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Ungarn – Nach jahrelangem Tauziehen ist es nun soweit. Der Fidesz des christdemokratischen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán hat, nachdem vor seiner Absicht nochmals gewarnt hatte, nun beschlossen, die Europäische Volkspartei (EVP), die Mitte-Rechts-Fraktion im Europäischen Parlament, zu verlassen.

Die Epidemie als Katalysator

Während Hunderte und Tausende von Europäern im Krankenhaus liegen und unsere Ärzte daran arbeiten, Leben zu retten, sind wir empört, dass die EVP durch ihre internen administrativen Probleme gelähmt ist und versucht, unsere demokratisch gewählten Abgeordneten zum Schweigen zu bringen und zu blockieren“, heißt es in dem Brief von Viktor Orbán an den Vorsitzenden der EVP-Fraktion, Manfred Weber, am heutigen 3. März 2021.

Die Änderungen der EVP-Fraktionsregeln sind eindeutig feindlich gegenüber Fidesz und unseren Wählern“, heißt es in dem Brief weiter, der sich auf die hinterhältigen Methoden des EVP-Apparats bezieht, um Fidesz zu verdrängen.

Die Einschränkung der Fähigkeit unserer Europaabgeordneten, ihre Pflicht zu erfüllen, beraubt die ungarischen Wähler ihrer demokratischen Rechte. Das ist undemokratisch, ungerecht und inakzeptabel. Deshalb hat das Fidesz-Regierungskollegium beschlossen, die EVP-Fraktion ohne weitere Verzögerung zu verlassen“, so der konservative Ministerpräsident Viktor Orbán in seinem Brief.

Unsere Europaabgeordneten werden weiterhin im Namen derer sprechen, die sie vertreten, also unserer Wähler, und die Interessen des ungarischen Volkes verteidigen“, heißt es in dem Brief abschließend.

Ein Aufsehen erregender Ausflug mit Folgen

Die Europäische Volkspartei ist im Laufe der Jahre zur Mitte und dann zur progressiven Linken gedriftet, während die Fidesz seit 2010 eine Verschiebung von der Mitte zur christlichen Rechten erlebt hat. Diese Entwicklungen passen nicht gut zusammen. Die regelmäßigen Angriffe auf Ungarn seit der Migrantenkrise 2015 und die Stärkung der Visegrád-Gruppe auf Kosten Berlins waren die Quelle vieler wiederkehrender Spannungen zwischen der zunehmend progressiven EVP und den Fidesz-Abgeordneten, die sich an Viktor Orbáns konservativer Linie orientieren.

Nach einer seit zwei Jahren andauernden Seifenoper zwischen den EVP-Gremien, die in den Händen der progressiven Strömungen liegen, und dem Fidesz, der den rechten Flügel der EVP vertritt, kam die Sache zu einem Ende, nachdem sich der Fidesz frontal und kompromisslos gegen die Regeländerungen der EVP gestellt hatte.

Während das Tauziehen zwischen Fidesz und der EVP schon seit Jahren andauert, kann dieser Austritt aus der Fraktion viele Folgen haben. Zunächst einmal ist es eine erhebliche Schwächung für die ohnehin schon schrumpfende EVP – daher auch die große Zurückhaltung der EVP, Fidesz aus ihren Reihen auszuschließen –, da Fidesz 13 Abgeordnete von den derzeit 187 Abgeordneten in die Fraktion stellte – obwohl sie immer noch die größte Fraktion im Europäischen Parlament ist (174 Abgeordnete von 705 nach Abzug der Fidesz-Abgeordneten).

Die Entscheidung Viktor Orbáns, ob er einer anderen Fraktion beitritt oder nicht, wird nicht ohne Folgen bleiben. Würde Fidesz beispielsweise der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) beitreten, in der auch die polnische PiS Mitglied ist, hätte diese oft als euroskeptisch bezeichnete Fraktion mehr Abgeordnete als die Grünen (derzeit 73) und so viele (75) wie die Fraktion Identität und Demokratie (ID) – in der auch Le Pens französischer Rassemblement National Mitglied ist. Sollte sich Fidesz hingegen der ID-Gruppe anschließen, käme diese auf 88 Abgeordnete, nur 9 Sitze hinter Renew Europe, der progressiven und europäisch orientierten Gruppe, zu der die französiche Regierungspartei LREM gehört.

Aber abgesehen von diesen Überlegungen wird der Austritt von Fidesz auch zu mehr Angriffen auf die ungarische Regierung führen, da sich die ehemaligen EVP-Partner in Zukunft nicht mehr zurückhalten werden.

Die einzige Gewissheit ist, dass Viktor Orbán die EVP nicht ohne Plan verlassen hat.