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Polen: die politische Lage nach den Wahlen vom Oktober

Lesezeit: 4 Minuten

Von Olivier Bault.

Polen – Jarosław Kaczyński, der Anführer der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) hatte kein Hehl daraus gemacht, dass der PiS mindestens zwei vierjährige Legislaturperioden lang regieren sollte, um seine Reformen zu vollenden bzw. nachhaltig abzusichern. Die allerhöchste Priorität war also für ihn, die absolute Mehrheit im Parlament für seine aus dem PiS und zwei kleineren Parteien – „Solidarisches Polen“ (Solidarna Polska) von Justizminister Zbigniew Ziobro und „Verständigung“ (Porozumienie) von Vizeministerpräsident und Bildungsminister Jarosław Gowin – bestehende Koalition der Vereinigten Rechten bei den Wahlen am 13. Oktober zu verteidigen. Die beiden Juniorpartner der Koalition erhielten zusammen 36 Abgeordneten, die auf den Listen vom PiS gewählt wurden; ohne sie hätte Kaczyńskis Partei keine absolute Mehrheit.

Diese Abhängigkeit ließ sich rasch bemerken, als PiS-Mandatare vorschlugen, die Höchstbemessungsgrundlage für Rentenversicherungsbeiträge abzuschaffen, eine Maßnahme, die zwar von Gowins Partei abgelehnt wird aber mit den Stimmen der Linken verabschiedet werden könnte. Unter dem Druck seines Verbündeten zog der PiS es letzte Woche vor, vorläufig auf dieses Vorhaben zu verzichten. Jarosław Gowin distanzierte sich anfangs ebenfalls von der Wahl dreier Kandidaten für das Verfassungsgericht durch den PiS (die schließlich anlässlich des Votums von Gowin und dessen Partei unterstützt wurden) um Richter zu ersetzen, deren neunjähriges Mandat ausläuft. Zwei von ihnen sind umstritten: Stanisław Piotrowicz und Krystyna Pawłowicz sind zwar Rechtsfachleute doch waren sie auch beide sehr aktive PiS-Abgeordnete in der vorigen Legislaturperiode. Als Abgeordnete fiel Frau Pawłowicz u.a. durch ihre heftigen Redebeiträge auf, die öfters aggressiv bzw. beleidigend ihren Kritikern gegenüber waren. Was Stanisław Piotrowicz anbelangt, so wurde er als Präsident des Sejm-Ausschusses für Justiz und Menschenrechte einer der Hauptakteure der Justizreformen die sich im Fokus der Angriffe seitens der Opposition wie auch Brüssels befinden. Ferner geht diese Wahl vonstatten, während die derzeitige Präsidentin des Verfassungsgerichts, die selber vom PiS ernannt worden war, erneut von einem Richter eben dieses Gerichts beschuldigt wird, Urteile aus politischen Gründen zu manipulieren. U.a. wird Gerichtspräsidentin Julia Przyłębska vorgeworfen, die Richter, die über einen Fall urteilen sollen, jeweils im Hinblick auf das erwartete Urteil auszuwählen bzw. die Untersuchung mancher Fälle zu blockieren. Man merke, dass genau diese beiden Vorwürfe gegen ihren Vorgänger unter den Regierungen Donald Tusks ebenso erhoben wurden – allerdings nicht von Richtern aus dem Verfassungsgericht.

Die Partei „Solidarisches Polen“ fordert ihrerseits, dass der PiS seine Entscheidung revidiere, die Ernennung der linken Abgeordneten Magdalena Biejat an die Spitze des Ausschusses für Sozial- und Familienpolitik zu unterstützen. Während der PiS sich wehrt und erklärt, dass seine Unterstützung sich aus der Aufteilung des Vorsitzes der parlamentarischen Ausschüsse unter den verschiedenen Fraktionen im Sejm ergebe, meint man im rechten Lager, sprich innerhalb der Vereinigten Rechten aber auch bei den 11 nationalistischen und liberal-konservativen Abgeordneten der Konfederacja, dass es inakzeptabel sei, eine Pro-Abtreibungs-Aktivistin an die Spitze dieses Ausschusses ernannt zu haben, wo der PiS seit schon anderthalb Jahr das Volksbegehren blockiere, das eugenische Abtreibungen verbieten soll.

Nach den erfolglosen Versuchen des PiS, einige oppositionelle bzw. unabhängige Senatoren zu überzeugen, sich seiner Fraktion im Senat anzuschließen, hat die Partei Kaczyńskis andererseits mit 48 Sitzen von 100 die Kontrolle über das Hohe Haus verloren. Der neue Marschall (Präsident) des Senats, der mit den Stimmen aller Oppositionsparteien gewählt wurde, ist nunmehr Senator Tomasz Grodzki von der linksliberalen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO). Dies hindert den PiS zwar nicht daran, zu regieren bzw. Gesetze verabschieden zu lassen, da der Sejm im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Kammern das letzte Wort hat, doch wird es ihn allerdings daran hindern, Gesetze ohne Verzug zu erlassen, wie er es im Laufe der vorigen Legislaturperiode ab und zu getan hat. Der neue Marschall des Senats hat versprochen, alles zu tun, damit der Senat dazu beitrage, die Gesetze durch fundierte Arbeit zu verbessern. Eine seiner ersten Wortmeldungen bestand jedoch darin, anzukündigen, dass er den US-amerikanischen Senat besuchen möchte, um sich dort bei den Autoren eines gegenüber der Regierung Beata Szydłos sehr kritischen Briefes aus dem Jahr 2016 dafür zu bedanken, den Rechtsstaat in Polen verteidigt zu haben.

Hingegen gibt es innerhalb der Regierung – abgesehen von der Neuaufteilung mancher Kompetenzen unter den Ministerien wie z.B. die Schaffung eines vom Umweltministerium getrennten Klimaministeriums – keine wesentlichen Veränderungen. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki verpflichtet sich weiter, genauso wie die stellvertretenden Ministerpräsidenten Jarosław Gowin und Kulturminister Piotr Gliński. Ferner bleibt Zbigniew Ziobro Justizminister. Ebenso gibt es im Außen-, im Verteidigungs- bzw. im Innenministerium keine Änderungen. Dafür gibt es einen neuen Finanzminister, Tadeusz Kościński, der aber schon Staatssekretär im gleichen Ministerium in der vorigen Regierung Morawiecki war.

Das Hauptziel der neuen Regierung Morawiecki nach den Wahlen vom Oktober ist nun, die großzügigen und daher kostspieligen Versprechungen des PiS im sozialen Bereich in einem Kontext von wirtschaftlichem Abschwung umzusetzen und dabei trotzdem einen ausgewogenen Haushalt 2020 zu erreichen, wie dies vor den Wahlen angekündigt wurde. Deswegen also die Versuchung, die Höchstbemessungsgrundlage der Rentenversicherungsbeiträge abzuschaffen bzw. manche Gebühren auf Zigaretten, Alkohol bzw. Kraftstoff zu erhöhen. Was dabei die Aufgabe der Regierung Morawiecki schwieriger macht, ist, dass man gleichzeitig den Sieg von Präsident Andrzej Duda bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Mai absichern müsse, denn es wäre in der Tat wesentlich unbequemer für den PiS, das Amt des Staatspräsidenten als den Senat an die Opposition zu verlieren, da der polnische Präsident die Befugnis besitzt, sein Veto gegen die vom Parlament verabschiedeten Gesetze einzulegen. Dabei braucht man nicht zu betonen, dass der PiS und dessen Verbündete nicht über die notwendige Dreifünftelmehrheit verfügen, um ein solches Veto des Präsidenten abwehren zu können.

 

Übersetzt von Visegrád Post.