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Europa gegen die EU: Wie verankern wir die historischen Werte des Abendlands in der Verfassung einer künftigen europäischen Konföderation?

Lesezeit: 4 Minuten

Vortrag gehalten am 3.12.2021 anläßlich der Tagung “How to Reform the Union for the Future of Europe”, organisiert von den “European Conservatives and Reformists“ als Begleitprogramm zum Treffen der konservativen Parteichefs von ECR und ID.

Europa befindet sich in einer tiefen Krise, da es gleichzeitig mit so unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert ist wie: Globalisierung, Massenmigration, Familienzerfall, Cancel Culture, Bevölkerungsniedergang, Entchristianisierung, Deindustrialisierung, Umweltschäden, soziale Polarisierung, Arbeitslosigkeit, Schuldenkrise, asymmetrische Kriege, Entdemokratisierung, Islamisierung, Fundamentalismus, Verfall der Infrastruktur, Terrorismus, Hedonismus, Überalterung, Rechtsrelativismus, Ultraliberalismus, LGBTQ-Wahn, steigende Sozialausgaben, Kriminalität, dysfunktionale Bürokratie, Gender-Irrsinn, etc. – verzeihen Sie die lange Aufzählung, aber nur, wenn wir uns der vollen Tragweite unseres Niedergangs bewußt sind, können wir auch über adäquate Lösungen nachdenken,

Diese Krise ist nicht von außen aufgezwungen, sondern hausgemacht. Es rächt sich nunmehr, was schon von Gründungsvätern wie Robert Schuman befürchtet wurde, nämlich daß ein vereintes Europa kein wirtschaftliches und technokratisches Unternehmen bleiben dürfe: Es braucht eine Seele, eine Bewußtseinswerdung seiner historischen Wurzeln. Ohne gemeinsame Identität kann es in Umbruchzeiten wie heute auch keine europäische Solidarität geben; eine solche Identität muß aber auf mehr verweisen als nur die allgemeinen Menschenrechte, sondern hat das zu berücksichtigen, was Europa und den Europäern unverwechselbar zu eigen ist: ein tief in Tradition und Geschichte verwurzeltes abendländisches Menschenbild. Scheitert ein solches Unterfangen, bestehen nur zwei Möglichkeiten: Der Zerfall in Nationalstaaten, welche daraufhin Mächten wie China, Rußland, der islamischen Welt oder den USA ausgeliefert sein werden, oder aber ein bürokratischer, seelenloser Zentralismus.

Natürlich behaupten die Befürworter der heutigen politisch-korrekten EU, daß jegliche EU-Skepsis „konservativ“ und darum verdammungswürdig sei, da sie angeblich automatisch die Rückkehr zum Nationalismus, zum rechtsextremen Autoritarismus und schließlich zu Krieg und Genozid hervorrufen müsse. Doch die Zahl derer nimmt ständig zu, die konservativen Patriotismus und die Verteidigung der abendländischen Identität miteinander verbinden wollen, um den zahlreichen inneren und äußeren Bedrohungen unserer Zivilisation zu begegnen. An der Spitze dieser Bewegung stehen gegenwärtig zweifellos die Visegrad-Staaten, was erklärt, warum es gerade eine polnische Institution war, die „Vereinigung der Künstler für die Republik“ („Stowarzyszenie Twórców dla Rzeczypospolitej“), welche unter dem Vorsitz von Zdzisław Krasnodębski die Initiative ergriffen hat, im Jahr 2020 eine Präambel für eine künftige Verfassung einer „Konföderation europäischer Nationen“ in Auftrag zu geben. Diese Verfassung soll als Sammelbecken für alle Konservativen dienen kann, die sich um die Verteidigung des Westens bemühen wollen – und zwar unabhängig von den politischen Familien, denen sie im Europäischen Parlament angehören mögen. Ziel der Präambel war es dabei, jene konservativen Werte, die von der gegenwärtigen EU verfolgt werden, fest in die Verfassung einzuschreiben, und somit die fundamentalen ideologischen Fehler des alten Verfassungsentwurfs von Valéry Giscard d’Estaing auszumerzen.

Es war mir eine große Ehre, in diesem Sinne besagte „Präambel“ redigieren zu dürfen, die in der Zwischenzeit in zahlreichen europäischen Sprachen publiziert und in den nächsten Monaten auch als Buch erscheinen wird, und die ganz in der Kontinuität der Ideologie des Hesperialismus steht, wie ich ihn 2019 in dem Buch „Renovatio Europae“ entwickelt habe. Die Grundidee des „Hesperialismus“ ist sehr einfach: Es ist höchste Zeit für eine Rückbesinnung auf jene Werte, die einst die Größe des Abendlandes begründet haben, wenn wir die schlimmsten Szenarien vermeiden wollen. Die Verteidigung der natürlichen Familie, eine strenge Regulierung der Einwanderung, die Rückkehr zum Naturrecht, der Schutz eines sozial verantwortlichen Wirtschaftsmodells, die radikale Umsetzung der Subsidiarität, die Wiederbelebung der kulturellen Wurzeln unserer Identität und die Erneuerung unseres Sinns für Schönheit – das sind, kurz gesagt, die Säulen eines solchen neuen, „hesperialistischen“ Europas. Wenn Europa im 21. Jahrhundert als Zivilisation überleben will, muß es sich auf die historischen Werte und Traditionen besinnen, die es seit dem Mittelalter geprägt haben, und die Brüsseler Tendenz zum Zentralismus drastisch zurückdrängen. Gleichzeitig muß es eine enge Partnerschaft zwischen den europäischen Nationen in bestimmten politischen Schlüsselbereichen garantieren wie etwa dem Grenzschutz, der Forschung, der Verbrechensbekämpfung, der Infrastruktur, der Verteidigung, der strategischen Ressourcen oder der rechtlichen Normen. Ein ideales Beispiel für eine solche Staatengemeinschaft sind daher nicht die Vereinigten Staaten oder die Bundesrepublik Deutschland, sondern vielmehr die großen vormodernen Imperien wie die polnisch-litauische Union oder das Sacrum Imperium, das Heilige Römische Reich.

Man kann sich fragen, warum Europa eine richtiggehende Verfassung brauche, denn zum einen endete der letzte Versuch, eine explizite Verfassung auszuarbeiten, in einem wahren Fiasko, während zum anderen gerade die Konservativen eher für eine Reduzierung, ja gar Demontage der europäischen Institutionen einzustehen scheinen und sich daher in der Regel gegen jede verbindliche gemeinsame Verfassung aussprechen. Doch dies ist ein Irrtum: Einerseits richtete sich der Widerstand vieler Bürger eindeutig nicht gegen die generelle Idee der europäischen Einigung, sondern gegen deren konkrete, höchst problematische Ausgestaltung; andererseits soll die hier angedachte Verfassung die Europäer nicht etwa noch stärker als vorher der Brüsseler Verwaltung und ihrer zunehmend linken Ideologie ausliefern, sondern sie vielmehr vor ihr schützen: Unser Projekt ist zwar eine Verfassung „für“ Europa, aber eine „gegen“ die EU.

Unsere Verfassung will erneut ein starkes, stolzes und patriotisches Europa begründen, das seine Identität verteidigt, anstatt sie zu beschmutzen; das die Nationen respektiert, anstatt sie zu verschmelzen; das ihr historisches Erbe ehrt, anstatt es dem Multikulturalismus zu unterwerfen; das die soziale Polarisierung heilt, anstatt Politik für die Eliten zu betreiben; das die Demokratie schützt und umsetzt, anstatt die Macht an seelenlose und undemokratische internationale Institutionen zu delegieren; das die Bedeutung unseres Kontinents in der Welt verteidigt, anstatt seinen Ausverkauf zu betreiben. Dieses Europa müssen wir uns erneut zurückerobern – mit dem Bürger, gegen seine gegenwärtigen Eliten. Der politische Zusammenschluß aller wahrhaften konservativen und patriotischen Kräfte um ein solches gemeinsames Ziel ist ein erster Schritt auf diesem Weg – hoffen wir daher, daß heute in diesem Sinne Geschichte geschrieben wird.