Von Thibaud Cassel.
Slowenien – Infolge des Rücktritts von Ministerpräsident Miro Cerar am vergangenen 14. März finden vorgezogene Parlamentswahlen an diesem Sonntag 3. Juni in Slowenien statt. Das ist die Gelegenheit, um die möglichen Entwicklungen dieses Landes zu betrachten, das ein Nachbar der Visegrád-Gruppe (V4) ist, während eine präzedenzlose politische Umgestaltung die europäischen Länder durchzieht.
Das Kapitel Jugoslawien abschließen
Die politische Geschichte Sloweniens war lange Zeit ein Teil derjenigen der Republik Venedig bzw. des Österreichischen Kaiserreichs. Die balkanische Orientierung im vergangenen Jahrhundert bildete eine Ausnahme, genauso wie die marxistische ideologische Färbung des Landes eine Folge des antifaschistischen Widerstands während des Zweiten Weltkriegs war. Das Jugoslawien von Tito hat 45 Jahre lang eine allmächtige sozialistische Kaste unterhalten und bei der Unabhängigkeit von Belgrad im Jahr 1990 hat sich nichts verändert: die gleichen Eliten haben dann ihre Ideologie in die Sozialdemokratie bzw. den Sozialliberalismus wiederverwertet. Eine schüchterne Mitte konnte sich im Jahr 2000, zwischen 2004-2008 bzw. 2012-2013, sprich nur während 7 von 27 Jahren der postsozialistischen Ära, durchsetzen. Merken wir schließlich, dass diese „rechte“ Richtung bloß die Antithese der sozialistischen Fassade slowenischer Art war.
Slowenien gegenüber neuen Herausforderungen
Im Jahr 2004 der EU beigetreten ist Slowenien auch das erste postsozialistische Land, das, schon 2007, in die Eurozone aufgenommen wurde. Dieses Idyll wird kaum dauern. Die slowenische Wirtschaft wird von der Krise 2008 besonders kalt erwischt, da sie am deutschen Währungsstandard verankert ist. Die Exporte sinken dramatisch und eine Vormundschaft durch internationale Institutionen kann 2013 nur knapp vermieden werden.
Die Bewegungsfreiheit dieses Landes mit zwei Millionen Einwohnern ist äußerst begrenzt. Die Migrantenfrage wirkt dabei sehr aufschlußreich. Auf einmal sind die Ergebnisse der europäischen Politik deutlich sichtbar. Und auch diesmal wird der Wille von Brüssel mit einer kategorischen Ablehnung von immer mehr Staaten konfrontiert. Für viele Slowenen ist es somit an der Zeit gekommen zu verstehen, dass ihre politische Elite mehr verwaltet, als sie regiert, und dies in der gefügigsten Weise gegenüber Brüssel.
60.000 Migranten sind angeblich unterwegs über den Balkan nach Westeuropa. Zwischen Januar und April 2018 haben schon 1300 Menschen versucht, die Grenze illegal zu überqueren, sprich viermal mehr als in der gleichen Periode des Vorjahres. Seitdem Ungarn die Integrität des Schengenraums an seiner südlichen Grenze verteidigt, wurde die Balkanroute über Slowenien umgeleitet. Man versteht also, dass diese Thematik im Herzen des Wahlkampfs lag, der nun zu Ende geht.
Die Migrantenfrage, die Gesellschaftsagenden der libertären Lobbys und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten: das sind die drei Achsen der politischen Erneuerung in diesem Land, denen gegenüber die linke bzw. linksliberale alte Garde völlig mittellos erscheint.
Die Stunde der politischen Erneuerung ist gekommen, links wie rechts
Dies erklärt auch den voraussichtlichen Sieg der Slowenischen Demokratischen Partei (SDS), die um die 25 % in den Umfragen liegt, 16 Punkte vor der SMC des zurückgetretenen Ministerpräsidenten. Der SDS-Vorsitzende Janez Janša ist ein erfahrener Politiker, der 2004-2008 bzw. 2012-2013 die Regierung leitete. Er vertritt das Erstarken einer rechtsgerichteten Bewegung in diesem Land, die Viktor Orbán als einen Vordenker betrachtet. Freilich wird eine vom ungarischen Fidesz oder vom polnischen PiS inspirierte politische Neuorientierung den Würgegriff der „Postsozialisten“ auf den Staatsapparat, auf die Medien, auf die großen Unternehmen bzw. auf das Rathaus der Hauptstadt nicht gleich beseitigen können.
Es gibt übrigens auch eine ideologische Erneuerung auf der linken Seite, für die von der Partei Levica (die Linke) gesorgt wird, die 2014 mit 6% Stimmen auftauchte. Nahe zur deutschen Linke bzw. Siriza ist diese Partei sowohl gegen den deutschen Ordo-Liberalismus als auch für die Verteilungsquoten von Migranten und für die Gesellschaftsreformen (Homoehe usw.). Ihre Rolle in der Opposition ist es, die linke Regierung nach ganz links zu ziehen. Levica ist besonders in der kosmopolitischen Stadtjugend beliebt und die Umfragen sagen ihr um die 6% der Wählergunst voraus.
Auf der rechten Seite gibt es mehrere mit der Europäischen Volkspartei (EVP) verbundenen Parteien, die für ein Bündnis mit der SDS in Frage kommen, so u.a. die Partei Neues Slowenien (NSi) des Europaabgeordneten Alojz Peterle. Doch im ideologischen Nebel der EVP ist es wohl die von Viktor Orbáns Fidesz geprägte politische Linie, die begeistert. Sie ermöglicht endlich den Konservativen, sich einen ehrgeizigen politischen Inhalt zu geben, statt bloß als Opposition zur Linken dazustehen.
Deshalb hat auch Viktor Orbáns Besuch in Slowenien am 11. Mai so sehr die Geister geprägt. Der von ihrem ungarischen Nachbarn unterstützten SDS werden 25% der Stimmen vorausgesagt, die somit weit vorne vor den 12 anderen kandidierenden Parteien läge. Merken wir jedoch, dass Wahlen in Slowenien immer wieder durch eine starke Stimmenthaltung gekennzeichnet werden, was eine zusätzliche Unsicherheit mit sich bringt. Ferner wird die Regierungskoalition zweifelsohne eine etwas mäßigere politische Linie erzwingen. Doch ein erster Sieg ist schon da: es gibt eine konservative Partei in Slowenien, die weder eine Karikatur noch archaisch ist, und das ist ein neuer Stein für den Aufbau Mitteleuropas.