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Siebenbürgen: die erstaunlichen Gebete von Bischof Tőkés

Lesezeit: 3 Minuten

Von Raoul Weiss.

Rumänien – Am 25. April besuchte László Tőkés, Bischof der Ungarischen Reformierten Kirche in Siebenbürgen und lebende Legende des Kampfes für die Rechte der ungarischen Minderheit in Rumänien bzw. Fidesz-Europaabgeordneter die Herren István Beke und Zoltán Szőcs im Gefängnis, die zwei SzeklerAktivisten, die vor neun Monaten von den rumänischen Behörden wegen Terrorismus inhaftiert wurden. Er rief ebenfalls den rumänischen Präsidenten Klaus Johannis auf, die beiden Aktivisten zu begnadigen. Sie könnten also gerade dabei sein, den Anfang einer schönen christlichen Geschichte von Vergebung und Versöhnung zu lesen, da es der gleiche Klaus Johannis ist, der höchstpersönlich Tőkés den ihm 2009 verliehenen Stern von Rumänien 2016 wieder aberkannte, und zwar kurze Zeit nachdem er u.a. dank den Stimmen eines Großteils der ungarischen Minderheit gewählt wurde! Doch scheint dieser Gesuch ebenfalls widersprüchlich, insofern der Bischof die Herren Beke und Szőcs gleichzeitig als unschuldige Opfer eines politischen Prozesses darstellt. Doch wer zum Teufel könnte schon politische Prozesse in Rumänien organisieren, wenn nicht der berüchtigte rumänische tiefe Staat, dem Klaus Johannis bekanntermaßen euphemistisch nunmal nahe steht? Und warum sollten Unschuldige begnadigt werden, statt mit Entschuldigungen und Entschädigungen auf freien Fuss gesetzt zu werden?

In Wirklichkeit erscheint Tőkésʼ Initiative im Zusammenhang mit einer  Eskalation des u.a. gerichtlichen und mediatischen Machtkampfs innerhalb der rumänischen Exekutive zwischen der auf einer von der Sozialdemokratischen Partei Liviu Dragneas dominierten Parlamentsmehrheit gestützten Regierung und dem mit der größten Oppositionspartei (der National-Liberalen Partei, sprich mehr oder weniger die Nachfolgerin der Demokratischen Partei Traian Băsescus) und dem tiefen Staat verbündeten Präsidenten Klaus Johannis. Vor zehn Jahren standen der ungarische Fidesz und seine damaligen Verbündeten innerhalb der ungarischen Minderheit in Rumänien (darunter u.a. Bischof Tőkés) dem System Băsescu noch ziemlich nah. Aber das war vorher. Inzwischen ist Viktor Orbáns Fidesz, als „populistisch“ dämonisiert, zum Buhmann der Eurokratie geworden, während die vom Volksdeutschen Klaus Johannis unter seine Kontrolle gebrachte rumänische „Rechte“ zur lokalen Vollstreckerin der schmutzigen Machenschaften der Brüssel-Berlin-Achse avancierte. Hat etwa László Tőkés (der heuer seinen 67. Geburtstag feiert) damit angefangen, mehr in seinen Erinnerungen als in der gegenwärtigen Wirklichkeit zu leben?

Nicht unbedingt. Wenn der (immer weniger kalte) Krieg innerhalb des rumänischen Staats intensiver wird, so ist es u.a. wegen der herannahenden Europawahlen, die die Rumänen bisher nie besonders begeistert haben, und die man nun doch als Generalprobe für die Präsidentschaftswahlen am Ende des Jahres betrachtet. Nun scheinen die beiden Lager sich in offener Gefechtsordnung, uneins und geschwächt, dem Schlachtfeld anzunähern: eine ideale Ausgangssituation für die ungarische Minderheit, die, obwohl sie nur 7% der Bevölkerung darstellt, durchaus hoffen kann, wie schon in der Vergangenheit zur Königsmacherin der rumänischen Mehrheit zu werden, was die Anführer besagter Minderheit nur dazu bewegen kann, ihre Forderungen (u.a. in Bezug auf ihre Minderheitenrechte bzw. auf die Rückgabe von unter dem kommunistischen Regime konfiszierten Gütern) höher zu schrauben. Ein solcher Zusammenhang schafft selbstverständlich auch die idealen Bedingungen für eine Eskalation der Rivalitäten innerhalb der politischen Vertretung besagter Minderheit: während ihre historische Mehrheitspartei RMDSZ (die der EVP angehört) – auch ohne Regierungsbeteiligung – die Mehrheit Liviu Dragneas kritisch und bedingt unterstützt, doch einige Mühe hat, um aus diesem Pragmatismus Kapital in der Form von Zugeständnissen zu schlagen, versuchen wahrscheinlich die kleinen nationalistischen Parteien (darunter Tőkésʼ kleiner Szekler Nationalrat), die seit ca. zehn Jahren eine Konkurrenz für die RMDSZ darstellen, letztere nun zu überholen, indem sie versuchen, die (moralischen bzw. materiellen) Vorteile von Allianzen innerhalb der rumänischen „Rechte“ gelten zu machen – bzw. zumindest ihren potentiellen Wählern den Eindruck zu vermitteln, dass solche Vorteile und solche Allianzen entstehen könnten. Da allerdings der Spitzenkandidat von Klaus Johannisʼ PNL kein anderer ist als der Journalist Rareş Bogdan, der seit Jahrzehnten zum Gesicht und zur Stimme der paranoidsten Ungarnfeindlichkeit geworden ist, könnte für diese Versöhnung der rumänischen und ungarischen Rechten – mehr als bloß die politische Geschicklichkeit eines Bischofs – wohl ein Wunder des Himmels erforderlich sein.

Da – zumindest in der Politik – Wunder eher selten sind, kann man in Erwartung dessen sich fragen, wie die ungarische öffentliche Meinung in Siebenbürgen auf dieses Pokern reagieren wird, die die feindlichen Brüder der ungarischen Eliten über die Köpfe der Menschen hinwegtreiben. Da nicht alle in die Feinheiten der Strategie eingeweiht sind, könnten die Wähler wohl den Zynismus nicht verstehen, der hinter solchem Manöver steckt, sondern sich bloß die Anschuldigungen der „Korruption“ merken, die Tőkés (der erstaunlicherweise ähnliche Akzente anstimmt wie die ungarische liberale europahörige Linke in ihrem Kreuzzug gegen seinen Freund Orbán) gegen die RMDSZ schleudert. Doch aufgrund der Sperrklauseln könnte der Ausgang dieses gefährlichen Spiels wohl das Ende der ethnischen Vertretung der ungarischen Minderheit in Bukarest sein – genau in dem Moment, wo aufgrund der RMDSZ-Fidesz-Allianz und der Möglichkeit, sich als Königsmacherin im rumänischen Machtspiel an den Verhandlungstisch zu behaupten, letztere darauf hoffen konnte, – zum ersten Mal in ihrer Geschichte! – künftige Verhandlungen in einer Position der Stärke anzugehen. Ein solcher Fehler seitens der ungarischen Eliten Siebenbürgens wäre umso unverzeihlicher, als – wenn sie auch meine Analysen nicht lesen – das neuliche slowakische Beispiel doch hätte genügen müssen, um ihnen zu zeigen, was einer ungarischen Minderheit im Karpatenbecken geschieht, wenn sie sich durch die politischen Leidenschaften der ethnischen Landesmehrheit dividieren und packen lässt, statt auf das Prinzip der ethnischen Vertretung zu achten.


Übersetzt von Visegrád Post.