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Das von einem Teil der europäischen Rechten übernommene russische Narrativ greift in Polen nicht

Lesezeit: 8 Minuten

KOMMENTAR

Glaube keiner Nachricht, bevor sie nicht vom Kreml dementiert wurde“: Diese Warnung in Form von Humor wurde in den Ländern des ehemaligen Ostblocks ernst genommen, und der Ansatz gilt nach wie vor für eine große Mehrheit der Polen, die bereits über 120 Jahre russische Besatzung auf einem Großteil ihres Territoriums, vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert, und zwar schon vor den Jahrzehnten der sowjetischen Besatzung im 20. Jahrhundert erlebt hatten. Und dabei geht es nicht nur um die Polen. Selbst in Ungarn, das von den westlichen Mainstream-Medien als pro-russisch bezeichnet wird, weil seine Regierung darauf achtet, sich nicht in einen Krieg in der Ukraine hineinziehen zu lassen, der nicht der ihre ist, werden Ihnen Fidesz-nahe Leute, wenn das Thema zur Sprache kommt, unter vier Augen normalerweise sagen, dass sie zwar wissen, dass Russland die ganze Zeit lügt und in diesem Konflikt der Aggressor ist, dass Ungarn aber ein kleines Land ist, das seine eigenen Interessen und nicht die der Großmächte verteidigen muss.

Das hindert sie jedoch nicht daran, bestimmte Elemente des russischen Narrativs zu übernehmen, wenn es ihnen in den Kram passt, etwa wenn die Denkfabrik bzw. das Umfrageinstitut Századvég, das der Regierung von Viktor Orbán nahesteht, verkündet, dass mit Ausnahme der Polen eine Mehrheit der Europäer der Ansicht sei, dass „das EU-Verbot für russische Öl- und Gasimporte Europa mehr schadet als nützt“. Ein typisches Beispiel für eine Frage für eine verzerrte Umfrage, da es in Wirklichkeit kein EU-Verbot für russische Gasimporte gibt: Es waren die Russen selbst, die die Gaslieferungen an ihre europäischen Kunden unterbrochen haben, um die EU-Länder dazu zu bringen, die Unterstützung für die Ukraine einzustellen.

Nicht nur die Polen unterstützen mit großer Mehrheit die Sanktionen gegen Russland, und nicht nur der einfache Pole weiß sehr wohl, woran er durch Informationskampagnen wie die vom Verband der Stromerzeuger (PKEE) organisierte erinnert wird, dass es Russland war, das beschlossen hat, die Gaslieferungen an Polen einzustellen (während die falsche These von den europäischen Gassanktionen nicht nur in Ungarn, sondern auch in Westeuropa, insbesondere in Frankreich und Deutschland, und vor allem in den rechten Kreisen dieser Länder immer noch Bestand hat), sondern auch andere Elemente des russischen Narrativs haben es in Polen viel schwerer, Wurzeln zu schlagen als weiter im Westen.

Dies gilt beispielsweise für die Behauptung, die russische Offensive sei notwendig gewesen, um die russischsprachige Bevölkerung in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk vor dem anhaltenden Beschuss durch die ukrainischen Streitkräfte – der gegen die Minsker Vereinbarungen verstößt – zu schützen, bei dem angeblich 13.000 bis 14.000 russischsprachige Zivilisten ums Leben gekommen seien. Diese von den Russen vorgebrachten Zahlen wurden in Frankreich von Leuten wie Anne-Laure Bonnel, Autorin des Dokumentarfilms „Donbass“, oder auf weniger direkte Weise, indem sie die gesamte Verantwortung für die 13 bis 14.000 Toten im Donbass allein den Ukrainern in die Schuhe schieben, von Leuten wie dem (durch Heirat und Wohnsitz) zum Franko-Russen gewordenen Franzosen, Xavier Moreau, Redakteur der französischsprachigen pro-russischen Website Stratpol popularisiert, der seit Jahren ein treuer Vermittler der Erzählungen des Kremls und seiner Medien für die Franzosen ist und in den Medien der französischen „Alt-Right“ gerne eingeladen wird, oder auch der Franko-Serbe Nicola Mircović, Vorsitzender des Vereins Est-Ouest (Ost-West). Die Zahl, die von diesen Vermittlern der russischen Erzählung genannt wird, ist in Wirklichkeit eine Manipulation der UN-Zahlen, die in einem Bericht von 2019 vorgebracht werden: Es handelt sich tatsächlich um die Gesamtzahl der Toten auf beiden Seiten seit 2014, darunter mehrheitlich Soldaten. In Polen ist dieses Element des russischen Narrativs aus einem ganz einfachen Grund nie in Umlauf gekommen. Durch den Kontakt mit Ukrainern (die in Polen sehr zahlreich sind) und der (benachbarten) Ukraine wissen die Polen sehr wohl, dass der Maidan – unabhängig von der Finanzierung und Unterstützung, die er möglicherweise aus dem Ausland erhalten hat (ein starkes Element des Narrativs des Kreml und seiner Verbindungsleute im Westen) – auch eine echte Volksrevolte gegen ein ultrakorruptes postsowjetisches System war, das das Leben unmöglich machte (was unabhängig von der Enttäuschung nach dem Euromaidan eine Tatsache ist), und dass die Minsker Vereinbarungen auch von den separatistischen Republiken im Donbass, die von Russland unterstützt (und sogar geschaffen, wie den Polen bewusst ist) wurden, nie eingehalten wurden. Die Polen wissen aus Zeugenaussagen, dass der Beschuss durch russischsprachige (oder russische) Separatisten nie aufgehört hat, Zivilisten und Soldaten auf ukrainischer Seite zu töten. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Bezeichnung „Volksrepublik“ und die sowjetische Symbolik, die von jenen Volksrepubliken Donezk und Lugansk verwendet wird, in den Augen der Polen, die sich noch an die ihnen von Sowjetrussland aufgezwungene Volksrepublik Polen erinnern, disqualifizierend wirken. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass das Symbol von Hammer und Sichel in Polen ebenso verboten ist wie das Hakenkreuz.

Ein weiteres Element des russischen Narrativs, das in bestimmten französischen oder deutschen Kreisen (in Deutschland sind dies insbesondere die mit der AfD verbundenen Kreise) recht gut funktioniert, ist die Leugnung der Existenz einer ukrainischen Identität und die (vom Kreml absichtlich, in Westeuropa aus Unwissenheit betriebene) Verwechslung von Russen und Ostslawen, genauer gesagt von moskowitischen Russen und Ruthenen.

Da die Polen im Laufe der Jahrhunderte sowohl mit den Ukrainern als auch mit den moskowitischen Russen aneinandergeraten sind, kennen sie den Unterschied, und während das Wort „Ruthene“ im Deutschen heutzutage exotisch klingt, ist das Wort „Rusini“, das im Polnischen die Bevölkerung des heutigen Weißrusslands und der Ukraine bezeichnete und nicht mit „Rosjanie“ (Russen) identisch ist, allen Polen wohlbekannt. Bis zum 17. Jahrhundert waren die Ukraine und Weißrussland Gebiete der polnisch-litauischen Republik der Zwei Nationen. Die Kosakenaufstände Mitte des 17. Jahrhunderts brachten den Osten der Ukraine in den russischen Orbit, bevor der Westen im Zuge der polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts dazukam. Die Zweite Polnische Republik der Zwischenkriegszeit, die ihren Unabhängigkeitskrieg gegen das bolschewistische Russland begann, indem sie sich mit den Ukrainern verbündete, umfasste wiederum den Westen der heutigen Ukraine und eine starke ukrainische Minderheit (mit entsprechender Unabhängigkeitsbewegung), und die polnische Bevölkerung Wolhyniens wurde während des Zweiten Weltkriegs Opfer eines von der ukrainischen UPA verübten Völkermords mit dem Ziel, die Region im Hinblick auf eine künftige unabhängige Ukraine von der polnischen Bevölkerung zu säubern. Die Polen wissen also sehr wohl, dass es eine ukrainische Identität gibt und dass die Ukrainer, da sie vor 1991 keinen unabhängigen Staat hatten (abgesehen vom Kosaken-Hetmanat als Protektorat Russlands im 17. bis 18. Jahrhundert), lange um ihre Identität und ihren eigenen Staat gekämpft haben und nicht zu den Russen gehören. Da die ukrainische Sprache dem Polnischen wesentlich ähnlicher ist als die russische Sprache, ist der polnische Sprecher in der Lage zu erkennen, dass das Ukrainische kein Dialekt des Russischen ist, im Gegensatz zu den Behauptungen der russischen Erzählung und, nach ihr, von Leuten wie Xavier Moreau. Und was kann man von der Behauptung von François Asselineau sagen, dem Führer einer Partei (UPR), die zwar sehr marginal ist, aber immerhin über 220.000 Follower auf Twitter hat, wenn er meint, dass die Bewohner der Westukraine in Wirklichkeit Polen wären, die keine Legitimität hätten, über die Russen im Osten des Landes zu herrschen? Natürlich kann das Element des russischen Narrativs, das den Eindruck erwecken soll, Polen habe es auf die Westukraine abgesehen und die russische Intervention sei unerlässlich, um die Unabhängigkeit des Landes zu bewahren, und das in bestimmten Kreisen im Westen aufgegriffen wird, in Polen nicht funktionieren, da die Polen sehr wohl wissen, dass es diese Idee, den Westen der Ukraine zurückzuerobern, bei ihnen nicht gibt und reine Kreml-Propaganda ist.

Bei zwei anderen Punkten des russischen Narrativs ist die Lage etwas differenzierter: Russland wurde durch das Vordringen der NATO nach Osten und sogar bis in die Ukraine provoziert, und die NATO kann Russland keine Lektionen erteilen, da sie selbst 1999 Serbien bombardiert und eine Grenzänderung erzwungen hat, indem sie eine Abtrennung des mehrheitlich von Albanern bewohnten Kosovo erzwang. Letzteres wird in Polen schlichtweg verschwiegen, ebenso wie der US-Angriff auf den Irak im Jahr 2003 (ein weiteres Element, das im russischen Narrativ angeführt wird), an dem Polen beteiligt war. Was das Vordringen der NATO nach Osten betrifft, so wird dies in Polen freilich als legitim angesehen, um sich kollektiv vor dem russischen Imperialismus zu schützen, der gerade in der Ukraine am Werk ist. Andererseits gibt es abweichende Stimmen dazu, ob es für die Verteidigung der polnischen Interessen – angesichts des Konflikts, den dies zwangsläufig mit Russland auslösen musste – sinnvoll ist, eine künftige NATO-Mitgliedschaft postsowjetischer Republiken wie der Ukraine zu fördern. Diese Fragen kommen insbesondere aus nationalistischen Kreisen, d.h. der Opposition am rechten Rand der PiS (insbesondere in der Partei Konfederacja, die Nationalisten und Libertäre vereint und zwölf Abgeordnete im Sejm stellt), tauchen aber auch in einigen großen konservativen Medien auf, wie z.B. in der liberal-konservativen Wochenzeitung Do Rzeczy. Diese Kreise werden dann relativ leicht als russische Agenten von denjenigen abgestempelt, die die Ukraine in ihrem Verteidigungskrieg gegen Russland unterstützen wollen, koste es für Polen, was es wolle. Sie sind der Ansicht, dass eine Niederlage der Ukraine Polen und die baltischen Staaten in die Gefahr bringen würde, zu den nächsten Zielen der russischen Expansion zu werden. In den weiter westlich gelegenen Ländern scheint die Bedrohung naturgemäß weiter entfernt zu sein, und in rechten Kreisen wird Russland als weniger gefährlich angesehen als der radikale Islam, der sich im Inland aufgrund jahrzehntelanger Masseneinwanderung und laxer staatlicher Maßnahmen ausbreitet.

Die Politiker von Konfederacja bzw. die Redakteure von Do Rzeczy sind jedoch keine Abklatsche des russischen Narrativs, wie es ein Redner wie Jacques Baud – ein ehemaliger Offizier des strategischen Nachrichtendienstes der Schweiz, der gerne in bestimmten französischen Medien, die nicht marginal sind (wie Sud Radio oder Valeurs Actuelles), zu Wort kommt – regelmäßig zu tun scheint. Und wenn das russische Narrativ behauptet, dass die Präsenz von NATO-Truppen in den Ländern der Ostflanke (seit 2016) gegen die Vereinbarungen zwischen der Atlantischen Organisation und Jelzins Russland verstöße, haben die Polen im Hinterkopf, dass Russland durch die Annexion der Krim und die Gründung (oder zumindest die Unterstützung bei der Gründung) von pro-russischen „Volksrepubliken“ in der Ostukraine, wo es dann 2014 militärisch intervenierte, um Donezk und Lugansk gegen den Vormarsch der ukrainischen Armee zu verteidigen, selbst gegen das Budapester Memorandum von 1994 verstieß, in dem sich die Ukraine verpflichtete, Russland das gesamte postsowjetische Atomwaffenarsenal in ihrem Besitz zu übergeben, und Russland sich im Gegenzug verpflichtete, die territoriale Integrität der Ukraine stets zu respektieren. Allein dieses Memorandum, das auch von den USA und dem Vereinigten Königreich unterzeichnet worden war, rechtfertigt die Unterstützung, die diese beiden Länder seit 2015 für die Stärkung der ukrainischen Armee geleistet haben, da sie sich ebenfalls für die territoriale Integrität der Ukraine verbürgt hatten, als Gegenleistung dafür, dass Kiew die in seinem Besitz befindlichen Atomwaffen abgab.

Die in Kreisen, die der deutschen AfD wie auch der französischen konservativen Rechtsaußen oder der Parteien RN, LR bzw. Reconquête nahe stehen, populäre Vorstellung, man habe es mit einem Kampf des heiligen konservativen und christlichen Russlands gegen einen dekadenten und progressiv abdriftenden Woke-LGBT-Westen mit zunehmend totalitären Zügen zu tun, greift auch in Polen nicht, und zwar auch nicht in konservativen Kreisen, die sich dieser Entwicklung und ihrer Gefahren bewusst sind.

Diese ist seit dem Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts eine der großen Achsen des Kreml-Narrativs, um seinen Einfluss auszuweiten, und entspricht der antiwestlichen Tradition Russlands. Dieses vom Kreml geschaffene Image hat ihn und seine Auslandsmedien wie RT bzw. Sputnik übrigens nie davon abgehalten, in ihrer spanischsprachigen Ausgabe für Lateinamerika sehr pro-kommunistische Akzente zu setzen. Dass die Polen nicht daran glauben, hat jedoch andere Gründe. Erstens können viele in Polen Russisch und waren in Russland oder kennen Leute, die in Russland waren, und sie wissen genau, dass die russischen Kirchen genauso leer sind wie die Kirchen in Westeuropa und dass die polnischen Kirchen nicht leer sind. Zweitens werden die polnischen Konservativen, die ganz überwiegend praktizierende Christen und lebensbejahend sind, Sie systematisch an die Abtreibungsstatistiken in Russland erinnern, die unter Wladimir Putin zwar zurückgegangen, aber immer noch sehr hoch sind (etwa auf demselben Niveau wie in Frankreich, gemessen am Anteil der Bevölkerung, wobei Frankreich – bei weitem – das EU-Land mit den meisten Abtreibungen ist). Im Gegensatz zu Russland und den westeuropäischen Ländern, in denen Abtreibungen fast alltäglich geworden sind, gelten in Polen strenge Abtreibungsgesetze, da nur Abtreibungen erlaubt sind, die notwendig sind, um das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Frau zu retten, oder wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung entstanden ist. Darüber hinaus fällt es den Polen, die gesehen haben, was aus den ehemaligen Mitgliedern der politischen Polizei des kommunistischen Regimes nach dem Übergang zur Demokratie geworden ist, schwer, an die Aufrichtigkeit der erklärten Bekehrung des geschiedenen ehemaligen KGB-Offiziers Wladimir Putin zu glauben, zumal dieser keinen Hehl daraus macht, dass er es bedauert, dass die Sowjetunion untergegangen ist. Und wenn ein Franzose wie François Martin, Vorsitzender des Vereins HEC Géostratégies, am 5. Dezember im Sud Radio erklärte, dass Russland in seiner Verfassung die Familie als Einheit von Mann, Frau und Kindern verankert habe und dass der Westen dies nicht akzeptieren könne, dann werden die Polen, in deren Verfassung eben steht, dass die Ehe die Verbindung von Mann und Frau ist, über diese Behauptung lachen. Und genauso steht es auch in den Verfassungen vieler ost- und mitteleuropäischer Länder: Lettland, Litauen, Weißrussland, Ungarn, Slowakei, Bulgarien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Moldawien und sogar… die Ukraine.


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