropäischen Hinterland ausgelagerten Produktion repatriieren würden – in wessen Fall Länder wie Ungarn und Polen zwischen einem (aufgrund des Absturzes ihrer Handelsbilanz) galoppierenden Haushaltsdefizits und einer (eigentlich schon laufenden) Umorientierung ihrer Güter- und Kapitalimporte zu wählen hätten – welche langfristig zwangsweise die Frage ihrer politischen Loyalität stellen wird – deren einziger echter Garant derzeit die Furcht vor einer russischen Drohung ist, die die baltischen Staaten (aus verständlichen Gründen) bzw. unterschiedlich (aus diskutableren Gründen) Polen und Rumänien im Griff hat.
Was Rumänien betrifft, ist es aufgrund seiner minderen Industrialisierung und der Veräußerung eines Viertels seiner Bevölkerung gleichzeitig den hier oben beschriebenen langfristigen Konsequenzen weniger ausgesetzt (da sehr viele Rumänen ihr Gehalt ganz oder teilweise… in westlichen Währungen beziehen) und für die kurzfristigen Konsequenzen empfindlicher, da es sowohl Nettoimporteur gegenüber der Eurozone ist, wie auch von der europäischen Manna weit weniger profitiert (die „Brüssel“ natürlich lieber nach Budapest und Warschau hinführt, wo sie in Wahrheit… die deutsche Industrie finanziert): diese Konfiguration macht das (seit Monaten frenetisch von der PSD-feindlichen Presse an die Wand gemalte) Inflationsrisiko immer glaubwürdiger (obwohl nicht aus den im allgemeinen von besagter Presse vorgebrachten Gründen) und die Regierung in Bukarest wird nur in der Lage sein, aus den Konsequenzen eines inflationären Kontexts positiv Kapital zu schlagen, wenn sie ihren Willen konkretisiert, ein Staatsstratege zu sein (und u.a. endlich dieses Staatsfonds gründet, das zwar wie das Ungeheuer von Loch Ness alle sechs Monate an der Oberfläche des PSD-Diskurses wieder auftaucht, ohne allerdings dass ein fester Termin je genannt werde). Im allgemeinen und obwohl die letzten 15-18 Monate eher die Stabilität des PSD-ALDE-Regimes trotz eines hysterischen Protests der „zivilen Gesellschaft“ in einem (in Rumänien besonders hohen) Zusammenhang von Wachstum bewiesen haben, kann man sich fragen, inwiefern ihr derzeitiger – eher passiver, verwalterischer, zaghafter und unpolitischer – Regierungsstil durch eine regionale, europäische oder gar weltweite Durststrecke wird standhalten können.
Aus dem Französischen übersetzt von Visegrád Post.