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László Tőkés: „Es widert es mich an, wie das Paar Ceauşescu behandelt wurde, aber sie haben es verdient“

Lesezeit: 20 Minuten

Interview mit dem siebenbürgischen kalvinistischen Bischof László Tőkés:  „Es widert es mich an, wie das Paar Ceauşescu behandelt wurde, aber sie haben es verdient“.

László Tőkés ist eine der Hauptpersönlichkeiten der Rumänischen Revolution, die zum Sturz des Ceaușescu-Regimes führte. Dann wurde er zu einem wichtigen Politiker erst in Rumänien und später in Ungarn, da er sowohl Rumänien (2007-2014) wie auch Ungarn (2014-2019) im Europaparlament vertrat.

Dreißig Jahre nach der Revolution von 1989 kam er auf diese entscheidenden Momente der zeitgenössischen Geschichte Rumäniens zurück und lieferte seine Meinung über die künftigen Perspektiven Rumäniens und Mitteleuropas.

Er beantwortete die Fragen von Ferenc Almássy. Ein Teil des Interviews wurde auf dem französischen Fernsehkanal TV Libertés ausgestrahlt.

Ferenc Almássy: Wie würden Sie das Leben in Rumänien am Ende der 1980er Jahre beschreiben? Wie war damals die Stimmung? die Atmosphäre?

László Tőkés: Wir waren in einer solchen Situation, dass man wir nirgendwo mehr hatten, wohin wir uns flüchten konnten, denn wir bißen uns auf Granit. Das Land war durch absolutes Elend, Verzweiflung und Armut gekennzeichnet, was durch den immer wiederkehrenden Stromausfall durchaus symbolisiert wurde. Wir lebten im Rumänien der Finsternis sowohl im übertragenen wie im eigentlichen Sinn des Wortes. Bei jedem Stromausfall erstarrten die rumänischen Bürger vor Angst. Wir haben mehrere Fälle diesbezüglich erlebt: der Strom wurde während der Abendmesse abgeschaltet, damit jeder beängstigt sei und denke, dass die Männer der Securitate kommen würden, um uns abzuholen. Somit komme ich auf die Geheimpolizei. Die rumänischen Geheimdienste, die damals herrschten, beschäftigten eine Rekordanzahl an Informanten und die Aktivitäten der Securitate waren insbesondere gegen die Intellektuellen, die Kirche und die Minderheiten gerichtet. Die Securitate verfügte über eine Sonderabteilung, die sich mit den ungarischen Irredentisten und mit den deutschen Faschisten befasste. Die deutsche Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller könnte viel darüber sagen und erklären, was sie alles durchmachen musste. Wir wurden als ungarische Irredentisten betrachtet und vom rumänischen kommunistischen Regime unterdrückt, das ein national-kommunistisches Regime war. Es ist interessant anzumerken, dass es nicht der proletarische Internationalismus war, sondern die religiöse und ethnische Doppelbezeichnung und eine gegen die Minderheit gerichtete Politik, die Rumänien kennzeichneten.

Der Eingang der Kirche in der Innenstadt von Temeschwar. Bild: Visegrád Post

Ferenc Almássy: Sie haben gerade über die Securitate gesprochen. Reden wir also über die Rolle, die die Securitate im Regimewechsel gespielt hat. Welche Erfahrung haben Sie mit dieser Behörde?

László Tőkés: Das Ceauşescu-Regime war die letzte brutale kommunistische Diktatur stalinistischer Prägung. Es funktionierte mit sehr starken Geheimdiensten. Was mich betrifft, so war der Kampf 1989 eben ein Kampf um Leben und Tod. Für die Gemeindemitglieder und für mich war es ein Kampf gegen die Securitate, gegen die Rumänische Kommunistische Partei [PCR], gegen das Ceauşescu-Regime und, muss man wohl sagen, gegen die klerikale Diktatur, denn in dieser Zeit waren die meisten unserer Bischöfe mehr oder weniger Anhänger von Ceauşescu bzw. rumänenfreundliche und vom kommunistischen Regime korrumpierte Kirchenführer, die dem Regime dienten.

Es ist wichtig anzumerken, dass die Anführer aller Kirchen – vom rumänischen Patriarchen Teoctist I. bis hin zu meinem eigenen Vorgesetzten dem kalvinistischen Bischof László Papp – die Wahl Ceauşescus an der Spitze der PCR im November 1989 anlässlich des letzten Parteitags begrüßt hatten.

Die rumänischen Geheimdienste waren so stark, dass man sie eventuell nur mit den ostdeutschen Diensten, mit dem KGB, mit den chinesischen bzw. nordkoreanischen Diensten vergleichen konnte. Die Dienste hielten das Land unter Terror. Damals benutzte ich die Metapher der Mauer. Man musste die Schweigemauer durchbrechen, damit die Welt erfahre, was hier vonstattenging, denn Ceauşescu wurde als Friedenskämpfer gefeiert. Frau Thatcher und der Präsident der USA hatten ihn empfangen und seine Frau Elena war zur Ehrendoktorin mehrerer Universitäten ernannt worden. Als wir nicht mehr zurückkonnten, mussten wir gegen die Träger dieses Regimes der Angst, der Einschüchterung und des Schweigens vorgehen. So habe ich meine letzten neun Monate verbracht, als ich von Kronstadt (Braşov) nach Burglos (Dej) und dann nach Temeschwar (Timişoara) geschickt wurde. Arbeitslos seit zwei Jahren bemühte ich mich, überall der Kirche und meinem Volk zu dienen, ein treuer Jünger unseres Herrn Jesus Christus zu sein, der sagte, dass wenn man schweige, die Steine zu schreien anfangen. Das ist das, was ich prädigte, als sich die Frage der Dörferzerstörung sich gestellt hat.

Das letzte größenwannsinnige Projekt Ceauşescus bestand darin, 7000 Dörfer zu zerstören und deren Bevölkerung in vom Staat gebaute Viertel umzusiedeln. Wir konnten das nicht mehr ertragen, denn sie wollten unsere Kirchen und Dörfer zerstören. Diese Affäre stellte einen casus belli dar: im September 1988 haben wir in meinem Bistum ein Memorandum verfasst. János Molnár und ich haben in diesem Memorandum den Behörden eine Verhandlung vorgeschlagen, um die Zerstörung unserer Kirchen und die Auflösung unserer Pfarrgemeinden zu vermeiden. Es sind die von dieser Initiative hervorgerufenen Repressalien, die zu den Ereignissen von 1989 geführt haben.

Ferenc Almássy und László Tőkés. Bild: Visegrád Post

Ferenc Almássy: Viele haben Ihnen vorgeworfen, selbst ein rumänischer Agent, ein ungarischer Agent oder sonst noch was gewesen zu sein. Warum diese Anschuldigungen? Vielleicht, weil die Revolution Ihretwegen ausgebrochen ist?

László Tőkés: Das Ceauşescu-Regime und die Securitate leben weiterhin. Die Securitate wurde umgenannt und modernisiert doch im Großen und Ganzen besteht die Ceauşescu-Doktrin weiter fort, dergemäß die Ungarn ein Risiko für die Sicherheit Rumäniens darstellen. Laut dieser Doktrin würden die Ungarn Rumäniens Siebenbürgen vom Rest des Landes trennen wollen. Ceauşescu versuchte auch in diese Richtung zu gehen, als er in der Verzweiflung der letzten Momenten im Dezember 1989 behauptete, dass die Ungarn in Rumänien einmarschiert seien und rumänische Arbeiter bzw. Bergarbeiter aus Craiova und aus dem Schiltal (Valea Jiului) hierher mit dem Zug kommen ließ, damit sie die angebliche ungarische Invasion bekämpfen.

Im März 1990 hat die rumänische Regierung die gleiche Methode angewandt, als sie die Ungarn unterdrückte, die in Neumarkt am Mieresch (Târgu Mureș / Marosvásárhely) für ihre Schulen demonstrierten, und ließ Bauern aus dem Görgental (Valea Gurghiului) kommen, indem man erklärte, dass die Ungarn Siebenbürgen von Rumänien trennen wollten [diese Ausschreitungen haben mehrere Todesopfer verursacht, NdR]. Das ist zur einer stetigen Anschuldigung gegen uns geworden. Stellen Sie sich vor, dass man mich beschuldigt, mit den amerikanischen, ungarischen und sowjetischen Geheimdiensten mit dem Ziele zusammengearbeitet zu haben, die Souveränität Rumäniens zu beeinträchtigen und Siebenbürgen davon zu trennen. Es ist zu einer Gewohnheit geworden; das nennt man, die ungarische Karte zu spielen: egal was ein Ungar macht, auch wenn er bloß seine Rechte verteidigt, dann beschuldigt man ihn, gegen Rumänien zu sein und Siebenbürgen von diesem Land trennen zu wollen. In Rumänien wird dies als eine mit Trianon verbundene Psychose betrachtet. Heute noch befinde ich mich in einem Prozess gegen zwei Agenten der Securitate, Filip Teodorescu und Ioan Talpeş, zwei führende Mitarbeiter der Dienste Ceauşescus, die mich beschuldigen, ein Landesverräter und ein ungarischer bzw. russischer Agent zu sein. Der Prozess dauert seit Jahren und hat ein solches Ausmaß angenommen, dass die rumänische post-kommunistische Regierung mir die Auszeichnung abgenommen hat, die der Präsident Traian Băsescu mir wegen meiner Verdienste während der Revolution verliehen hatte.

Darüber hinaus ist es der Präsident Klaus Johannis, ein Mitglied der deutschen Minderheit, der sie mir abgenommen hat. Băsescu war dagegen und hat bis zum Ende seines Mandats gewartet, um sie mir zu verleihen, und nun ist es der Renegat Johannis, der als Deutscher rumänischer als der Rumäne bzw. päpstlicher als der Papst sein will, und sie mir abgenommen hat. Ich führe auch wegen dieser Affäre einen Prozess. Die nächste Verhandlung wird 2020 stattfinden. Seit fünf Jahren ziehen nun diese Affäre in die Länge. Ich kämpfe nunmehr für meine Würde, weil ich denke, dass ich für das rumänische Volk und für die Ungarn Rumäniens gekämpft habe. Ich wurde von den Ungarn und von den Rumänen untertützt. Die rumänischen Baptisten, Orthodoxen, Arbeiter und Studenten waren auf meiner Seite. Ich setze übrigens diesen Kampf im Sinne des Volksaufstands während der Revolution von 1989 fort.

Ferenc Almássy: Sie wurden zum Funken, der die Revolution in Rumänien herbeigeführt hat. Könnten Sie kurz den Verlauf dieser Ereignisse zusammenfassen? Wie kam es zu diesem Funken?

László Tőkés: Kommen wir nicht auf die alten Zeiten zurück. In meiner gesamten Karriere habe ich für die Gemeindemitglieder gekämpft, für die Jugend, für die Freiheit, für die religiösen Rechte, für die Religionsfreiheit, für die Rechte der Ungarn und für die Demokratie. Wie ich es Ihnen sagte, haben wir 1988 gegen die Dörferzerstörung protestiert. Das war das irreparable Verbrechen. Unsere Stellungnahmen erschienen als Samisdat; darin stellte ich die Lage der kalvinistischen Kirche in Rumänien vor. Die Securitate beschlagnahmte diese Geheimpublikation. Mein schlechter Ruf wurde nur größer, überall organisierte ich die Gemeindemitglieder und anfangs 1989 haben sie [die Dienste] den Bischof überzeugt, mich woandershin zu versetzen. Sie wollten mich in ein kleines, fernes und isoliertes Dorf schicken, wo meine Stellungnahmen und meine Kämpfe keine Gefahr darstellen würden.

Da der Bischof mich illegalerweise entlassen hatte, habe ich diese Entscheidung nicht akzeptiert und habe protestiert. Die Gemeindemitglieder waren auf meiner Seite, das Pfarhaus akzeptierte dieses Diktat auch nicht, und dann begann im April 1989 eine ständige Belästigung. Es wurden sogar Verbrechen begangen: unser Architekt Ernő Újvári wurde im September 1989 ermordet. Wir renovierten gerade die baufällige Kirche und auch das Pfarrhaus. Wir hatten eine größere Baustelle angefangen. Wir arbeiteten und kämpften. Die Kirche war bummvoll bis in den Gang hinaus. Wir versammelten die Jugend. Das alles in einem von der rumänischen Verfassung erlaubten Rahmen. Doch handelte es sich um eine theoretische Bewilligung. In Wirklichkeit wurden diejenigen bestraft, die das religiöse Leben ernst nahmen und ihre Rechte ausüben wollten. So begann der Kampf. Sollte ich weg oder nicht? Ich bin nicht weggegangen und die Pfarrgemeinde hat mich verteidigt. Wir lebten in einer schrecklichen Zeit: die Securitate beobachtete schon den Eingang der Kirche, verbot den Katechismusunterricht, schloß das Pfarrhaus, das Bankkonto der Pfarrgemeinde und nahm mir mein Gehalt weg.

Wir haben meinen Sohn – damals hatte ich nur einen Sohn – zu seinen Großeltern geschickt. Ich habe diese Metapher benutzt: die „Belagerung von Temeschwar“. Es ist unter diesem Belagerungszustand, dass wir bis zum Dezember gelangt sind, als der regimenahe Bischof László Papp es erreichte, dass die rumänische Staatsanwaltschaft mich aus Temeschwar verjagte. Der Befehl besagte, dass ich aus meiner Wohnung im Pfarrhaus am 15. Dezember verwiesen werden sollte. Ich informierte die Gemeinde am 10. Dezember darüber und bat die Leute, zahlreich zu kommen, damit die Zwangsverweisung vor Augenzeugen vonstattenginge. Zu meiner großen Überraschung geschah es und die Leute versammelten sich. Mehrere Dutzend Personen versammelten sich vor dem Fenster meines Pfarrhauses. Es wurde mir schon nicht mehr erlaubt einkaufen zu gehen, es wurde mir nicht mehr erlaubt, Holz zu besorgen, um zu heizen. Wir waren gerade davor zu erfrieren und wir hatten angefangen, alles Kleinholz aus dem Keller zu sammeln, als die Leute, die Securitate und die Polizei am 15. Dezember plötzlich vor der Tür angekommen sind. Ein Attaché von der US-Botschaft war auch dabei. Man muss wissen, dass der ungarische Sender Panoráma aus Budapest von Zeit zu Zeit unsere Lage hier erwähnte. Wir hatten diesem Kanal ein Interview hier in der Galerie gegeben. Unsere Lage öffentlich zu machen war also sehr wichtig. Jeden Sonntag veröffentlichte ich also den Verlauf der Ereignisse, die Belästigungen der Securitate gegen die Pfarrgemeinde bzw. wie sie uns bedrohten. Zu dieser Zeit war meine Frau schon schwanger.

Die Galerie in der Kirche, wo Pfarrer Tőkés dem ich ungarischen Fernsehen das Interview gab. Bild: Visegrád Post

Wir erwarteten ein Kind. Ich erklärte, dass sie den Arzt nicht hineinließen, dass sie mitten im Winter unsere Fensterscheiben eingeschlagen hatten, dass wir kein Heizholz zum Heizen und kein Gehalt mehr hatten. Die Leute sind am 15. Dezember mit Milch, mit Brot und mit Holz gekommen, die sie uns durch das Fenster gegeben haben. Sie haben die Agenten der Securitate und die Polizisten vertrieben und schafften es somit, in unsere Wohnung zu kommen. Sie sind ständig da geblieben, um uns zu schützen. Ich hatte sie nicht gebeten, dies zu tun, sie haben es von sich aus getan und dann haben sich die Rumänen ihnen angeschlossen. Es begann also eine Aktion der Solidarität. Später sind die rumänischen Baptisten gekommen und auch die Studenten. Die Straße war voll und die Aktion der Solidarität wurde zu einer Demonstration gegen das Regime und setzte sich bis zum Samstag, den 16. fort. In der gleichen Zeit ist der Bürgermeister gekommen und die Demonstranten haben ein Komitee gewählt. Sie haben entschieden, dass man Holz hineinlassen, einen Arzt zu meiner Frau durchlassen, die Fensterscheiben reparieren, mich in die Stadt gehen lassen und aufhören solle, mich zu belästigen.

Die Temeschwarer Innenstadt. Bild: Visegrád Post

Doch am nächsten Tag haben Ceauşescu und die seinigen einen anderen Befehl gegeben und wollten mich mit Gewalt zwingen, wegzuziehen. Es fand den ganzen Tag eine Demonstration statt. Die Demonstranten gingen in die Innenstadt und sangen die rumänische Hymne, „Erwache Rumäne!“ (Deşteaptă-te, Române!), die alte und inzwischen neue rumänische Hymne, die dem „Auf, Magyaren!“ (Talpra magyar!) für die Ungarn entspricht. Dann belagerten sie den Sitz der kommunistischen Partei. Ich selbst war nicht mehr in der Lage, dies alles zu verfolgen, denn sie waren nicht mehr hier. Dann wurde ich am 17. in der Früh verwiesen. Sie sind gegen 4-5 Uhr mit Gewalt durch die Tür des Hauses hereingekommen. Wir hatten alle Türen abgeriegelt, bevor wir uns durch ein Fenster in diese Sakristei flüchteten, denn in der Bibel wird besagt, dass die Gläubigen, die sich hierher flüchten, physisch nicht angegriffen werden. Im Mittelalter war das ein lebhafter Gedanke, deswegen haben wir uns hierher geflüchtet, doch hatten sie kein Mitleid, sie sind gekommen, indem sie die Tür aufbrachen. Ich war da mit meiner Frau und zwei Freunden.

Sie haben uns hier an diesem Tisch gehalten, wir beteten. Ich trug den Talar, sie schlugen uns. Der Staatssekretär für religiöse Angelegenheiten war da. Er bat sie, uns nicht zu schlagen. Meine Frau war krank und schwanger. Dann setzten sie uns in zwei Autos und wir sind mit einem Konvoi losgefahren. Wir dachten, dass sie uns wegbrachten, um uns umzubringen, doch schließlich brachten sie uns in das Dorf Mineu im Kreis Sălaj, wo der Bischof László Papp sich mit meiner Verurteilung befasste. Wir sind dort eine Woche lang geblieben. Wir wurden isoliert und Tag und Nacht verhört. Währenddessen wurden unsere Freunde hier im Gefängnis verhört. Eine Telefonleitung war zwischen dem Gefängnis und Mineu eingerichtet worden.

Das Ganze hätte den Stoff für einen Roman liefern können. Sie haben das gesamte Jahr 1989 rekonstruiert, unsere Kämpfe, unsere Besucher, das Interview mit Panoráma, unsere Beziehungen mit den Gemeindemitgliedern, unseren Widerstand. Sie wollten, dass ich zugebe, dass ich ein ungarischer Agent sei und dass ich für die amerikanischen Dienste arbeiten würde. Für den KGB oder die CIA. Für sie war das zweitrangig, sie wollten bloß, dass ich ein Geständnis im Fernsehen ablege, dass ich zugebe, ein Feind Rumäniens zu sein, ein Agent, ein Geheimagent. Und dann wurde Ceauşescu gestürzt. Wir dachten damals, dass wenn Ceauşescu nicht exekutiert werde, wir dann umgebracht werden würden. Das war ein Kampf auf der Kippe. Durch Gottes wunderbare Gnade wurden wir freigelassen. In dieser Kirche ist es seit jeher das Wesentliche; die Rolle des Pfarrers ist sehr wichtig. Man soll sich auf Gottes Wort verlassen, Gott walten lassen lieber als die Menschen.

Und wenn unser Herr Jesus Christus auf das Kreuz gestiegen ist, so müssen wir es auch, um mindestens die Wahrheit zu sagen, denn ansonsten werden die Steine schreien. Wie kann man es wagen, den Tod Christi zu erwähnen, wenn wir Pfarrer nicht einmal den kleinen Finger für unser Volk krümmen und uns verstecken? Diese Episode ist lebendiger Glaube. Diese Menschen hatten keine Angst. Früher, wenn die Securitate kam, dann gingen die Menschen auseinander. Da sind sie nicht weggegangen sondern sind immer zahlreicher gekommen, und als wir Ernő Újvárosi am 18. September begraben haben, war es eigentlich ein Schweigemarsch auf dem Friedhof. Weit entfernt davon, Angst zu haben, erstarkten die Leute in ihrem Glauben und das dauerte bis in den Dezember hinein. So kam es zu unserer Befreiung, es war noch die spontane Phase des Volksaufstands. Dann kam es zum Putsch, der von den Ex-Kommunisten mit dem Präsidenten Iliescu an ihrer Spitze durchgeführt wurde.

Ferenc Almássy: Was denken Sie darüber, dass Ceauşescu so schnell exekutiert wurde? Wie beurteilen Sie die Art, wie er behandelt wurde?

László Tőkés: Hören Sie, da werde ich zwischen meinen Gefühlen als Mensch und als Politiker hin und hergerissen. Als Mensch widert es mich an, wie das Paar Ceauşescu behandelt wurde. Damals war es allerdings das allgemeine Gefühl, dass das Land in Gefahr sei, solange Ceauşescu am Leben bliebe. Und Ceauşescu verfügte über große Reserven, sprich beschränkte sich das Regime nicht nur auf die Person Ceauşescu, sondern funktionierte durch die Menschen, die es am Leben hielten, durch diejenigen, die heute weiterhin den Geist des Nationalkommunismus Ceauşescus fortsetzen. Die Geheimdienste setzen auch diese Tradition fort. Es kam mir also damals vor, dass man sich von Ceauşescu befreien sollte, denn das Land konnte sich niemals in Sicherheit fühlen, solange Ceauşescu am Leben war, denn er hätte dann wieder kommen können. Freilich ist das dieses Gefühl, das die Gruppe Iliescu genährt hat. Darüber hinaus ist es unbestreitbar, dass Ceauşescu dieses Schicksal verdient hat; er und seine Frau haben ihre Strafe verdient.

Deshalb kann ich – um nach dreißig Jahren gerecht zu sein – sagen, dass er dieses Schicksal verdient hat, allerdings hätte man dies im Sinne von Recht und Gesetz durchführen können. Doch in dieser Situation, in diesem Chaos, als dies geschah, war es noch nicht klar genug. Ferner hatte die Manipulation ein solches Ausmaß erreicht – da wissen wir nunmehr, dass der Präsident Iliescu ebenfalls bezichtigt wurde, ein militärisches Ablenkungsmanöver durchgeführt zu haben, indem sie selber auf Rumänen schießen ließen, um das Volk zu täuschen und das Gefühl erwecken, dass eine echte Revolution vonstattenginge, während die echte Revolution durch den Putsch auf Abwege geraten war.

Gedenktafel an der Wand der reformierten Kirche. Bild: Visegrád Post

Ferenc Almássy: Und ist das der Grund, warum Sie sagen, dass das Ceauşescu-Regime dreißig Jahre später weiter lebt?

László Tőkés: Ja. Es ist wohl bekannt, dass die kommunistische Restauration in mehreren Wellen in Ost- und Mitteleuropa vonstattenging. Nehmen wir mal das Beispiel von Ungarn. 1994 ist Gyula Horn, der an der Unterdrückung der Ereignisse von 1956 teilgenommen hatte, an die Macht zurückgekehrt. Dann, nach vier Jahren Pause 2002 ist es die Ungarische sozialistische Partei (MSZP), die Nachfolgepartei der ehemaligen KP, die an die Macht zurückkam. Dieses Phänomen fand mehr oder weniger in allen Ländern der ehemaligen sowjetischen Sphäre statt, ohne gar von der Sowjetunion selbst und deren Teilrepubliken zu reden, wo das sowjetische Erbe heutzutage weiterhin durchaus präsent ist. Auch in dem Bereich verzeichnet Rumänien leider einen Rekord. Stellen Sie sich vor, dass es nach dreißig Jahren die Nachfolger der Kommunisten sind, die an der Macht sind. Neulich wurde ein Misstrauensantrag gegen die sozialistische Regierung gestellt [das Interview fand vor dem Sturz der von der PSD geführten Koalitionsregierung statt, NdR], doch leider umfasst der Postkommunismus die gesamte Gesellschaft. In Rumänien werden alle Parteien als Satelliten der kommunistischen Partei betrachtet.

Ferenc Almássy: Nicht nur die PSD?

László Tőkés: Nicht nur die PSD. Das ist der Unterschied mit Ungarn, wo man nicht sagen kann, dass über die sozialistische Partei hinaus alle Parteien irgendwie kommunistisch geprägt seien. Aber hier sind es alle Parteien mehr oder weniger und sowieso haben alle Parteien durch die Securitate Verbindungen mit dem früheren kommunistischen Regime. Die Geheimdienste sind genauso stark wie unter Ceauşescu und man kann sagen, dass ein Kampf sich hinter der politischen Krise abspielt, der die Geheimdienste involviert. Es ist besonders tragisch, was die Ungarn anbelangt, die genau aufgrund der Ceauşescu-Doktrin verfolgt werden. Sie sagen, dass wir Separatisten und Irredentisten sind bzw. dass wir die nationale Sicherheit Rumäniens gefährden.

Derzeit finden z.B. hybride militärische Übungen in den [mehrheitlich ungarischsprachigen, NdR] Kreisen Hargita (Harghita) und Kovászna (Covasna) statt, nach dem Vorbild dessen, was in Georgien und Ossetien bzw. im Donbass in der Ukraine stattfindet, was eine offene Provokation den Ungarn gegenüber darstellt. Denn ich behaupte es: das Szeklerland stellt keine Gefahr für Rumänien dar. Es befindet sich übrigens in der Mitte des Landes. Trotzdem wird stets provoziert. Es handelt sich um ein Beispiel der rumänischen Politik der Assimilation und Vereinheitlichung, die auf der Basis der Ceauşescu-Doktrin geführt wird.

Ferenc Almássy: Aber immerhin können Sie heute das alles offen aussprechen, oder?

László Tőkés: Das ist der einzige Unterschied: es gibt die Illusion der Meinungsfreiheit und der Religionsfreiheit. Doch hat dies auch eine Kehrseite, wie es im Spruch so heißt: Von mir aus kannst Du lange reden. Wenn 100.000 Personen demonstrierten, sagte Iliescu, dass dies bloß ein Prozent oder ein halbes Prozent der Bevölkerung Rumäniens darstellte. Das Volk wird also in Verruf gebracht, diejenigen, die die Wahrheit sagen, werden in Verruf gebracht. Heute kann man alles sagen und alles tun, alles, was früher unmöglich war. Doch ist es ein Land ohne Konsequenzen. Das ist das, was wir unter den Ungarn beobachten, aber genauso unter den Rumänen. Wie denken Sie darüber? Was bedeutet denn die Auswanderung von vier Millionen Rumänen? Nach Syrien ist Rumänien das Land mit der größten Auswanderung in der letzten Zeit.

Ferenc Almássy: Sie haben es gerade erwähnt: seit dem Regimewechsel sind sehr viele Rumänen ausgewandert. Niemals zuvor hatte das Land so viele Einwohner in so wenig Zeit verloren. Diese Menschen leben noch aber nicht mehr hier. Sie werden nicht mehr zurückkehren und werden keine Kinder hier haben. Wie beurteilen Sie den Regimewechsel in Rumänien, welch ist dessen negativer Aspekt dreißig Jahre danach? Kann man ihn nicht wegen der vorhin erwähnten Gründen verurteilen? Wie beurteilen Sie das neue Regime, nicht nur in Rumänien, sondern in allen ehemaligen sozialistischen Ländern?

László Tőkés: Es gibt einen Standpunkt, demgemäß man den Preis dafür zahlen solle, dass es einen Regimewechsel ohne Revolution gegeben habe, weil die Veränderung sich dann durch eine langsame Transition vollziehen würde. In Rumänien denkt man, dass es tatsächlich eine Revolution gegeben hat und man ist stolz darauf. Sogar die rumänische Verfassung rühmt die Revolution doch in Wirklichkeit wurde diese beschlagnahmt. In Rumänien hat es keinen Regimewechsel in der Tiefe gegeben. Das Land wurde privatisiert. Die gleichen, die schon an der Macht waren, haben sich über die materiellen Güter, die Positionen und die Informationen hergemacht und haben das alte Regime unter einer neuen Form wieder errichtet. Und heute sind diese Leute weiterhin an der Macht. Ich wiederhole es: Rumänien verzeichnet einen Rekord, denn bei den letzten Wahlen hat die Restauration wieder stattgefunden. Derzeit ist es weiterhin eine KP-Nachfolgepartei, die PSD, die regiert. Ich denke also das, was die Societatea Timişoara (Temeschwarer Gesellschaft) auch behauptet, sprich dass es eines echten Regimewechsels bedarf. Die Societatea Timişoara erklärt im Punkt 8 ihres Manifests aus dem Jahr 1990, dass man die ehemaligen Kommunisten und die ehemaligen Agenten der Geheimdienste aus der Macht verbannen soll. Ich glaube, dass dies in Tschechien am Tiefgreifendsten geschehen sei, in Rumänien dagegen überhaupt nicht.

Die Societatea Timişoara kämpft heute immer noch gegen den Kommunismus. Man bräuchte eine solche soziale, verfassungsrechtliche und politische Wende, damit Rumänien bei Null wieder anfangen könne. Das betrifft auch die ungarische Gemeinschaft, die ihre Krise nicht wird beenden und sich schützen können, solange diese Wende nicht stattfindet. Leider hat uns Klaus Johannis ebenfalls enttäuscht, wie wir auch hintereinander von allen neu verabschiedeten Gesetzen und von der rumänischen Justiz enttäuscht werden. Wir werden ständig mit der Korruption konfrontiert, die das alarmierendste Phänomen des Postkommunismus ist. Wenn das alles nicht gelöst wird, dann wird Rumänien im Chaos enden, genauso wie die Bukarester Politik, wo chaotische Zustände derzeit herrschen.

Ferenc Almássy: Sie kennen sich mit der Lage in Ungarn gut aus, Sie stehen dem Fidesz nah. Ich sage das, weil viele Leute in Ungarn sagen, dass der echte Regimewechsel 2010 stattgefunden hat und dass man zehn Jahre brauchte, damit der Regimewechsel wirklich stattfinde. Und seit der Einführung von Viktor Orbáns Doktrin des Illiberalismus wurde die echte Wende vollzogen. Was braucht man, damit eine Wende in Rumänien stattfinde, wie sie 2010 in Ungarn stattgefunden hat?

László Tőkés: Die demokratischen Traditionen sind in Rumänien sehr schwach. Eine alte konservative Gesellschaft mit orthodoxer Hierarchie hat in Rumänien immer geherrscht. Deshalb sind die demokratischen Kräfte, die für die Veränderung der Gesellschaft arbeiten, sehr schwach, während die aus der Ceauşescu-Ära stammenden post-kommunistischen Kräfte dermaßen stark und selbstsicher sind, dass sie immer wieder neu entstehen. Sie fallen immer wieder auf die Beine und behalten die Macht. In dieser Hinsicht ist die Lage in Rumänien ziemlich hoffnungslos. Ich möchte mich nicht dazu zwingen, optimistisch zu sein. Ich vertraue allein dem lieben Gott. In diesem Land und woanders hoffe ich, dass die europäischen und internationalen Behörden einen Einfluss auf die Veränderung der Auffassung und des Bewusstseins der rumänischen Gesellschaft haben werden. Doch darauf wird man lange warten müssen. Die Ost/West-Opposition, die sich in Europa gezeichnet hat, ist bei dieser Aufgabe nicht hilfreich.

Wir können wir also nicht wie in der Vergangenheit auf die Integrationskraft der Länder Westeuropas und der Europäischen Union bzw. auf einen demokratischen Schutz der Menschenrechte zählen. Niemand kann sich allein vor dem Ertrinken retten. Wir können von dieser Lage nicht loskommen, wenn uns niemand hilft. Doch neigt die EU, wie man sieht, eher dazu, die ost- und mitteleuropäischen Länder zu bestrafen statt ihnen Hilfe anzubieten. Sie versteht die Schwierigkeiten der ehemaligen kommunistischen Länder nicht. Der Kommunismus hat uns eine vollständige Pleite hinterlassen und das ist es, wovon wir uns befreien müssen. Die Europäische Union ist auch nicht in der Lage zu verstehen, was eine kommunistische Diktatur bedeutet. Im Jahr 2009 gehörte ich zu den Europaabgeordneten, die in einem Antrag verlangt hatten, dass man nicht mit zweierlei Maß messe. Der Kommunismus und der Nationalsozialismus sind zwei totalitaristische Systeme, die man gleichermaßen verurteilen soll. Man muss sich von beiden befreien. Doch ist Europa nicht in der Lage, klarzusehen und sich standhaft auszusprechen, was die ehemaligen kommunistischen Länder anbelangt. Sie ist voller Vorurteile, Unverständnisse und kolonialen Willens, was den Handel und die Vorherrschaft betrifft. Unsere Lage ist somit unsicher doch geht Ungarn mit gutem Beispiel voran: wenn Ost- und Mitteleuropa, der Block Mitteleuropa sich vereinen würde, und wenn dies sich an Rumänien und den Westbalkan erweitern würde, und vielleicht auch an Österreich, dann hätten wir die Möglichkeit, Veränderungen zu erreichen.

Ferenc Almássy: Welchen Einfluss hat die Neubestattung von Imre Nagy und die Rede Viktor Orbáns auf die Ungarn in Rumänien gehabt?

László Tőkés: In Temeschwar hatten wir das Glück, das ungarische und das jugoslawische Fernsehen empfangen zu können. Man muss wissen, dass damals am Ende der 1980er Jahre das rumänische Fernsehen nur noch zwei Stunden pro Tag auf Sendung war und dass 80% dieser zwei Stunden dem Personenkult Ceauşescus gewidmet war. Jeder durstete nach Fernsehprogrammen. Und hier, entlang der Grenze hatten wir es geschafft, die ungarischen Sender zu empfangen und konnten somit das Begräbnis von Imre Nagy live und die Sendungen des ungarischen Senders Panoráma verfolgen, was für uns beinahe Augenblicke der Offenbarung waren. Wir hatten die Gelegenheit, die Interviews von Václav Havel bzw. von König Michael I., dem ehemaligen König von Rumänien anzuhören.

Also hier entlang der ungarischen Grenze von Temeschwar bis Frauenbach (Baia Mare) waren wir in einer privilegierten Lage. Doch Fernsehschauen wurde beargwöhnt und in manchen Fällen bestraft. Die Antennen wurden abmontiert und es war nicht möglich, es war nicht erlaubt, Satellitenschüsseln zu installieren, um ausländische Sender zu empfangen. Doch haben wir es trotzdem getan. Auch die Rumänen schauten sich diese Sendungen an. Sie hatten nicht nur auf mich einen großen Einfluss. Ich verfolgte die Sendungen von Panoráma und das Begräbnis Imre Nagys von A bis Z. Es war eine großartige Erfahrung. Es war eine solide Motivationsbasis in dem Kampf, den wir führten und, ich muss es zugeben, für die Rumänen auch. Die ungarischen Sendungen hatten diese Wirkung auf die Einwohner von Temeschwar. Wir hatten das Gefühl, uns dem Kampf für die Freiheit der Länder Ost- und Mitteleuropas anzuschließen. Und so begann das Dominoeffekt. Die kommunistischen Regimes sind alle hintereinander gestürzt worden bzw. besser gesagt sind die kommunistischen Ex-Diktaturen lockerer geworden. So konnten wir die Ereignisse in Polen und in Ungarn bzw. den runden Tisch der Opposition und die Entwicklung in der Tschechoslowakei verfolgen. Und das hat uns Hoffnung und Vertrauen für uns hier gegeben. Somit gibt es eine Verbindung zwischen den sukzessiven Ereignissen dieser Zeit und der Wende in Rumänien.

Ferenc Almássy: Und welche Erinnerung haben Sie von der Rede Viktor Orbáns?

László Tőkés: Ich fand Viktor Orbáns Rede zu mutig. Ich gehörte zu denjenigen, die terrorisiert waren, oder eher – ich übertreibe – die Angst hatten. Bis wohin konnten wir es mit der Redefreiheit treiben? Vergessen Sie nicht, dass ich das alles von einem Loch aus beobachtete, als ob ich das von einem Gefängnis aus verfolgt hätte, und ich wusste, welches Risiko eine solche Rede hier darstellte und welches Risiko es dort darstellte. Ich fand, dass diese Rede sehr riskant war, doch, wie die Folge es zeigen sollte, war diese Rede notwendig und auf gleichem Niveau wie das „Auf Magyaren!“ vom 15. März 1848.

Ferenc Almássy: In den 2000er Jahren war die Situation ziemlich chaotisch hier in der Region, besonders für die hier bzw. in der Slowakei lebenden ungarischen Minderheiten. Erinnern wir uns daran, dass die diplomatische Lage dazu geführt hatte, dass dem ungarische Präsident László Sólyom nicht erlaubt wurde, die Slowakei zu betreten. Viktor Orbán, der im Westen öfters negativ als ein Nationalist gesehen wird, hat es durchgebracht, dass die außerhalb Ungarns lebenden Ungarn die ungarische Staatsbürgerschaft und ungarische Pässe erhalten. Wie wurde dies möglich? Nun sehen wir auch, dass Brücken in dieser Region aufgebaut wurden. Wir nehmen schon die Früchte davon wahr. Wie wurde dies möglich? Wie hat er das realisieren können?

László Tőkés: Meine tiefe Überzeugung in Bezug auf die Minderheitenpolitik ist, dass man Mut braucht. Nicht nur im Karpatenbecken, nicht nur bezüglich der ungarischen Frage, sondern auf europäischer Ebene. Es gibt eine Ignoranz, eine Gleichgültigkeit und eine Interessenlosigkeit, die die Frage der historischen Minderheiten auf europäischer Ebene belasten. Man muss wissen, dass in der Europäischen Union beinahe 10% der Bevölkerung bzw. mindestens 7-8% einer ethnischen Minderheit angehören. Wir sind in etwa 50 Millionen in der Union, aber es wird eine größere Aufmerksamkeit für Tierschutz bzw. für Umweltschutz geschenkt, was derzeit im Fokus der Debatten liegt, als für den Minderheitenschutz. Auf dieser Weise werden wir ohne Mut im Bereich Minderheitenschutz nicht vorwärts kommen, denn die Minderheiten allein sind zu schwach, um ihre Rechte zu verteidigen.

Ferenc Almássy: Man merke, dass die Rechte der nicht-europäischen Minderheiten heute in Europa gut vereidigt werden, vor allem in Westeuropa.

László Tőkés: Ja, es liegt da ein großer Unterschied. Dieses Phänomen sticht besonders ab, da wir zehnmal, wenn nicht fünfzehnmal zahlreicher sind als die nicht-europäischen Minderheiten, die eingewandert sind.

Sie sind, wenn ich nicht irre, um die 35 Millionen. Das ist es, was die aktuellen Daten sagen. Wir sind also zwar nicht zehnmal aber immerhin zahlreicher als sie. Man kann sehen, dass die historischen Minderheiten sich in einer Lage befinden, die man mit derjenigen der eingewanderten Minderheiten nicht vergleichen kann. Und trotzdem wird Einwanderung als eine zentrale Frage in Europa betrachtet und es droht deswegen eine Krise in Europa, während die Frage der Minderheiten verschwiegen wird. Deshalb, denke ich, dass eine radikale Wende benötigt wird bzw. dass man Mut in dieser Frage braucht, weil wir ohne europäischer bzw. internationaler Hilfe nicht in der Lage sind zu überleben. Man kann sehen, wie gefährdete Sprachen verschwinden. Wenn dies so weitergeht, dann werden Dutzende von Sprachen verschwinden und Sprachgemeinschaften werden in ganz Europa vernichtet werden.

Wir befinden uns also in den letzten Stunden. Die Assimilation hat sich beschleunigt, ebenfalls die Globalisierung und die Internationalisierung. Wir Ungarn müssen in dieser Situation vor allem auf den ungarischen Staat zählen. In dieser Hinsicht ist die Hilfe der Regierung Orbán entscheidend. Es ist falsch, Orbán als Nationalist zu bezeichnen, er ist höchstens ein Patriot. Die Nationalisten sind diejenigen, die unsere Leben gefährden. Die slowakische Politik, die rumänische Politik und die politische Praxis dieser Länder gefährden uns. Die Regierung Orbán will uns vor diesem aggressiven Nationalismus schützen. Der Nationalismus der Ungarn ist defensiv. Man könnte von einem auf Selbstverteidigung basierten Nationalismus reden. Allerdings genügt es nicht, dass Ungarn uns verteidigt, denn Ungarn muss sich selbst verteidigen.

Eine Verteidigung durch die Gemeinschaft der Nationen wäre notwendig. Auf jenem Gebiet sind wir sehr enttäuscht. Als ich zum Europaabgeordneten gewählt wurde, war mein Wahlkampfspruch: Die Union mit Siebenbürgen. Dass Siebenbürgen sich der Union und schließlich diesem großen Raum anschließe. In dieser Weise hätten wir die Möglichkeit zu überleben bzw. die regionalen und ethnischen Minderheiten ebenfalls. Auf diesem Punkt wurden wir mit feindlichen Reaktionen konfrontiert und mussten uns dafür anstrengen – das ist nunmehr das, wofür wir nun kämpfen – darauf zu wirken, dass die ungarische Frage eine europäische Frage werde. Das heutige Ungarn hilft uns dabei.

László Tőkés auf der Kanzel in der Kirche. Bild: Visegrád Post