Von Bence Leczo.
Slowakei – Die Hegemonie der Smer kommt zu ihrem Ende. So konnte man die Ergebnisse der Parlamentswahlen von letztem Samstag zusammenfassen, obwohl die Zustände nicht so einfach sind. Allerdings sind die Stimmen für die Smer tatsächlich wesentlich weniger geworden und diejenigen für die Bewegung OLʼaNO (Obyčajní ľudia a nezávislé osobnosti – Gewöhnliche Leute und unabhängige Personen) – die Partei von Igor Matovič, die im vergangenen September nur bei 6% in den Umfragen lag – brachten ihr den Sieg bei diesen Wahlen.
Die Wahlsieger
OLʼaNO ist zweifelsohne die große Überraschung dieser Parlamentswahlen. Kurz nach Schließung der Wahllokale kündigten die Hochrechnungen den Sieg der Partei an und überraschten dabei mehr als einen. Igor Matovič tauchte 2011 mit der Gründung seiner Partei auf der politischen Szene auf. Vorerst hatte er einen populistischen Weg versucht, bevor er mit einem in der derzeitigen Situation attraktiven Antikorruptionskurs Erfolg hatte. Denn in der Tat wurde die ausscheidende Regierung durch die Kuciak-Affäre befleckt, die nicht nur diejenige des Mordes an einen Journalisten ist, sondern auch diejenige der Verbindung zwischen Mafia und Politik. Nun beschränkte sich diese junge Partei aber nicht darauf, eine Kampagne gegen die Korruption zu führen, sondern sprach sich gegen eine Lockerung der Migrationspolitik, gegen die Homoehe und gegen die Legalisierung sogenannter weichen Drogen in der Slowakei aus. So erreichte OLʼaNO 25% der Stimmen und gewann dadurch 53 Sitze im slowakischen Nationalrat.
Die Umfragen hatten den Sturz der sozialdemokratischen Smer nicht vorausgesehen. Allerdings ist diese linke Partei das einzige Mitglied der ausscheidenden Regierungskoalition, das (wie ein Seiltänzer zwischen links- und rechtsradikalen Positionen) einen Teil seiner Sitze behalten konnte. Die Vertretung der ungarischen Minderheit, Most-Híd, und die Slowakische Nationalpartei (SNS) erreichten diesmal die notwendige Hürde für einen Einzug ins Parlament nicht. Trotzdem hatte die Smer vor den Wahlen eine Verfügung bezüglich des 13. Gehalts verabschiedet, was die bösen Zungen als den ungeschickten Rettungsversuch einer Partei mit beflecktem Ruf bezeichnet hatten. Die Protestwelle, die dem Mord an Kuciak gefolgt war, hatte Robert Fico und Robert Kaliňak dazu gezwungen, jeweils als Ministerpräsident bzw. Innenminister zurückzutreten. Und nun stellte sich der Wahlkampf der Smer als äußerst chaotisch heraus: innerhalb der letzten Wochen beschuldigte Robert Fico den Vorsitzenden der Partei Most-Híd, Béla Bugár, für alle Misserfolge seiner Amtszeit verantwortlich zu sein. Allerdings brachte ihr ein auf sozialen Reformen und einer Erneuerung innerhalb der Partei gestützter Wahlkampf immerhin 18% der Stimmen und 38 Sitze im Parlament.
Als drittstärkste Kraft erreichte die konservative und euroskeptische Partei Sme Rodina (Wir sind eine Familie) 8,24% der Stimmen und 17 Sitze. 2015 von einem Geschäftsmann namens Boris Kollár aus dem Nichts gegründet, war Sme Rodina ein Jahr später mit 6,6% ins Parlament eingezogen. Die Partei gehört der gleichen Fraktion im Europaparlament wie die österreichische FPÖ und der französische Rassemblement National (ehemals Front National) an. Ihre Rhetorik beschäftigt sich vor allem mit der Migrationathematik und dem Anprangern der Oligarchen.
Die Partei Ľudová strana Naše Slovensko (Volkspartei Unsere Slowakei, L’SNS) von Marian Kotleba wurde mit 7,97% und 17 Sitzen zur viertgrößten Partei. Neulich waren Demonstrationen durch die Verliererkoalition PS-SPOLU gegen diese rechtsradikale Partei organisiert worden, deren politisches Steckenpferd die Migrationathematik ist, obwohl sie auch wegen ihrer Feindseligkeit gegenüber den Zigeunern bekannt ist.
Die rechtsliberalen Parteien Sloboda a Solidarita (Freiheit und Solidarität, SaS) bzw. Za Ľudí (Für das Volk) haben beide um die 6% erhalten und ziehen ins slowakische Parlament ein. Die SaS hatte schon zwei Jahre lang dem Parlament zwischen zwei Amtszeiten Robert Ficos angehört, während die Regierung Iveta Radičovás einer Unzahl von Parteien vorstand. Man merke, dass die damalige Koalition wegen der SaS gestürzt worden war, die bei einem Mißtrauensantrag gegen die Ministerpräsidentin ihre Unterstützung verweigert hatte. Die Partei Za Ľudí wurde 2019 von Andrej Kiska, einem liberalen Millionär und ehemaligen Staatspräsidenten gegründet, der gegen Robert Fico bei den Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte.
Die Wahlverlierer
Bei den slowakischen Parlamentswahlen 2020 gibt es zwei Verlierer: die Koalition PS-SPOLU und die Ungarn. Gemäß dem slowakischen Wahlrecht gibt es eine 5%-Hürde für den Einzug ins Parlament, wobei dies nur für Einzelparteien gilt, denn für ein Bündnis liegt die Hürde wiederum bei 7%. Die Koalition PS-SPOLU hat nun 6,96% der Stimmen erhalten, was heißt, dass es ihr bloß etwa tausend Stimmen fehlten, um die Hürde zu erreichen. Man merke dabei, dass die PS (Progresívne Slovensko) die Partei der amtierenden slowakischen Staatspräsidentin Zuzana Čaputová ist. Ihre Ausrichtung ist antifaschistisch und liberal. Im Laufe des Wahlkampfs organisierte sie mehrere Demonstrationen gegen die rechtsradikale LʼSNS von Marian Kotleba. Als Ironie des Schicksals stellte sich die PS als potentieller Partner für eine Koalition mit der OLʼaNO von Igor Matovič dar.
Was die ungarische Minderheit in der Slowakei anbelangt, so zählt sie etwa 460.000 Mitglieder, was 8,5% der 5.440.000 Einwohner der Slowakei darstellt. Unter den vier ungarischen Parteien gibt es nunmehr nur noch zwei: im vergangenen September fusionierten drei davon in den Ungarischen Gemeinschaftsverband (Magyar Közösségi Összefogás, MKÖ). Die Ergebnisse sind gnadenlos: 3,9% für den Gemeinschaftsverband und 2,05% für Most-Híd – in beiden Fällen ungenügend. Der Sturz von Most-Híd kann sich auch durch ihre Verstrickung in den Korruptionsskandalen der Smer erklären lassen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wird nun die ungarische Minderheit keine Vertreter im slowakischen Parlament haben.
Koalitionsmöglichkeiten
Igor Matovič hat wissen lassen, dass er sich mit einer absoluten Mehrheit nicht begnügen würde, sondern dass er eine Verfassungsmehrheit – sprich zwei Drittel der Sitze – anstrebe, um strukturelle Änderungen vornehmen zu können. Igor Matovič möchte ja nicht zuletzt „das Justizwesen säubern“. Da er eine Koalition mit der Smer – die er mit der Mafia verbindet – bzw. mit der rechtsradikalen LʼSNS ausschließt und zu einem „Bündnis aller demokratischen Kräfte“ appelliert, wird vermutlich eine Viererkoalition OLʼaNO-Rodina-Za Ľudí-SaS entstehen und die Slowakei für die kommenden vier Jahre regieren. Vergessen wir allerdings nicht, dass die Launen der SaS schon mal eine Koalition torpediert haben und dass eine Regierung aus vier Parteien alles andere als stabil sein dürfte.