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Werden Medienfreiheit und Pluralismus in Polen wirklich bedroht?

Lesezeit: 4 Minuten

Polen – Am Mittwoch, den 10. März, hielt das Europaparlament eine Plenardebatte mit dem Titel „Bemühungen der Regierungen, die freien Medien in Polen, Ungarn und Slowenien zum Schweigen zu bringen“. Die Diskussion war eine Woche zuvor auf der Website des Europäischen Parlaments unter dem Titel „Angriff auf die Medienfreiheit in Polen, Ungarn und Slowenien“ angekündigt worden, mit folgender Beschreibung der Situation in Polen: „In Polen wurden die Pläne der Regierung, eine Abgabe auf die Werbeeinnahmen der Medien zu erheben, um die Gesundheitsfürsorge und die Kultur zu unterstützen, als unverhältnismäßig kritisiert, da sie sich gegen unabhängige Medien richten.

Nach dieser Beschreibung und einigen Wortmeldungen von Abgeordneten während der Debatte am 10. März beabsichtigt die Regierung von Mateusz Morawiecki, die „unabhängigen Medien“ stärker zu besteuern als andere, um sie zum Schweigen zu bringen.

Es wird daher angenommen, dass mit „unabhängigen Medien“ private Medien gemeint sind, die der Regierung und der parlamentarischen Mehrheit der Koalition der Vereinigten Rechten unter Führung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jarosław Kaczyński feindlich gegenüberstehen.

Die Visegrád Post hatte diese vorgeschlagene Steuer auf Werbung bereits vor einem Monat erwähnt. Stellen wir zunächst klar, dass es sich hier noch um einen Gesetzesentwurf handelt, der aus den Reihen der PiS stammt, aber keiner der beiden anderen Parteien der Koalition der Vereinigten Rechten gefällt. Es gibt daher zum jetzigen Zeitpunkt keine Garantie, dass dieser Entwurf zu einem Gesetz wird, und daher erscheint die Debatte im Europäischen Parlament als verfrüht, soweit Polen betroffen ist. Der zweite Punkt, der angesprochen werden muss, ist, dass der Entwurf der Werbesteuer alle öffentlich-rechtlichen und privaten Medien betreffen würde, unabhängig von ihrer redaktionellen Linie. Das einzige Kriterium für die Bestimmung des Steuersatzes wäre das Volumen der Werbeeinnahmen. Es handelt sich also um die gleiche Art von Steuer, wie sie 2014 in Ungarn eingeführt wurde. Die ungarische Steuer auf Werbeeinnahmen war von der Europäischen Kommission angegriffen worden, weil sie durch ihren progressiven Charakter (wie die polnische Steuer) kleine Medien gegenüber großen begünstigte und als versteckte staatliche Beihilfe für kleine Medien angesehen wurde. Der EUGH entschied allerdings 2019 zugunsten Ungarns, gernauso wie er Polen für eine ähnliche Steuer mit einem progressiven Satz auf den Umsatz großer Einzelhändler entschied. Die Europäische Kommission legte Berufung ein, aber der EUGH entschied in einem Urteil vom 16. März gerade wieder zugunsten Ungarns und Polens.

Darüber hinaus gibt es diese Art progressive Steuer auf Werbeeinnahmen von traditionellen und digitalen Medien auch in anderen EU-Ländern, z. B. in Schweden und Österreich.

Ein weiterer Aspekt der Kritik an Polen, abgesehen von dem traditionellen Vorwurf, dass die öffentlich-rechtlichen Medien zu sehr der Regierung unterworfen sind (aber das Europäische Parlament könnte sich in ähnlicher Weise die Haltung der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland oder Frankreich anschauen, oder die der öffentlich-rechtlichen Medien in Polen unter den Regierungen von Donald Tusk), ist die Frage der Übernahme der regionalen Presse durch den polnischen Ölkonzern Orlen, die sich bisher in den Händen der deutschen Verlagsgruppe Passau befand. Der polnische Staat besitzt nur 27 % des Kapitals von Orlen, und diese Übernahme wird es ermöglichen, 20 der 24 polnischen Regionalzeitungen in polnische Hände zurückzuholen.

So unglaublich es auch erscheinen mag, hatte die Regierung von Donald Tusk zugelassen, dass ein einziger deutscher Konzern fast die gesamte Regionalpresse in Polen übernahm.

Bedroht diese Transaktion zwischen zwei privaten Unternehmen die Medienfreiheit und den Pluralismus in Polen? Das ist zweifelhaft, selbst wenn die Regionalzeitungen von Polska Press überwiegend konservativ werden sollten, nachdem sie jahrelang überwiegend liberal waren, und zwar auch als die Liberalen an der Macht waren.

Im Segment der überregionalen Tageszeitungen dominieren mit großem Abstand die PiS-feindlichen Titel. Spitzenreiter ist das Boulevardblatt Fakt, das zum deutsch-schweizerischen Ringier-Medienkonzern Axel Springer gehört, dessen gesamte polnische Medien eine liberale, europäistische und antikonservative Linie haben. Auf Fakt folgt die polnische Boulevardzeitung Super Express, die schwer als regierungsfreundlich oder regierungsfeindlich einzustufen ist, und dann die Gazeta Wyborcza, eine europäistische und libertäre Zeitung, die der PiS heftig feindlich gesinnt ist und zu deren Anteilseignern ein Fonds von George Soros gehört. Dann gibt es noch die angesehene Tageszeitung Rzeczpospolita, die Donald Tusk 2011 durch den Kauf durch einen der Bürgerplattform (PO) nahestehenden Geschäftsmann gleichstellen konnte und die seitdem weniger konservativ als zuvor und allgemein PiS-feindlich geworden ist (allerdings weniger als Fakt oder vor allem Gazeta Wyborcza). Die einzige wirklich PiS-nahe nationale Tageszeitung ist die Gazeta Polska codziennie, die weit hinter all diesen Titeln liegt. Auf der konservativen Seite (aber nicht unbedingt pro-PiS) gibt es noch die katholische Zeitung Nasz Dziennik, die aber keine Angaben über die Anzahl der verkauften Exemplare macht.

Bei den Nachrichten- und Meinungswochenzeitungen ist die Lage ausgeglichener – mit der linken Wochenzeitung Polityka an der Spitze, gefolgt von der katholischen Wochenzeitung Gość Niedzielny und ihrem liberal-libertären Konkurrenten Newsweek Polska, der ebenso heftig gegen die PiS ist wie die Gazeta Wyborcza. Ihnen folgen Sieci, das offen pro-PiS ist, Tygodnik Powszchny, eine progressive katholische (PiS-feindliche) Zeitung und dann Do Rzeczy, eine liberal-konservative Wochenzeitung, die die PiS auf ihrem rechten Flügel mal lobt, mal kritisiert.

Was den Rundfunk betrifft, so dominieren, abgesehen von den öffentlichen Medien TVP (Fernsehen) und Polskie Radio (Radio), die regierungsfreundlich sind (wie schon unter den vorherigen Regierungen), die Medien, die der PiS feindlich gesinnt und den Liberalen und Linken wohlgesonnen sind: die TVN Group (im Besitz der amerikanischen Discovery) und die Polsat Group (mit polnischem Kapital und liberaler redaktionellen Linie, aber weniger engagiert gegen die PiS als TVN) für das Fernsehen, und eine ganze Reihe von meist liberalen und PiS-kritischen Radiosendern, was die UKW betrifft.

Was das Internet angeht, so gehört die größte Seite, Onet.pl, wie Newsweek Polska und Fakt zum deutsch-schweizerischen Medienkonzern Ringier Axel Springer.

Insgesamt dominieren in Polen also nicht die konservativen und/oder Pro-PiS-Medien, im Gegenteil, und nur wenige europäische Länder können sich eines solchen Medienpluralismus rühmen.

Deshalb debattieren die Menschen in Polen viel offener und vielleicht auch ein wenig heftiger als in vielen anderen europäischen Ländern über gesellschaftliche Themen wie Abtreibung, LGBT-Rechte und die Rechte von Kindern und Familien, Einwanderung, europäische Integration usw.

Ist es nicht eher das, was im Europaparlament die Verfechter eines gewissen „eingleisigen“ Denkens verärgert, die an eine fast ungeteilte Dominanz der progressistischen, europäistichen, pro-Immigrations-, pro-Abtreibungs- bzw. pro-LGBT-Medien in ihren jeweiligen Ländern gewöhnt sind?