Skip to content Skip to sidebar Skip to footer
Lesezeit: 5 Minuten

Von Modeste Schwartz. 

Europa – Wenn die Titeln der großen angelsächsischen Presse anfangen, Ihre Stammtischäußerungen zu verbreiten, deutet es gewöhnlich nicht darauf hin, dass Sie von Ihrer Kneipe oder von Ihrem Facebookkonto aus dabei sind, einen kognitiven Krieg zu gewinnen, sondern ihn zu verlieren. Es ist die Art von verdächtigen Zufällen, die, anstatt zu euphorischen Shares anzutreiben, Sie dazu bringen sollte, Ihre Stammtischäußerungen zu ändern, indem Sie sich fragen, ob sie nicht schon manche Sprachelemente beinhielten, die Ihren Anliegen (bzw. auf jeden Fall Ihrem legitimen Interesse) völlig fremd sind bzw. von manchen marginalen Brutstätten des weltweiten Fake-News-Apparats, der auch die New York Times, den Guardian und Le Monde antreibt.

In Anwendung dieser universell gültigen Regel stellte sich gerade ein Paradebeispiel: „Die Globalisierung ist tot!“ Na Prost? „Orbán hatte Recht!“ Seelenwanderung der liberalen Eliten? Wäre zu prüfen!

Vergessen wir nicht, dass in jeder Kriegssituation die strukturelle Rolle jedes Schlagworts vor allem darin besteht, Ihre emotionelle Verstrickung in einem Kampf zu verstärken, der nicht unbedingt der Ihrige ist.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen atlantistischen Krieg gegen China. Im getürkten Diskurs der Trump’schen Rechten wird die – so sehr legitime – Ablehnung der liberalen Globalisierung plötzlich zu einer Vergeltungsmaßnahme gegen das „chinesische Virus“. Da „sie“ uns infizieren, nehmen wir ihnen die Fabriken zurück, die sie uns „gestohlen“ haben.

Durch Jahrzehnte der atlantistischen moralisch-messianischen Propaganda stumpfsinnig geworden sind die Europäer heute meistens intellektuell nicht mehr in der Lage, zwischen Bruder und Vater zu unterscheiden: zwischen einem Verbündeten (dessen Interessen per Definition niemals zu 100% den unsrigen entsprechen) und einem Beschützer/Vorbild mit der göttlichen Mission, uns zu diesem oder jenem irdischen Paradies zu führen (das sich im allgemeinen als ein Schlachthaus erweist). Mit anderen Worten: Nein, freilich ist China nicht in der Lage, den amerikanischen Mythos zu ersetzen, dessen bewundernde Opfer unsere Eltern und Großeltern gewesen sind. Wir werden nicht zu Chinesen werden. Gute Nachricht en passant: China verlangt es von uns nicht – und bietet es uns – offen gesagt – nicht einmal.

Dagegen, schlechte Nachricht: Die Chinesen werden uns nichts „zurückgeben“. Die Chinesen haben sich bloß der Hehlerei aller Verlagerungen schuldig gemacht, die unsere eigenen kleptokratischen Eliten vorgenommen haben. Da sie nunmehr die Herren über das weltweite Produktionsapparat sind, können sie – nicht ohne Kosten und schmerzliche doch mögliche Opfer – es zu ihrem Binnenmarkt und ihrem regionalen Commonwealth neu ausrichten, zu ihrer energetischen Unabhängigkeit arbeiten und den enttechnologisierten Westen alleine lassen, der sich dann mit dessen überalterten Infrastrukturen durchzuschlagen hätte. Entgegen dem obszönen Geschwätz der Trump’schen Rechten ist die „isolationistische Option“ – eigentlich schon lange – keine Karte im Spiel des atlantistischen Reichs mehr, das seit Jahrzehnten nur durch dessen „übermäßiges Währungsprivileg“, sprich in völlig parasitärer Weise, überlebt, sondern eben eine Karte im chinesischen Spiel. Eine für uns katastrophale Karte, die mit sich brächte, die derzeitigen (namentlich europäischen) Marken des atlantistischen Reichs endgültig zu Beuten von dessen angelsächsischen Herzen zu machen, das nunmehr keine äußeren Eroberungsgebiete mehr hat.

China verfügt glücklicherweise über eine andere ehrgeizigere und riskantere Option: die Verlängerung der Initiative One Road, One Belt, ein chinesischer Marschall-Plan, der technisch-wirtschaftliche Hilfe gegen politische Treuepflicht und Marktöffnung eintauschen würde. Auf der PR-Etage sind die neulichen Angebote der Gesundheitshilfe (namentlich an Mitteleuropa) ganz offensichtlich Auftakt und Versuchsballon für eine solche Politik. Es ist für die Europäer lebenswichtig, diesen Plan anzunehmen.

Das angelsächsische Reich weiß es und löst daher schon mal einen präventiven kognitiven Krieg dagegen aus. Hierfür benutzt es natürlich nicht dessen linke Kanäle (die „den Totalitarismus“ zwar verabscheuen, doch allerdings den öffentlichen Gesundheitssystemen der neo-sozialistischen Länder schöne Augen machen), sondern dessen rechte Kanäle – und namentlich diejenigen der verschiedenen europäischen identitären/islamfeindlichen Rechten. Im von diesen nützlichen Idioten verbreiteten Diskurs wird alles Globalisierung genannt: die (doch so leicht zu desinfizierenden) chinesischen Container genauso wie die jungen somalischen Abenteurer der Soros’schen Kähne (deren soziales Nutzen – auch wenn sie kerngesund wären – immerhin problematisch bleibt), die sog. „Europäische“ Union, die in der Tat einmal mehr ihre unerhörte geopolitische Inexistenz bewiesen hat, genauso wie die Initiative One Road One Belt. Allerdings sind in Osteuropa die derzeitigen hauptsächlichen Nutznießer der One Road One Belt eben die gleichen Länder, die die EU systematisch für ihre verschiedenen illiberalen Verbrechen bestrafen will – und namentlich dafür, daß sie die Frechheit besitzen, die helfende Hand Chinas anzunehmen!

Es gilt also vor allem, die Begriffe zu klarzustellen. Die Redewendung „Seidenstraße“ – eine geniale Wortwahl der chinesischen Staatskommunikation! – hilft uns übrigens dabei: die „Globalisierung“ als Handelsvereinigung für Eurasien lato sensu (sprich mit Nordafrika und dem nahen Ozeanien) hat mit dem Liberalismus, mit der Aufklärung und mit dem Kosmopolitismus usw. nichts zu tun. Es ist ein Verfahren, das schon seit Jahrtausenden am Werk ist. Das – im Herzen so vieler identitären Europäer so liebe – Römerreich importierte schon chinesische Seide – daher findet man auch römische Münzen in archäologischen Stätten bis im hintersten Indochina. Und China, das – seit Jahrtausenden – seinen Produktionsmotor diesem Verfahren geliehen hat, ist keine messianisch-universalistische Macht wie die amerikanische Pseudo-Nation, sondern hingegen eine seßhafte Zivilisation, die der Versuchung des Übersee-Imperialismus bewußt den Rücken zugekehrt hat.

Damit die Illusion der Rückkehr der Fabriken mehr als eine bloße Illusion sei, müßte unser Planet mehr als nur ein China besitzen. Nun gibt es aber nur eins. Auch wenn man voraussetzen würde, dass man die europäischen Arbeiter überzeugen könnte, die Disziplin und die Dürftigkeit ihrer chinesischen Kollegen der 1980/1990er Jahre nachzuahmen, läutet die europäische Demographie das Ende solcher Träume ein. Ironie des Schicksals: die neuen rhetorischen Kreuzfahrer der atlantistischen Entglobalisierung wissen es wohl; und in ihrer wirklichen Weltanschauung, wenn China einmal durch die provozierte geopolitische Blindheit der Europäer zum Isolationismus gezwungen worden ist, wird dann die Rückkehr der Produktion notwendigerweise durch den massiven Import von Menschen aus anderen Kontinenten vonstattengehen.

Verschwörungstheorie? Abwegige Futurologie? Vielleicht. Aber im Laboratorium der ost- und mitteleuropäischen Länder hat diese Zukunft schon begonnen. Im post-kommunistischen Europa gibt es ein einziges – von den USA kontrolliertes – Land, das sämtliche chinesische Angebote ablehnt: Rumänien. Dieses Auswanderungsland verdaut derzeit die chaotische Rückkehr von Zehn- wenn nicht Hunderttausenden von Gastarbeitern, von denen viele vor ein paar Tagen noch im nördlichen Italien lebten. Trotz dieser apokalyptischen epidemiologischen Situation hat Rumänien – dessen Krankenhausinfrastruktur das benachbarte Ungarn als ein Gesundheitsparadies erscheinen läßt – gerade den chinesischen Hilfsangeboten im Gesundheitswesen eine spektakuläre Herablassung entgegensetzt.

Im Laufe der fünf letzten Jahre haben dort zwei talentvolle rumänische Leader (Victor Ponta und Liviu Dragnea) jeweils ein süßsaures Karriereende erlebt, nachdem sie von „ihrem“ tiefen Staat weggeputscht wurden, weil sie das Verbrechen begingen, nach Osten zu schielen. Wie per Zufall ist Rumänien auch von allen ost- und mitteleuropäischen Ländern der EU dasjenige, das die schlimmste Ausblutung durch Auswanderung erleidet (in der allgemeinen Statistik wird es nur von Serbien und Moldawien übertroffen, die keine EU-Mitglieder sind): ein Viertel der Rumänen arbeiten und leben mehr oder weniger konstant im Ausland (vor allem in Westeuropa); und infolgedessen steht das Land kurz davor, seine Pforten für eine außereuropäische Umvolkung zu öffnen. Der Zuzug vietnamesischer Arbeiter ist gerade dabei, eine zugleich radikale wie originelle Lösung für das alte Problem der streunenden Hunde zu bringen – die gelegentlich zu anderen weniger streunenden Haustieren erweitert wird. Doch regen sich die „europäischen“ Rechtsradikalen über diesen massiven Zuzug ziemlich wenig auf, der in ihren Augen den Vorteil hat, weder arabisch noch muslimisch zu sein. Ein Argument, wofür die Einwohner der betroffenen rumänischen Ortschaften – die ihre Hunde und Katzen aus weniger gastronomischen Gründen mögen, als diese gefräßigen und unterbezahlten Neuankömmlinge – sich schließlich kaum empfindlich erweisen. Doch macht die rumänische Staatspropaganda ihr Bestes, um diese wohl natürlichen Reaktionen von den Besitzern von in multikulturellen Phô verwandelten Haustieren dem „ungarischen Haßdiskurs“ zuzuordnen.

Das derzeitige Rumänien liefert uns also eine Illustration in vivo des Alptraums, zu dem der Traum des pseudo-souveränistischen atlantistisch finanzierten Europäers führen könnte. Ein starker Staat, ja – vielleicht sogar eine Diktatur mit prekärer parlamentarischer Erscheinung –, aber einzig im Dienste einer dünnen Elite von Compradores, die in unermesslicher Verachtung für diese Masse von Armen leben, die aus dem gleichen Volk wie sie stammen, ohne jedoch jedwede Empathie für sie zu empfinden (Phänomen des „weißen Negers“). Ein starker Staat, der seine Grenzen nur dafür kontrolliert (Rumänien ist kein Schengen-Mitglied), um die vom angelsächsischen Prinzip der Optimierung der Bevölkerungsrendite diktierten ethnisch-demographischen Umvolkungen besser organisieren zu können. Ein starker Staat mit bewundernswerter Haltung in der Bezeichnung des Feindes (nämlich Rußland und den Iran) und mit der Verschwendungssucht eines Strategenstaats, wenn es darum geht, überalterte Waffen vom amerikanischen militärisch-industriellen Komplex überteuert zu kaufen, die für Rumänien niemals im Rahmen von Kriegen nützlich sein könnten, von denen es im voraus die Gewissheit hat, vollkommen vernichtet zu werden.

Das sind die Sackgassen, in diejenigen uns die konfuse, impressionistische und emotionale Nutzung der Begriffe „Globalisierung“ und „Souveränität“ leicht führen kann.

Carthago delenda est !