Ungarn – In einem von der BBC am Mittwoch, den 4. Mai ausgestrahlten Interview erklärte der ungarische Staatssekretär für internationale Kommunikation, Zoltán Kovács, dass der Vorschlag der Europäischen Union, die Einfuhr von russischem Öl zu verbieten, für Ungarn schlichtweg „inakzeptabel“ sei, da seine Umsetzung „die ungarische Wirtschaft zerstören“ würde.
Ungarn wird sein Veto gegen das Einfuhrverbot für russisches Öl einlegen
Auf die Frage des Journalisten Stephen Sackur, ob Ungarn gegen diese Maßnahme ein Veto einlegen würde, antwortete Kovács: „Kurz gesagt, ja.
Dieser Vorschlag kommt aus Brüssel … d.h. aus dem administrativen und bürokratischen Zentrum der Europäischen Union – und nicht aus den Mitgliedstaaten. Sie wissen genau, dass das, was sie vorschlagen, den ungarischen Interessen zuwiderläuft, dass es nicht durchführbar ist und dass wir, wenn wir es unterstützen, die ungarische Wirtschaft völlig zerstören würden“.
Früher am Morgen hatte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die Kriegsverbrechen, die russischen Soldaten sowohl in Butscha (einem Vorort von Kiew) bzw. in Mariupol (am Asowschen Meer) angelastet werden, als Begründung für eine weitere Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Russland angeführt und angekündigt, dass die Europäische Union ihre Abhängigkeit von russischem Öl beenden werde, koste es, was es wolle: „Es wird nicht leicht sein, aber wir müssen es einfach tun. […] Dies wird den Druck auf Russland maximieren und gleichzeitig die Kollateralschäden für uns und unsere Partner in der Welt minimieren. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft stark bleibt. […]
Wir wollen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt“.
Péter Szijjártó reagierte von Taschkent aus
Der ungarische Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó, der sich zu einem offiziellen Besuch in Usbekistan aufhielt, reagierte vom Flughafen in Taschkent aus auf das sechste Sanktionspaket aus Brüssel: „Dieses Sanktionspaket würde ein Verbot von Öllieferungen aus Russland nach Europa vorsehen, und zwar mit einer recht kurzen Frist: für Ungarn ab Ende nächsten Jahres. […] Allerdings,
würde dieses Sanktionspaket die Energiesicherheit Ungarns vollständig zerstören. […] Das ist keine Frage des fehlenden politischen Willens, sondern schlicht und einfach eine physische Realität.
[…] Ungarn könnte diese Maßnahmen nur akzeptieren, wenn der Öltransport durch Pipelines von diesen Beschränkungen ausgenommen würde“.
Eine Frist von anderthalb Jahren für Ungarn und die Slowakei?
Die Kommission war tatsächlich bereit zu akzeptieren, dass die Raffinerien des ungarischen Unternehmens MOL in Százhalombatta (Ungarn) und Pressburg (Slowakei) bis zum Ende des Übergangszeitraums, d.h. bis Ende 2023, weiterhin mit russischem Öl betrieben werden können. Nach Ansicht der ungarischen Regierung ist diese Frist jedoch zu kurz, um Alternativen einführen zu können. Derzeit importiert Ungarn 61% seines Öls aus Russland und ist damit nicht allein, denn Finnland ist zu 84% von russischem Öl abhängig, ebenso Litauen (73%), Polen (72%), Bulgarien (63%), Tschechien (49%)… aber auch Deutschland in geringerem Maße (34%). Nebenbei sei erwähnt, dass Russland aufgrund des durch die EU-Sanktionen verursachten Preisanstiegs seine Exporteinnahmen trotz geringerer Verkaufsmengen verdoppelt hat…
Die Slowakei fordert eine Frist von drei Jahren
Die Slowakei, die ebenso wie Ungarn betroffen ist, verlangt ebenfalls mögliche Ausnahmeregelungen. So fordert der slowakische Wirtschaftsminister Richard Sulík eine dreijährige Übergangsfrist: „Die Slowakei hat die Sanktionen immer unterstützt. […] Wir arbeiten mit anderen Ländern der Europäischen Union zusammen, aber wir verlangen auch Solidarität mit uns“.
Kiew erhöht den Druck
Darüber hinaus üben die ukrainischen Behörden weiterhin moralischen Druck auf die europäischen Staats- und Regierungschefs aus. So forderte der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba am Mittwoch, den 4. Mai, erneut, so schnell wie möglich ein Embargo gegen russische Energiequellen zu verhängen: „Wir erleben jetzt eine absurde Situation:
Die EU unterstützt die Ukraine mit einer Hand, leistet finanzielle Hilfe, verhängt verschiedene Sanktionen gegen Russland, mobilisiert Ressourcen, um die Ukraine mit Waffen zu versorgen, während sie Russland weiterhin für Gas und Öl bezahlt,
und damit die russische Kriegsmaschinerie antreibt. Solange Russland weiterhin Milliarden Euro von der EU erhält, werden wir dessen Kriegsmaschinerie nicht brechen können. […]
Wenn ein Land in Europa sich weiterhin gegen das russische Ölembargo stellt, dann haben wir allen Grund zu sagen, dass dieses Land an den von Russland auf dem Territorium der Ukraine begangenen Verbrechen mitschuldig ist“.
„Der Vorschlag wurde an den Absender zurückgeschickt“
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán erklärte seinerseits am Freitag, den 6. Mai im Rundfunk, dass eine „rote Linie“ überschritten worden sei und dass Frau von de Leyer „absichtlich oder unabsichtlich die europäische Einheit angegriffen“ habe:
„Ich habe zu den ersten fünf Sanktionspaketen Ja gesagt, aber wir haben von Anfang an klar signalisiert, dass es eine rote Linie gibt: das Energieembargo. Sie haben diese Linie überschritten […], es gibt einen Punkt, an dem man Stopp sagen muss. […]
Es braucht eine einstimmige Entscheidung. Solange die ungarische Frage nicht gelöst ist, wird es kein Ja aus Ungarn geben. […] Der Vorschlag wurde an den Absender zurückgeschickt, an die Frau Präsidentin, damit sie ihn überarbeitet, wir warten auf einen neuen Vorschlag“.