Von Tamás Leskó, ungar. Jurist.
Ungarn – Am Tage der Verabschiedung des Gesetzes über die Heraufsetzung der Obergrenze für die Überstunden wurde einem weiteren Gesetz vom ungarischen Parlament zugestimmt, und zwar dem bezüglich der neuen Verwaltungsgerichte. Das Gesetz wurde verabschiedet und im Magyar Közlöny (Gesetzblatt der Republik Ungarn) veröffentlicht, doch bringt es umstrittene Meinungen mit sich. Die Organisatoren der neulichen Demonstrationen in Ungarn prangern diese neue Maßnahme ebenfalls an.
Die Verwaltungsgerichte urteilen gewöhnlich in Streitfragen, in denen mindestens eine der Parteien entweder der Staat in dessen Rolle als Behörde und nicht als Geschäftstreibender ist; wenn der Staat ebenfalls durch zivilrechtliche Beziehungen involviert ist, sei es durch eines seiner Organe oder durch Behörden mit eigener juristischer Persönlichkeit, denen der Staat spezifische Aufgaben in eigener Verwaltung erteilt hat, wie die Regierungsbehörden, die Nationale Steuer- und Zollbehörde (Nemzeti Adó- és Vámhivatal, NAV), die Ungarische Aufsichtsbehörde für Energie und öffentliche Versorgung (Magyar Energetikai és Közmű-szabályozási Hivatal, MEKH), die Nationale Medien- und Infokommunikationsbehörde (Nemzeti Média- és Hírközlési Hatóság, NMHH) usw.
Derzeit werden die Streitfragen zwischen Staat und Verbraucher (natürliche und juristische Personen) durch Verwaltungs- und Arbeitsgerichte (Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság) mit Sitz in sieben Städten – Budapest, Debreczin (Debrecen), Raab (Győr), Mischkolz (Miskolc), Fünfkirchen (Pécs), Segedin (Szeged) und Wesprim (Veszprém) entschieden, die im heutigen Justizwesen vollständig integriert sind. Gegen diese Entscheidungen kann vor einem Gericht zweiter Instanz – die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts hängt von der Streitfrage ab – berufen werden, dessen Entscheidung dann endgültig und rechtskräftig ist.
Die neuen Verwaltungsgerichte werden ihre heutigen Räumlichkeiten behalten, während ihre Gerichtsbarkeit selbst aus der vorhandenen Hierarchie der Justiz herausgenommen und mit einem eigenen Oberverwaltungsgericht (Közigazgatási Felsőbíróság) versehen wird, dessen Sitz nicht mal in Budapest sondern in Gran (Esztergom) sein wird. Seit 2018 gibt es auch eine eigene Prozessordnung für Verwaltungsverfahren. Zuvor wurden die gleichen Regeln für Zivil- und Verwaltungsverfahren angewandt. Die bedeutendsten Kritiken gegen das neue Sytem für die Verwaltungsgerichte, das ab 2020 in Kraft treten wird, sind, dass dessen Richter vom Justizminister – derzeit und seit 2014 Herr László Trócsányi, ehem. Botschafter in Belgien (2000-2004) und Frankreich (2010-2014) und ehem. Mitglied des Verfassungsgerichtshofs bzw. Eigentümer der Rechtsanwaltskanzlei Nagy & Trócsányi (Sein Eigentumsrecht wurde für die Zeit aufgehoben, während der er öffentliche Ämter bekleidet) – angehört, ernannt und beaufsichtigt. Gemäß Herrn Trócsányi gibt es keinen Grund, berufliche Missbräuche zu befürchten, denn dies wird durch zahlreiche Garantien verhindert, die im Gesetz integriert wurden. Diese mutmaßlichen Garantien sind z.B., dass die Rekrutierungsanhörungen öffentlich stattfinden werden und dass die beruflichen Anforderungen für die künftigen Verwaltungsrichter höher liegen werden als für gewöhnliche Richter. Auch wenn Herr Trócsányi sein Versprechen halten wird, die Arbeit der Verwaltungsgerichte nicht zu beeinflussen, wird er freilich nicht für immer Justizminister bleiben können. Allerdings wird die Liste der Kandidaten der verbündeten regierenden Parteien Fidesz und KDNP für die kommenden Europawahlen von seinem Namen angeführt – was also heißt, dass er seine derzeitige Funktion wohl im Frühjahr verlassen könnte.
Die getrennte Verwaltungsgerichtsbarkeit hat ihre eigene Tradition im ungarischen Justizwesen. Es gab schon eine autonome Verwaltungsgerichtsbarkeit von 1896 (für Finanzfragen ab 1883) bis 1949, als sie unter dem Kommunismus aufgehoben da als unnötig betrachtet wurde. (In der kommunistischen Zeit waren keine juristische Streitfragen gegen eine Behörde zulässig.)
Wie die Präambel des Gesetzes es zeigt, ist das Ziel der Regierung beim Wiederherstellen der Verwaltungsgerichte nicht nur deren Befugnisse zu modernisieren und deren Wirksamkeit zu verbessern, sondern auch, sich durch eine politische Symbolik etwas an die Gerichtsbarkeit anzulehnen, die vor dem kommunistischen Regime vorhanden war.