Von der Redaktion.
Ungarn – Nach einem langen offenen Konflikt mit der EVP-Führung bzw. nach den Europawahlen hat nun Viktor Orbán die Fragen der „drei Weisen“ der EVP beantwortet. Wir haben die Fragen der EVP und die Antworten Viktor Orbáns übersetzt:
EVP: Ist der Fidesz aufzuhören bereit, Kampagnen gegen die europäischen Institutionen zu führen, wie dies in der Vergangenheit geschehen ist, bzw. die EVP nicht mehr zu kompromittieren oder die EVP-Führung in Reden und Artikeln anzugreifen?
Viktor Orbán: Ein starker Fidesz trägt zum Erfolg einer starken EVP bei. Die 53% Unterstützung für den Fidesz-KDNP bei den Europawahlen stellen den Rekord der EVP dar.
Es ist selbstverständlich, dass eine Eigenschaft der Demokratie im Respekt vor unterschiedlichen Standpunkten besteht. Wir haben unterschiedliche Meinungen zu bestimmten Aspekten der Politik. Wir sind überzeugt, dass die Entscheidungen umso besser sind, wenn sie aus Debatten hervorkommen. Wir behalten uns das Recht vor, jedwede europäische Institution, die EVP bzw. jedwede Führungsperson offen zu kritisieren, denen wir nicht zustimmen.
Wir kritisieren die Europäische Kommission dafür, in den letzten fünf Jahren eine politische Rolle gespielt zu haben. Eine politische Kommission, die ihre eigene politische Agenda verfolgt, gefährdet das Gleichgewicht der europäischen Institutionen, indem sie die unangebrachte Föderalisierung der Europäischen Union zu Lasten der nationalen Souveränität vorantreibt. Wir werden immer die Aufmerksamkeit auf diese Anomalien leiten und unsere Bürger im Interesse einer besseren Arbeitsweise der Europäischen Union informieren.
Schließlich lassen Sie mich Sie daran erinnern, dass dank der klaren und ehrlichen Politik der Fidesz-Regierungen die Unterstützung, die die EU unter den Ungarn genießt, seit 2010 wesentlich gestiegen ist. Heutzutage ist diese mit 70% die höchste unter den Mitgliedstaaten.
EVP: Erklären Sie bitte, was Sie unter der Redewendung „illiberaler Staat“ verstehen.
Viktor Orbán: Tatsache ist, dass, wenn die Liberalen eine Wahl in Polen oder Ungarn verlieren, sie dann sofort sagen, dass es mit der Demokratie vorbei sei. In manchen Mitgliedstaaten scheinen die Liberalen zu denken, dass ein Demokrat nur ein liberaler Demokrat sein kann, was an und für sich einen Widerspruch darstellt.
Wir sind Christdemokraten und unterscheiden uns von den Liberalen in drei Punkten: Erstens mit der Überzeugung, dass Familie eine Grundlage ist und dass eine Familie auf einen Mann und eine Frau basiert. Wir glauben, dass dies geschützt werden muss, was die Liberalen bestreiten. Zweitens, obwohl das kulturelle Leben eines jeden Landes vielfältig ist, so gibt es überall eine Leitkultur, eine herrschende Kultur. Wir respektieren die anderen Kulturen, aber unsere hat für uns eine vorherrschende Rolle und unsere Verantwortung ist es, sie zu bewahren. Die Liberalen lehnen dieses Konzept ab. Und der dritte Punkt ist, dass die liberalen Demokraten überall für Einwanderung eintreten, während wir gegen Einwanderung sind. Somit, ob man es wolle oder nicht, sind die Christdemokraten per Definition illiberal.
EVP: Wenn sie sagen, dass Sie die EVP nicht unterstützen wollen, wenn Sie eine „pro-Migration-Koalition“ auf europäischer Ebene bildet. An welche anderen Koalitionen denken Sie?
Viktor Orbán: Unser Mandat beruht auf die Vertretung eines starken Standpunkts über Einwanderung. Und Einwanderung wird die größte Herausforderung in Europa in den nächsten Jahrzehnten sein.
Einwanderung ist zwar ein Problem, aber man wird sich über dieses Problem auf europäischer Ebene niemals einig sein. Obwohl die europäische Linke versucht, die europäischen Wähler zu überzeugen, dass Einwanderung kein Problem sei, so widerspricht dies allen Studien und Umfragen in Europa. Die traditionelle Trennung zwischen rechts und links ist obsolet geworden; sie wurde durch eine Trennung ersetzt, die auf den unterschiedlichen Standpunkten bezüglich Einwanderung beruht.
Ungarn hat unaufhörlich seinen Standpunkt zu diesem Thema vertreten, einen Standpunkt, der auf das Ergebnis des Referendums über Einwanderung beruht.
EVP: Ist der Fidesz bereit, die Entscheidungen der europäischen Institutionen anzunehmen und umzusetzen, die legal verabschiedet wurden, und insbesondere, sich an die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union zu halten?
Viktor Orbán: Offensichtlich haben die seit 2010 in Ungarn vorgenommenen gesetzlichen Veränderungen die Aufmerksamkeit Europas angezogen. Kein Mitgliedstaat wurde in den letzten neun Jahren so sorgfältig beobachtet wir der unsrige.
Fakt ist, dass an keinem Moment der Artikel 260 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Anwendung gegen Ungarn gekommen ist, was beweist, dass wir uns immer an die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union gehalten haben. Das ist nicht für alle Mitgliedstaaten der Fall. Darüber hinaus sind die Ergebnisse des ungarischen Justizwesens an der Spitze des Rankings für die Justiz in der EU.
EVP: Wie wird die Unabhängigkeit der gewöhnlichen Gerichtsbarkeit, des Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs gewährleistet, wie dies in den Gutachten der Venedig-Kommission gefordert wird? (Gutachten 943/2018 vom. 19. März 2018 und Gutachten 720/2013 vom 17. Juni 2013)
Viktor Orbán: Fakt ist, dass Ungarn mit der Kommission Barroso alle vor 2014 aufgeworfenen Fälle abgeschlossen hat.
Was die Justizreform von 2012 anbelangt, so hat Ungarn die Administrativ- und Verstoßverfahren mit der Europäischen Kommission zufriedenstellend abgeschlossen.
Die administrative Gerichtsbarkeit blickt im ungarischen Justizwesen auf eine lange Geschichte zurück. Der Verwaltungsgerichtshof wurde 1949 von den ungarischen Kommunisten abgeschafft, die dadurch versuchten, den Rechtsstaat zu unterminieren. Es gibt in mehreren Mitgliedstaaten eine mehrstufige administrative Gerichtsbarkeit, die von den gewöhnlichen Gerichten und vom obersten Gerichtshof unabhängig ist.
EVP: Inwiefern werden die Meinungsfreiheit und die Vereinsfreiheit (s. Artikel 10/11 der Europäischen Menschenrechtskonvention in Verbindung mit den von der Venedig-Kommission in den Gutachten 720/2013 vom 17. Juni 2013 und 919/2018 vom 25. Juni 2018 ausgesprochenen Besorgnissen) gewährleistet, insbesondere im Bezug auf die Arbeit der NGOs, auf das Recht auf rechtlichen Beistand während der Asylverfahren bzw. auf die vorgesehenen Todesstrafen?
Viktor Orbán: Die Herausforderung der Grenzkontrolle und insbesondere der Schutz der Grenzen des Schengenraums erfordern neue Maßnahmen, was die Verpflichtungen betrifft, die aus unserer Mitgliedschaft in der Europäischen Union hervorgehen.
Das Hauptziel ist es, die legalen Wege zu sperren, durch welche manche Organisationen die Einwanderung und den Menschenhandel unter dem Vorwand der humanitären Hilfe unterstützen.
Einwanderung soll im Rahmen der nationalen und öffentlichen Sicherheit interpretiert werden. Es ist eine Tatsache, dass die Asylanten und diejenigen, die die Bedingungen für den Erwerb internationalen Schutzes erfüllen, kostenlosen und vom Staat garantierten rechtlichen Beistand erhalten.
EVP: Wie gedenken Sie, den anstehenden Rechtsfall bezüglich der Central European University (CEU) zu klären, um die Freiheit von Meinung, Wissenschaft und Erziehung zu gewährleisten?
Viktor Orbán: Die CEU hat freiwillig die Entscheidung getroffen, Ungarn zu verlassen. Wir haben diese Entscheidung zur Kenntnis genommen, dass sie nach Wien ziehen will. Jede andere Frage bezüglich der CEU obliegt der Kompetenz des österreichischen Bundeskanzlers.
EVP: Wie wird die Religionsfreiheit in Ungarn bewahrt, insbesondere bezüglich des Gutachtens der Venedig-Kommission 720/2013 vom 17. Juni 2013, das das Nichtvorhandensein von spezifischen Kriterien für die Anerkennung und das Nichtvorhandensein von Berufungsmöglichkeiten gegen negative Entscheidungen kritisiert? Ferner drückt dieses Gutachten die Besorgnis aus, dass im Zusammenhang mit der Verfassungsbestimmung bezüglich der „Würde der ungarischen Nation“ offensichtliche Interpretationskonflikte zu befürchten sind.
Viktor Orbán: In Ungarn unterscheiden wir deutlich zwischen dem rechtlichen Status der historischen (traditionnellen) Kirchen und demjenigen der anderen religiösen Gemeinschaft. Wir sind durchaus befugt, um dies nach unserem Ermessen zu organisieren.
Fakt ist, dass die Zahl der anerkannten Kirchen (32) oberhalb des europäischen Durchschnitts liegt.
Die letzte Änderung des Kirchengesetzes wurde am 12. Dezember 2018 vom ungarischen Parlament verabschiedet.
EVP: Wie werden Sie den Kampf gegen die Korruption wesentlich verbessern – sofern der Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) 2018 von Transparency International Ungarn auf den 64. Rang stellt (Griechenland liegt als einziges Mitgliedstaat schlechter), angesichts der OLAF-Anklagen über unangemessene öffentliche Aufträge und die Vergabe von Verträgen aus politischen Gründen bzw. die Korruption im Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz?
Viktor Orbán: Im Januar 2017 sind das neue Gesetz über öffentliche Aufträge in Kraft gesetzt und die elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge eingeführt worden.
Wie der OLAF-Bericht 2017 es zeigt, ist der Anteil der Anklagen von 47% gemäß dem Dokument über die von nationalen Justizbehörden getroffenen Maßnahmen aufgrund seiner Empfehlungen (die zwischen dem 1. Januar 2010 und Dezember 2017 abgegeben wurden), während der Durchschnitt für die Mitgliedstaaten bei 42% liegt. Transparency International ist eine von Soros finanzierte Organisation. Ihre Arbeit ist selbstverständlich politisch verzerrt und motiviert. Wir ziehen ihre Berichte nicht in Betracht.
EVP: Unter welchen Umständen wäre es möglich angesichts der Bedeutung der Mittlerorganisationen zwischen Staat und Bürgern für eine gesunde und funktionierende Demokratie, die Rechte der NGOs und der Zivilgesellschaft einzuschränken?
Viktor Orbán: Die Vereinsfreiheit wird durch die ungarische Verfassung in Übereinstimmung mit den internationalen Standards garantiert.
Fakt ist, dass über 60.000 NGOs in Ungarn aktiv sind. Der aufrechte oder anstehende Gesetzesrahmen in der EU beinhaltet ähnliche bzw. restriktivere Anforderungen. Wir pochen auf die Transparenz der Finanzierung der NGOs.
EVP: Wie beabsichtigen Sie, die Chancen und Rechte der ethnischen Minderheiten in Ungarn zu verbessern?
Viktor Orbán: Das ungarische Recht und die ungarische Regierung sichern eine Nulltoleranz gegenüber jede Form von Rassismus.
EVP: Sichern Sie die Nachhaltigkeit der Meinungsfreiheit, die Pluralität der Medien, den nichtzensierten und unbegrenzten Zugang zur Information sowie eine unabhängige und objektive Medienbehörde – insbesondere angesichts der kritischen Berichte des UNO-Beirats und der Gutachten der Venedig-Kommission (672/2012, 798/2015), die über Besorgnisse bezüglich der Freiheit und der Vielfalt der Medien im Lichte der ungarischen Gesetzgebung bezüglich der Medien berichten? Wie wollen Sie die Konzentration von Medien in die Hände von wenigen Personen vermeiden?
Viktor Orbán: Fakt ist, dass Ungarn mit der Kommission Barroso alle vor 2014 aufgeworfenen Streitfälle abgeschlossen hat.
Heute gibt es in Ungarn eine deutliche Mehrheit der Medien, die gegenüber der Regierung besonders kritisch auftritt. RTL Club ist der wichtigste Privatfernsehsenser; ATV ist der bedeutendste Informationskanal; Népszava ist die größte Tageszeitung; HVG ist die wichtigste Wochenzeitung; Blikk ist das größte Boulevardblatt. Was die Internetportale anbelangt, so bevorzugen 80% der Nutzer linksliberale regierungsfeindliche Medienplattforme, geschweige der uneingeschränkten Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken.
Die „linksliberale“ Vorherrschaft auf dem ungarischen Medienmarkt wurde durch die Etablierung der Stiftung für Medien und Presse in Mitteleuropa nicht verändert. Im Rahmen von Holdings zu arbeiten ist für Mediengruppen in Europa gewöhnlich, wie RTL im Besitz der Gruppe Bertelsmann Foundation oder der Guardian in Großbritannien dies zeigen. Eigentlich ist die Pluralität der Medien in Österreich, Deutschland und Belgien wesentlich eingeschränkter als in Ungarn.
EVP: Es wird für die Evaluierung der EVP entscheidend sein, dass nicht nur der buchstäbliche Aspekt der Gesetzgebung sondern insbesondere der allgemeine Zusammenhang, die Arbeitsweise der Gegenmächte und vor allem die Umsetzung und Durchführung dieser Regelungen im Geiste der Werte der Europäischen Union und die Prinzipien der EVP umgesetzt und geachtet werden (s. Resolution von Helsinki, 7./8. November 2018)? Welche Garantien können Sie der EVP geben, dass der Fidesz in Zukunft die in obiger Resolution erwähnten Prinzipien umsetzen wird?
Viktor Orbán: Die Verteidigung des Rechtsstaats ist in unserer Verfassung verankert. Wir, politische Anführer Ungarns, haben ein Eid der Treue auf unsere Verfassung geleistet.
Um einen sinnvollen Dialog zu erleichtern, bitte ich Sie, den Gebrauch von vagen und unbestimmten Konzepten wie „Geist der Werte“ oder „allgemeiner Zusammenhang“ ohne objektive bzw. legale Argumente zu vermeiden.
EVP: Wir möchten betonen, dass das Nichtvorhandensein von europäischen Symbolen auf den öffentlichen Gebäuden und auf denjenigen der Partei offensichtlich ist, und insbesondere zeigt, dass der Fidesz das europäische Engagement der anderen EVP-Mitglieder nicht teilt. Allerdings gehört diese Überzeugung zu den Grundlagen unserer Partei.
Es tut mir sehr leid, aber das ist Unsinn.