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Next Generation EU – Das gefährliche Spiel der EU mit Polen

Sovereignty.pl ist ein englischsprachiges konservatives Portal, wo polnische Kolumnisten und Kommentatoren über die großen Themen schreiben, die die öffentliche Debatte in ihrer Heimat antreiben.

Lesezeit: 4 Minuten

Könnte Polen nicht nur den Zugang zum Next Generation EU-Fonds für „Aufbau- und Resilienzfazilität“ verlieren, die von der Europäischen Kommission wegen eines langjährigen Streits über die polnische Justiz immer noch zurückgehalten werden, sondern auch zu den dringend benötigten Kohäsionsmitteln, die mit dem Finanzrahmen der EU für 2021-27 versprochen wurden?

Ein Artikel von Olivier Bault, der auf Englisch auf Sovereignty.pl veröffentlicht wurde. Um die vollständige englische Version auf Sovereignty.pl zu lesen, klicken Sie bitte hier.

Als bisher größter Nutznießer des EU-27-Haushalts hat das ehemalige Ostblockland nach zwei Jahrzehnten dynamischen Wirtschaftswachstums als Mitglied der Europäischen Union, der es 2004 beitrat, viel zu verlieren. Aber auch diejenigen, die 70 Jahre europäische Integration schätzen und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für wichtig halten, haben gute Gründe, sich Sorgen zu machen, denn der Konflikt zwischen Warschau und Brüssel könnte sehr ernste Auswirkungen haben, nicht nur auf die Wirtschaft und nicht nur für die Polen.

Es ist in der Tat eine außergewöhnliche Situation, dass einem Mitgliedstaat mit 38 Millionen Einwohnern und einem Pro-Kopf-BIP von 46 % des EU-Durchschnitts (laut Eurostat-Zahlen für 2021) im Jahr 2023 der Zugang zu einem EU-weiten Plan für „Konjunkturbelebung und Krisenbewältigung“ verweigert wird, dessen erklärtes Ziel es war, „gestärkt aus der Pandemie hervorzugehen, Wirtschaft und Gesellschaft umzugestalten und ein Europa für alle zu schaffen“, und der mit einem Gesamtbudget von 750 Mrd. EUR ausgestattet ist (die Hälfte davon als Zuschüsse und die andere Hälfte in Form von Darlehen, die den einzelnen Ländern zur Verfügung gestellt werden). Ursprünglich sollten diese Mittel in den Jahren 2021-2026 ausgegeben werden, um sich von der Depression der Jahre 2020-21 im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie zu erholen, und genau das geschieht in viel reicheren Ländern wie Deutschland (mit einem Pro-Kopf-BIP von 133 % des EU-Durchschnitts), Frankreich (113 %), Italien (93,2 %), Spanien (78,6 %) und anderen. Ende März 2023 rühmte sich die Europäische Kommission auf ihrer Website, im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) bereits 145 Milliarden Euro an EU-Länder ausgezahlt zu haben. Davon hatte die Kommission 2,25 Mrd. EUR in Form von Zuschüssen an Deutschland, 12,52 Mrd. EUR in Form von Zuschüssen an Frankreich, 28,95 Mrd. EUR in Form von Zuschüssen und 37,94 Mrd. EUR in Form von Darlehen an Italien, 31,04 Mrd. EUR in Form von Zuschüssen an Spanien und sogar 12,14 Mio. EUR in Form von Zuschüssen an das winzige Luxemburg überwiesen, das reichste Mitglied der EU, dessen Pro-Kopf-BIP bei 347 % des EU-Durchschnitts liegt. Abgesehen von Polen und Ungarn hatten nur Irland, die Niederlande und Schweden bis zum Ende des ersten Quartals 2023 noch keine Gelder aus dem RRF ausgezahlt bekommen. Bei diesen drei westeuropäischen Ländern liegt es jedoch nicht daran, dass die Europäische Kommission die Mittel zurückhält, sondern daran, dass ihre Regierungen noch keine Mittel aus der RFF abgerufen haben.

Theoretisch sollte Polen von den 750 Milliarden Euro, die für die RRF der Union vorgesehen sind, 58,1 Milliarden Euro erhalten (23,9 Milliarden in Form von Zuschüssen und 34,2 Milliarden Euro in Form von Darlehen). Könnte es sein, dass Polen keine Gelder aus dem Next Generation EU-Fonds erhält, aber dennoch aufgefordert wird, sich an der Rückzahlung der entsprechenden EU-Anleihen in den Jahren 2028-2058 zu beteiligen und mehr zum EU-Haushalt beizutragen, um die Zuschüsse für die reicheren Länder Westeuropas zu decken? Oder ist es möglich, dass Polen, ohne selbst Zugang zum Next Generation EU- Darlehensprogramm zu haben, dennoch seinen Anteil an dieser neuen gemeinsamen EU-Schuld zahlen muss, wenn beispielsweise Italien oder Griechenland nicht in der Lage sind, die erhaltenen Darlehen in Zukunft zurückzuzahlen?

Die gleichen Fragen können für Ungarn gestellt werden, dem 7,2 Milliarden Euro an Zuschüssen versprochen wurden und das Anspruch auf 9,6 Milliarden Euro an Darlehen hat, wobei auch diese Mittel von der Europäischen Kommission allerdings einbehalten werden.

Diese Situation ist umso überraschender, als der Europäische Rechnungshof in einem am 8. März 2023 veröffentlichten Bericht bemängelte, dass „bei aus dem RRF finanzierten Investitionsprojekten die Einhaltung der einschlägigen EU- und nationalen Vorschriften im Gegensatz zu anderen EU-Finanzierungsprogrammen keine Voraussetzung für die Auszahlung ist“.

Außerdem, so heißt es in dem Bericht des Rechnungshofs, „wolle die Kommission prüfen, ob die von den einzelnen EU-Ländern durchgeführten Kontrollen angemessen sind“ und „bewerten, ob diese geeignet sind, Betrug, Korruption, Interessenkonflikte und Doppelfinanzierung zu verhindern, aufzudecken und zu beseitigen,“ wobei die Kommission dann „mögliche illegal erhaltene Beträge zurückzufordern, falls die Länder dies nicht selbst täten.

Für Polen und Ungarn sieht es allerdings anders aus, denn die beiden Länder müssen eine ganze Reihe von Meilensteinen erreichen, bevor eine Zahlung erfolgen kann. Polen zum Beispiel musste 116 Meilensteine in seinen nationalen Konjunkturplan aufnehmen, um die Zustimmung der Kommission zu erhalten, die am 1. Juni 2022 trotz des Widerstands von fünf Kommissaren erteilt wurde: Didier Reynders, ein belgischer Liberaler, der für Justiz zuständig ist, Věra Jourová, eine tschechische Progressistin, die für „Werte“ und „Transparenz“ zuständig ist und auch Vizepräsidentin der Kommission ist, Margrethe Vestager, eine dänische Liberale, die für Wettbewerb zuständig ist, Ylva Johansson, eine schwedische Sozialdemokratin, die für Inneres (einschließlich Einwanderung) zuständig und dritte Vizepräsidentin der Kommission ist, sowie Frans Timmermans, Mitglied der niederländischen Arbeiterpartei und erster Vizepräsident der Kommission, der für Klimaschutzmaßnahmen zuständig ist. Timmermans führte in der vorherigen Juncker-Kommission als Erster Vizepräsident, der für Fragen der Rechtsstaatlichkeit zuständig war, den Kreuzzug gegen Polen und Ungarn an. Reynders, Jourová und insbesondere Timmermans bestanden später darauf, dass Polen keine Mittel erhalten würde, bevor es nicht alle in seinem nationalen Konjunktur- und Resilienzplan genannten Meilensteine erreicht habe. Die formelle Zustimmung der Kommission war jedoch eine Voraussetzung für das grüne Licht des Rates für die Auszahlung der Mittel… nach dem Ermessen der Europäischen Kommission. Zu den Meilensteinen Polens gehört die Organisation des polnischen Justizwesens, auf die sehr weitreichende Änderungen folgten, wie sie in keinem anderen nationalen Aufbauplan zu finden sind.

(…)

Die derzeitige Verwendung des Next Generation EU-Fonds bzw. des Kohäsionsfonds, wobei der neue „Rechtsstaatlichkeitsmechanismus“ von der Europäischen Kommission bereits gegen Ungarn ausgelöst wurde, um Polen und Ungarn zur Unterwerfung zu erpressen, sollte niemanden in der Europäischen Union gleichgültig lassen. Und dass der Next Generation EU-Fonds auch als Antwort auf den Krieg in der Ukraine eingesetzt werden soll, ist umso bedenklicher. In den Worten der Europäischen Kommission selbst: „Die Mittel werden eingesetzt, um die zentralen Herausforderungen vor Europa zu bewältigen und Bedürftige zu unterstützen. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde der EU-Haushalt eingesetzt, um Soforthilfe und Unterstützung in der Ukraine und in den EU-Ländern zu leisten und die humanitären Folgen des Krieges zu lindern.

Es erübrigt sich zu erwähnen, dass die finanzielle Erpressung der Kommission, die Polen die dringend benötigten Mittel für Konjunkturbelebung und Krisenbewältigung vorenthält, in krassem Gegensatz zu dem enormen Beitrag steht, den dieser Mitgliedstaat, auch in finanzieller Hinsicht, zur Unterstützung der Ukraine und zur Aufnahme von Millionen von Flüchtlingen geleistet hat, und sie spielt zweifellos Putins Russland in die Hände.

Langfristig könnte dies zum Zerfall der Europäischen Union oder im Gegenteil zu einer föderalen, aber undemokratischen EU führen, in der die Wähler nur noch sehr wenig Einfluss auf die Gesetze ihres Landes haben, da sie von einer aufgeklärten Elite regiert werden, die aus Richtern besteht, die von anderen Richtern ernannt werden, mit einem allmächtigen und unkontrollierten Gerichtshof der Europäischen Union an der Spitze.

(…)

Übersetzung: Visegrád Post.