Ungarn – Ungarn ist mit 9,8 Millionen Einwohnern ein Land an der Peripherie der westlichen Welt, dessen Wirtschaft stark von der Landwirtschaft, von der (vorwiegend deutschen) Automobilindustrie, vom Tourismus und von den multinationalen Unternehmen bestimmt wird, die einen großen Teil ihrer Büros dorthin verlegt haben. Niedrige Löhne bzw. eine geografische und kulturelle Nähe zum Westen kennzeichnen dieses kleine Land im Karpatenbecken, was ihm ein starkes Wirtschaftswachstum ermöglicht. Die Lockdownmaßnahmen infolge der Covid-19-Epidemie haben jedoch auch dieses Land stark getroffen.
Die christlich-konservative Regierung Viktor Orbáns hat am 10. März Maßnahmen ergriffen, um die „guten ungarischen Ergebnisse zu retten“, um eine Erfolgsgeschichte zu bewahren. Obwohl das BIP ein fragwürdiger Indikator für länderübergreifende Vergleiche ist, hält die ungarische Regierung daran. Die besonders guten Ergebnisse inmitten des wirtschaftlichen Einbruchs in Europa spielen zweifellos eine Rolle dabei: Mit einem Wachstum von 4,9% im Jahr 2019 ist Ungarn der beste Schüler in der EU. Trotzdem häufen sich die schwarzen Wolken jedoch über den Prognosen für 2020 an: Die Schätzungen ergaben ein ungarisches Wachstum von 4%, aber einige Schätzungen, wie die des ungarischen Ökonomen Zsolt Darvas vom Bruegel-Institut in Brüssel, kündigen einen Rückgang von mindestens 10% des BIP an! Die Anlagebank schätzt, dass das BIP nur um 3,3% sinken wird, während der IWF einen Rückgang um 3% erwartet. Die Bank of America hat erklärt, dass Ungarn das europäische Land sein wird, das der Krise am besten widerstehen wird, und seine Experten glauben sogar, dass das ungarische BIP in diesem Jahr um 0,8% steigen könnte. Solche Unterschiede scheinen schwer zu verstehen, aber die Realität ist, dass jeder in dieser neuen Situation herumtastet. Es gibt eine einzige Gewissheit: auch die ungarische Wirtschaft wird in diesem Jahr fallen – und die Auswirkungen davon sind bereits zu spüren.
Ungarn ist besser als die meisten europäischen Länder positioniert, um sich wirtschaftlich zu erholen
Aber die vorteilhafte Situation, die Viktor Orbán während seiner zehnjährigen Amtszeit hervorgebracht hat (starkes Wachstum, Vollbeschäftigung, Senkung der Staatsverschuldung auf 70% des BIP, Freigabe der Schulden gegenüber dem IWF, Inflationskontrolle usw.) sowie die relative Flexibilität der in Ungarn ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus lässt hoffen, dass sich Ungarn ruhig erholen wird. Dies ist auf jeden Fall die Meinung des IWF, der schätzte, dass Ungarn das EU-Land sein würde, das der Krise am besten widerstehen und sich 2021 mit einem Wachstum von 4,2% des BIP erholen würde. Zu den von allen Experten berücksichtigten positiven Faktoren zählen die Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre und die während der Coronakrise ergriffenen Maßnahmen. Die ersten Maßnahmen der wirtschaftlichen Rettungspläne der ungarischen Regierung wurden am 18. März angekündigt und am 7. April abgeschlossen. Sie sehen die Freigabe von 9,2 Billionen Forint (ca. 25 Mrd. EUR) bzw. 18 bis 20% des nationalen BIP für den Rettungs- und Konjunkturplan vor. Viktor Orbán lehnte jeden Kredit aus dem Ausland ab und mobilisierte Banken, internationale Unternehmen, Kommunen und sogar politische Parteien, um den Fonds für die Volkswirtschaft aufzublasen. Unter den rechtlichen Maßnahmen ist freilich eine radikale Lockerung des Arbeitsrechts geplant. Die Erleichterung von Teilzeitverträgen zielt beispielsweise darauf ab, Entlassungen in Unternehmen mit reduzierter Tätigkeit für lange Zeit zu vermeiden, da der Arbeitgeber die Arbeitszeit um 85% verkürzen kann und der Staat die Lohndifferenz bis auf 70% für den Mitarbeiter übernimmt.
Nachdem Viktor Orbán die Arbeitslosenquote von 11,3% bei seiner Rückkehr an die Macht im Jahr 2010 auf 3,3% Ende 2019 gesenkt hat, schätzt er seine Beschäftigungspolitik als eine Säule seiner Sozialpolitik. Sein erklärtes Ziel ist es, „eher einen Arbeitsplatz zu geben als zu helfen“. Eine Strategie, die in der aktuellen Gesundheitskrise beibehalten wurde, als seit Beginn der Lockdownmaßnahmen rund 55.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben und die Arbeitslosenquote auf 4,8% gestiegen ist. Viktor Orbán reagierte unverzüglich auf diese in den letzten Tagen veröffentlichten Zahlen und versprach bis Ende des Sommers, sprich bis zum Ende der drei Monate Arbeitslosigkeit, die vom ungarischen Staat gewährt werden, „einen Job für alle, die ihren verloren haben“. Ein Versprechen, worauf die Gewerkschaften skeptisch reagieren bzw. die Opposition sich besorgt darüber zeigt, dass zu viel gemeinnützige Arbeit in Anspruch genommen werden könnte. „Alle, die keine Arbeit auf dem freien Markt finden, werden eine Stelle vom Staat bekommen“, erklärte der starke Mann von Budapest.
Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft und zum Ende des Lockdowns
Hier sind die fünf Hauptpunkte des Plans Viktor Orbáns:
1. Arbeitsplätze retten.
2. Neue Arbeitsplätze schaffen.
3. Unterstützung der Bereiche Tourismus, Gesundheit, Lebensmittel, Landwirtschaft, Bauwesen, Logistik, Verkehr und Film.
4. Unternehmer unterstützen (Kreditunterstützungsprogramme werden durchgeführt).
5. Hilfe für Familien und Senioren.
Insgesamt zielt die Strategie Viktor Orbáns daher darauf ab, die ungarische Wirtschaft und den ungarischen Arbeitsmarkt an die Zeit nach dem Covid-19 anzupassen. Staatliche Beihilfen konzentrieren sich beispielsweise auf Schulungen (bis zu 95% der Kosten für IT-Schulungen), indem parallel eine vom Staat gelenkte Kreditpolitik mit niedrigen Zinssätzen festgelegt wird – selbst Studenten können 1.500 € zinsenfrei ausleihen. Die Steuern wurden auch für dieses Jahr gelockert, Mehrwertsteuerrückerstattungen werden beschleunigt und eine große Anzahl von Gebühren wird bis zum Sommer drastisch gesenkt.
Die von Viktor Orbán ergriffenen Lockdownmaßnahmen ermöglichen es auch einem Teil des Dienstleistungssektors, das Schlimmste nicht zu befürchten. In der Tat waren Unternehmen nicht verpflichtet, beispielsweise zu schließen, sondern nur gesundheitliche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen und ihre Zeitpläne anzupassen, insbesondere indem sie den Zeitrahmen 9-12 Uhr für Senioren reservierten und sie im nächsten Zeitfenster von 12.00 bis 15.00 Uhr ausschlossen, mit der Verpflichtung, um 15.00 Uhr zu schließen, außer in Lebensmittelgeschäften und Apotheken (wo Masken leicht erhältlich sind).
Schließlich kündigte Viktor Orbán an diesem Mittwoch die ersten Lockerungsmaßnahmen an, die ab nächster Woche zu erwarten sind. Budapest weicht jedoch von der Regel ab, da es landesweit das größte Zentrum der Infektion ist. Aber Terrassen, Schwimmbäder und Cafés werden in den Provinzen bereits wieder geöffnet, während das Tragen von Masken weit verbreitet und in Geschäften und Transportmitteln obligatorisch bleibt bzw. Senioren weiterhin bestimmten Einschränkungen für ihren eigenen Schutz unterliegen.
Am Ende ist der wahre Nachteil die Unklarheit, was die kleinen Händler und Handwerker, die liberalen Berufe und … diejenigen anbelangt, die auf dem Schwarzmarkt arbeiten. Diese Kategorien wissen nicht wirklich, was sie zu erwarten haben bzw. haben sie, abgesehen von den Möglichkeiten vorteilhafter Kredite und der vereinfachten und reduzierten Besteuerung, vorerst keine konkrete Unterstützung erhalten. Und auch wenn in den nächsten Tagen die Ankündigung neuer für sie notwendigen Maßnahmen erwartet wird, so lasten Abwarten und Unsicherheit doch schwer.