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Max Ferrari: „Die Lega will mit dem Fidesz und dem PiS zusammenarbeiten“

Lesezeit: 6 Minuten

Interview realisiert von Olivier Bault für das Wochenmagazin Do Rzeczy: „Ist Italien dem V4 näher?“

Interview mit Max Ferrari, Journalist, Expert der italienischen Lega Nord für internationale Fragen, Berater des Präsidenten der Region Lombardei Attilio Fontana, veröffentlicht im polnischen Magazin Do Rzeczy vom 1. Oktober 2018 und mit der Genehmigung der Redaktion von Do Rzeczy übersetzt.

Olivier Bault: Anlässlich ihres Treffens in Mailand Ende August haben Matteo Salvini und Viktor Orbán den Eindruck gegeben, mit einer gemeinsamen Stimme gegenüber der EU zu sprechen, insbesondere bezüglich der Migrationsfrage und ihrer Beziehung zu Brüssel und zu dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Aber ist der Standpunkt des Innenministers wirklich derjenige der italienischen Regierung? Es hat innerhalb der Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento Cinque Stelle) Stimmen gegeben, um das Gegenteil zu behaupten. So erklärte z.B. der Vorsitzende der Fraktion der Fünf-Sterne-Bewegung im Senat, das es bloß ein „politisches Treffen“ gewesen sei.

Max Ferrari: Es stimmt, dass es keinen Regierungsgipfel war und dass Matteo Salvini den Standpunkt der Lega und nicht unbedingt denjenigen der italienischen Regierung ausgesprochen habe. Man kann jedoch nicht leugnen, dass Salvini gleichzeitig Vorsitzender der Lega und stellvertretender Ministerpräsident ist. Es ist nicht möglich, beide Ämter völlig voneinander zu trennen. Es ist auch als Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident, dass er sich mit dem ungarischen Ministerpräsidenten getroffen hat.

Übrigens zeigen die Umfragen eine wachsende Unterstützung für die Lega. Jene steht nunmehr vor ihrem Koalitionspartner innerhalb der Regierung und an der Spitze der Abstimmungsabsichten. Der Eindruck ist der gleiche, wenn man mit den Menschen auf der Straße spricht. Innerhalb und außerhalb der Regierung wird das, was Salvini im Bereich der Migrationsfrage tut, massiv unterstützt, einschließlich innerhalb der Fünf-Sterne-Bewegung. Der rechte Flügel dieser Partei, dessen Ansichten näher zu denen der Lega sind, nimmt immer mehr die Oberhand.

Was die Migrationspolitik betrifft, so ist der größte Unterschied zwischen der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung, die Einstellung gegenüber der Umsiedlung der Migranten. Die Fünf-Sterne-Bewegung ist dafür, während die Lega – wie die ungarische Regierung und ihre Partner der V4 – die illegale Einwanderung vollständig stoppen will. Wir stellen fest, dass das Akzeptieren der Umsiedlung einen falschen Signal senden würde. Deswegen verstehen wir die V4-Länder, die diesen Mechanismus ablehnen. Wir wissen wohl, dass dies weder Egoismus noch Rassismus sei. In diesem Bereich liegt die Lega näher zu Orbán als die Fünf-Sterne-Bewegung.

Die Lega schaut auch traditionell mit einer größeren Aufmerksamkeit darauf, was in Mitteleuropa geschieht. Wir setzen uns sehr stark im Mittelmeer ein, wo wir in einem gewissen Sinne in Frontalopposition mit den französischen Interessen stehen, da wir wollen, dass Italien wieder zu einem wichtigen Akteur in dieser Region werde. Wir wollen in Libyen präsent sein und wir wollen unmittelbar mit Ägypten, Saudi-Arabien und den nordafrikanischen Ländern sprechen, um die Lage im Mittelmeer bewältigen zu können, ohne dafür von Macron abhängig zu sein.

Aber andererseits ist der „Kopf“ der italienischen Halbinsel in Mitteleuropa verankert. Unsere Nachbarn im Norden sind Österreich und Ungarn bzw. auch etwas nördlicher, Länder wie Polen. Wir müssen das Mittel finden, um mit Mitteleuropa zusammenzuarbeiten und gemeinsam eine neue Europäische Union zu gründen, die auf unseren Prinzipien beruht und nicht auf denjenigen der Linke.

Olivier Bault: Die italienische Lega sitzt derzeit im Europäischen Parlament gemeinsam der Französin Marine Le Pen. Will sie denn nach den kommenden Wahlen die EU mit der Hilfe des ungarischen Fidesz und des polnischen Pis reformieren?

Max Ferrari: Persönlich denke ich, dass der ungarische Fidesz und die Partei Kaczyńskis in Polen der Lega sehr ähneln. In der Lega haben wir die Hoffnung, eine Formel zu finden, um mit dem Fidesz und dem PiS nach den Europawahlen offiziell zusammenarbeiten zu können. Bei uns findet jeder als normal, dass es eine solche Koalition der sogenannten „populistischen“ Parteien gebe. Das Wort „Populist“ ist für uns keine Beleidigung. Wir empfinden es im Gegenteil als positiv, denn es bedeutet, dass wir für das Wohl unseres Volkes arbeiten.

Somit wäre es gut, wenn wir gemeinsam innerhalb der gleichen Fraktion im Europaparlament sitzen und gemeinsam daran arbeiten könnten, die EU zu erneuern. Wir wünschen nicht das Ende der Europäischen Union. Wir wollen die EU umfangreich umwandeln, um die Zusammenarbeit zu bewahren, während wir die Souveränität unserer Länder respektieren.

Olivier Bault: Sprach denn die Lega in der Vergangenheit nicht davon, dass Italien aus der EU austrete?

Max Ferrari: Das waren eher Spekulationen der Medien. Ich würde allerdings nicht behaupten, das solche Parolen während einer unserer Pressekonferenzen niemals gesprochen wurden. Unsere Beziehung zur heutigen EU, die uns nicht gefällt, kann manchmal etwas einfach zum Ausdruck gebracht worden sein. Trotzdem haben wir niemals unser gemeinsames Haus Europa zerstören wollen. Wir sind dessen bewusst, dass manche Probleme nur gemeinsam gelöst werden können, aber wir wollen auch vieles autonom und souverän erledigen können. Ich denke also, dass wir mit Menschen, die so denken wie wir, eine gute Balance zwischen Zusammenarbeit und Souveränität finden können. Es ist durchaus möglich, aber dafür müssen wir diese linken Fanatiker überwinden, die derzeit die Europäische Union gegen die europäischen Völker regieren.

Olivier Bault: Aus polnischer Sicht ist es wichtig zu wissen, wie die italienische Regierung sich gegenüber dem Sanktionsverfahren verhalten wird, das die Europäische Kommission gegen Polen wegen der Justizreform gestartet hat. Wie denken Sie wird die italienische Regierung stimmen, falls es im Rat zu einer Abstimmung kommen sollte? Wird Rom auf der Seite Brüssels oder auf der Seite Warschaus sein?

Max Ferrari: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann nur versichern, dass die Lega auf der Seite Polens sein wird, denn in Italien sind wir auch mit dieser Linke konfrontiert, die die Richter benutzen will, um die Ergebnisse der Wahlen zu ändern. Jeder hat sehen können, wie Salvini zum Ziele mancher von der Linke unterstützten Richter geworden ist, weil er unsere Grenzen verteidigt hat. Wir beachten das Gesetz, aber wir meinen, dass die Richter ihrerseits die Stimme des Volkes beachten sollten. Aber was die italienische Regierung insgesamt betrifft, so kann ich nicht voraussagen, wie die Fünf-Sterne-Bewegung sich verhalten wird.

Olivier Bault: Steht der parteilose Außenminister näher zur Lega oder zur Fünf-Sterne-Bewegung?

Max Ferrari: Es ist ein technischer Minister. Fragen Sie mich nicht, warum er für diese Funktion gewählt wurde. Wie dem es auch sei, sieht man, dass Salvini auch wie ein Außenminister handelt. Er traf sich mit Orbán, er reist nach Israel, nach Ägypten, nach Russland, er hat sich mit dem Amerikaner John Bolton [dem Nationalen Sicherheitsberater von Präsident Trump, NdR] getroffen. Unsere Gegner behaupteten, dass die Lega im Ausland niemals anerkannt würde, doch dank Salvini wird diese Anerkennung langsam Wirklichkeit.

Olivier Bault: Was denkt die Lega über die Politik des PiS in Polen?

Max Ferrari: Wir beobachten das polnische Modell aufmerksam. Polen ist heute das Flaggschiff der Veränderungen. Es hat viele sozialen Reformen gemacht, die im besten Sinne des Wortes populistisch sind: Programme um Familien zu helfen, um das an die Menschen bezahlte Mindestgehalt zu erheben, usw. Deshalb schauen wir aufmerksam, wie der PiS den Staat verwaltet und ich kann Ihnen sagen, dass wenn wir mit Abgeordneten und Senatoren der Lega über Polen reden, dann wissen sie Bescheid, was Polen tut, über dessen Reformen und über dessen Geburtsförderungspolitik. Die gute polnische Praxis ist bei uns bekannt und Polen wird bei uns als ein Vorbild betrachtet.

Olivier Bault: Das Problem des PiS mit der italienischen Lega ist das gleiche wie mit dem französischen Front National: Ihre Beziehung zu Russland, die zu sehr pro Putin ist. Was ist eigentlich der Standpunkt der Lega über die NATO bzw. über die Beziehungen mit den USA und Russland?

Max Ferrari: Es ist ganz einfach: Da wir einen tiefen Respekt für die Souveränität der Länder haben, wollen wir nicht in die Probleme zwischen Polen und Russland involviert werden. Diese Probleme betreffen diese beiden Länder und ihnen obliegt es, diese zu lösen. Von unserem Standpunkt aus ist nicht das nationalistische und populistische Russland das Problem, sondern die radikalen Islamisten und die neuen kommunistischen Terroristen. Ich rede hier von den zahlreichen Aufrufen für eine bewaffnete Revolte gegen Salvini, die von italienischen Linksradikalen ausgesprochen wurden. Wir nehmen diese Aufrufe ziemlich ernst, denn wir haben den Terrorismus der Roten Brigaden in den 70er Jahren nicht vergessen. In diesem Zusammenhang sehen wir Russland nicht als potentieller Aggressor. Nichtsdestotrotz betrachten wir unsere Vollmitgliedschaft in der NATO als wichtig. Unser Ziel wäre es, als Vermittler zwischen NATO und Russland zu agieren, wie es der Fall unter Silvio Berlusconi war, als er 2002 einen NATO-Russland-Gipfel während der Amtszeit von Präsident George Bush organisierte, dem ich persönlich beiwohnte. Wir wollen zusammenarbeiten und wir denken, dass es für Europa bzw. allgemein für Eurasien gut wäre, wenn wir das schaffen würden. Wir verstehen den Standpunkt Polens, aber was dessen Probleme mit Russland betrifft, so geht das uns nichts an.

Olivier Bault: Steht die Lega also nicht für einen NATO-Austritt?

Max Ferrari: Nein, das gehörte niemals zu unserem Programm.

Olivier Bault: Bedeutet das, dass die Allianz mit den USA für die Lega wichtig bleibt?

Max Ferrari: Absolut! In der Vergangenheit hatte die Lega eine problematische Beziehung nicht mit den USA sondern mit der Verwaltung von Clinton und Obama, die mit der Linke und den ehemaligen Kommunisten in Italien eng verbunden war. Aber jetzt ist unsere Beziehung mit dem amerikanischen Präsidenten und mit den USA ausgezeichnet. Salvini ist meiner Meinung nach einer der besten Verbündeten der USA in Europa und so wird er auch von der Verwaltung von Präsident Trump gesehen.

Olivier Bault: Falls es bald Neuwahlen in Italien geben sollte, würde die Lega wieder zusammen mit Forza Italia und den Nationalisten von Fratelli d’Italia kandidieren? Teilen Sie mit diesen Parteien die gleiche Vision in der Außenpolitik?

Max Ferrari: Ich kann Ihnen bloß sagen – und das ist kein Geheimnis –, dass viele Mitglieder des Parlaments bzw. Lokalpolitiker der anderen Rechtsparteien sich heute der Lega anschließen möchten. Wir rufen niemanden auf, sich der Lega anzuschließen, denn wir brauchen das nicht, um die Leute anzuziehen. Es gibt sogar Leute aus der Linke, die sich uns anschließen möchten. Wir werden schon sehen, was die Zukunft uns beschert, aber es ist eindeutig, dass wir einer Restrukturierung im rechten Lager beiwohnen werden. Es wird eine Partei geben, die die unterschiedlichen Strömungen vereinen wird, und diese Partei könnte die Lega sein.

Übersetzt von Visegrád Post.