Von Olivier Bault.
Deutlich redegewandter als über das Treffen zwischen dem französischen Präsidenten und dem ungarischen Ministerpräsidenten im vergangenen Oktober in Paris hat die große französische Presse von einer Wende in den polnisch-französischen Beziehungen anlässlich des Besuchs Emmanuel Macrons in Polen am 3. und 4. Februar gesprochen. Nun ist Schluss mit den Beschimpfungen des französischen Präsidenten gegen die polnische Führung, wie als er 2017 in Sofia gemeint hatte, dass die Polen eine bessere Regierung verdienen würden, bzw. als er 2018 in Pressburg (Bratislava) erklärte, dass Polen und Ungarn durch „verrückte Geister“ regiert werden, „die ihre Völker belügen“ würden.
Begleitet von mehreren Ministern, darunter von Außenminister Jean-Yves Le Drian und Verteidigungsministerin Florence Parly, ist der französische Präsident nach Warschau gekommen, um über europäische Verteidigung, Energie und Klimawandel mit seinem Amtskollegen Andrzej Duda und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zu sprechen. Es fanden auch Beratungen auf Ministerebene bzw. zwischen dem französischen Präsidenten und den Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments statt – darunter also auch mit dem Präsidenten des Senats, der der oppositionellen liberalen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) angehört. Es gab ebenfalls manche Treffen auf Unternehmenebene, um u.a. über den potentiellen Markt für die französische Nukleartechnologie in einem Augenblick zu sprechen, wo Polen allmählich aus der Kohleenergie aussteigen muss, die allerdings den Energiebedarf des Landes noch zu 80% deckt. Nach seinem Sager über die „hirntote“ NATO und über die Notwendigkeit, den Dialog mit Russland wieder aufzunehmen, achtete Emmanuel Macron darauf, seine polnischen Partner zu beruhigen: die europäische Verteidigung solle der europäische Pfeiler der NATO sein und ziele keinesfalls darauf, die Allianz mit den USA zu ersetzen; Frankreich sei weder für noch gegen Russland, sondern für Europa, so Macron.
Einige polnische Medien hatten vor der Ankunft des französischen Präsidenten die Möglichkeit eines Abkommens erwähnt, um polnische Soldaten in den Sahel zu entsenden, wo Frankreich an einer europäischen Beteiligung interessiert ist, wogegen Frankreich dann auf seine Forderung bezüglich der Umverteilung der Asylanten auf europäischer Ebene verzichten könnte. Dies wurde allerdings im Rahmen der Pressekonferenzen und Kommuniqués nach den Gipfeltreffen in Warschau nicht erwähnt.
Hingegen ist klar, dass der Austritt Großbritanniens die Karten innerhalb der EU neu mischt. Während Frankreich durchaus vorhat, die Militärkooperation mit den Briten fortzusetzen, ist es nunmehr der einzige EU-Mitgliedsstaat, der seine Streitkräfte selbständig auf anderen Kontinenten einsetzen kann. In diesem Zusammenhang könnte Polen, das eines der seltenen EU-Mitglieder ist, die das NATO-Ziel eines Verteidigungsetats in Höhe von 2% des BIP erfüllen, zu einem Herzstück einer künftigen europäischen Verteidigung werden. Diese Frage stand an der Spitze der in der am 3. Februar in Warschau unterzeichneten Polnisch-Französischen Erklärung zur Zusammenarbeit in Europa erwähnten Themen.
Wie die französischen und polnischen Medien dies anmerken ließen, scheint der französische Präsident, verstanden zu haben, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit seine Reformprojekte für ein Europa mit nur noch 27 Mitgliedern nach dem Brexit nicht würde allein voranbringen können. Über die deutschen Vorbehalte den etwas zu euro-föderalistischen Vorschlägen Macrons gegenüber hinaus, muss man mit anderen Ländern rechnen, darunter mit Polen und dessen Partnern aus der Visegrád-Gruppe, die eine deutlich gaullistischere Vision der europäischen Integration haben.
Es ist in diesem Zusammenhang, dass man die Erklärungen des französischen Präsidenten am 3. Februar vor der Presse in Warschau bzw. anlässlich seiner Rede über „Polen und Frankreich in Europa“ vor der Jagiellonen-Universität in Krakau betrachten soll. Am Montag über die polnischen Justizreformen befragt, die seit vier Jahren im Fokus eines Konflikts zwischen den PiS-Regierungen und Brüssel liegen, sagte Emmanuel Macron, dass Frankreich keine Lektion an Polen zu erteilen habe und dass dieses Thema nicht zu den bilateralen Beziehungen zwischen EU-Mitgliedsstaaten gehöre, dass aber gleichzeitig Paris die Aktion der Europäischen Kommission gegenüber Polen unterstütze. Am nächsten Tag in Krakau erwähnte Emmanuel Macron ausführlich die fundamentalen Grundsätze und Werte Europas, von denen er meinte, dass sie durch die Europäische Kommission verteidigt werden müssen. „Glauben Sie denjenigen nicht, die Ihnen sagen: ,Europa wird mir mit einer Hand Geld wegen des Klimawandels geben, aber mir andererseits meine politischen Entscheidungen überlassenʼ,“ warnte der französische Präsident und kam somit auf seine Rhetorik der Verbindung zwischen europäischen Fonds und Achtung der „europäischen Werte“ zurück.
In der Zeit, wo sich in Polen ein Konflikt zwischen parlamentarischer Demokratie und Richterherrschaft abspielt und die Europäische Kommission offen Stellung für das zweite Lager nimmt, weisen die Äußerungen Emmanuel Macrons deutlich darauf hin, dass entgegengesetzte Schlussfolgerungen aus dem Brexit an der Seine und an der Weichsel gezogen worden sind: auf französischer Seite hofft man darauf, dass die Europäische Union den Weg zu einem mehr oder weniger föderalen Europa einschlage wird, ohne einen neuen Vertrag hierfür zu brauchen, und zwar bloß durch die Tätigkeit der Europäischen Kommission und durch die sehr freie Interpretation der bestehenden Verträge durch den Gerichtshof der Europäischen Union; auf polnischer Seite nimmt man aber nicht hin, dass Brüssel sich Kompetenzen in Bereichen anmaßt, die im Vertrag von Lissabon nicht ausdrücklich vorgesehen sind, der übrigens widerwillig unterzeichnet und ratifiziert worden war (einschließlich von den Liberalen der Bürgerplattform, auch wenn sie sich heute nicht gern daran erinnern möchten).
Wenn Frankreich und Polen sich also gut in Warschau und in Paris zu verstehen scheinen, so werden sie wahrscheinlich doch in Brüssel heftig gegeneinander auftreten, und der Brite Nigel Farage hat wahrscheinlich Recht, wenn er voraussieht, dass es die Europäische Union in zehn Jahren nicht mehr gebe, auch wenn die Polen (wie die Ungarn) so die Meinungsumfragen wesentlich pro-europäischer gesinnt als die Franzosen sind.