Von Modeste Schwartz
Rumänien – Die Mittel um die Zukunft im voraus zu kennen sind zu einem alten und wiederholten Gegenstand von Debatten über die jeweiligen Vorzüge des Kristallkugels, der Geisterbeschwörung bzw. der Tischgespräche eines Jacques Attali geworden. Bezüglich der politischen Lage in Mitteleuropa gibt es allerdings ein preiswerteres Mittel, das sogar kostenlos ist und jeden Tag mehr Anhänger sammelt, und zwar die Lektüre der Visegrád Post.
Vor fünf Monaten fast taggenau schrieben wir hier:
„Als Feigenblatt für diese Übernahme dient eine Nationale Antikorruptionsdirektion (Direcția Națională Anticorupție, DNA), die die klassischen Mechanismen der Justiz durch Prozeduren kurzschließt, die sich von der ‚Terrorbekämpfung‘ der westlichen Länder inspiriert […] Seitdem können ‚die Dienste‘ (wie man sie hier nennt) irgendjemand ohne Anordnung abhören, haben Zugriff auf alle Polizei- und Notariatsakten usw., während die DNA die Untersuchungshaft so leichtfertig praktiziert, dass sie sogar im Westen schon dafür hart kritisiert wird. In der Praxis kann man ohne Übertreibung sagen, dass der Habeas Corpus, nach einer kurzen Zwischenzeit von 15 Jahren, wo er nach 1990 angewandt wurde, in Rumänien wieder abgeschafft worden ist, fast genauso wie vor 1989.“
Diese Behauptungen – wie beinahe alles, was wir seit bald zwei Jahren über Rumänien schreiben – brachten uns das gewöhnliche Konzert von Verhöhnungen und Beschimpfungen seitens nicht nur (ohne Überraschung) einer Mainstream-Leserschaft, die daran gewöhnt ist, die Märchen und Horrorfilme von Guardian bzw. Libération über Mitteleuropa zu glauben und wiederzugeben, sondern auch manchmal von einer politisch etwas engagierteren Leserschaft, die zwar dem Visegrád-Projekt besser gesinnt ist aber die rumänischen Tatsachen umso dramatischer verkennt. Sogar in den Fachmedien und den öffentlichen Expertenquellen des Ungarns Viktor Orbáns hat der vorherrschende Narrativ bezüglich Rumäniens erst im Laufe des Winters 2017-2018 angefangen, vom westlichen Vorbild abzuweichen, sprich beinahe ein Jahr nach der Veröffentlichung unserer ersten Analysen.
Was liest man also in einem vom 22. August datierten Brief an den rumänischen Präsidenten, der von… Rudolph Giuliani, dem ehemaligen New Yorker Staatsanwalt und späteren Bürgermeister dieser Stadt, Parteibonze der Republikaner und Anwalt Trumps unterzeichnet wurde?
„Diese Anstrengungen [Rumäniens um den ‚Rechtsstaat‘ zu festigen‘] sind allerdings ernsthaft durch die Mißbräuche der rumänischen Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft (der ‚DNA‘) unter der Führung ihrer ehemaligen Leiterin Laura Codruța Kövesi untergraben worden: Mißbräuche, die u.a. die Einschüchterung von Richtern, Anwälten bzw. Zeugen, verfassungswidrige Telefonabhörmaßnahmen, erpreßte Geständnisse bzw. unfaire Prozesse einschließen.“
Es handelt sich selbstverständlich um einen offenen Brief, der von Klaus Johannis apriori nicht beantwortet wird bzw. höchstens in irgendeiner Form abschlägig beschieden wird, und in aller Wahrscheinlichkeit eine großangelegte feindliche PR-Operation gegen Klaus Johannis und dessen politische und institutionelle Verbündete (die rumänische „Rechte“ bzw. dieses „Binom“, von dem wir schon öfters gesprochen haben, u.a. hier und hier) darstellt.
Die Operation könnte wohl von Rumänien aus durch Adrian Sârbu, einem Pressemagnat und hochrangigen bzw. höchst talentierten Propagandisten, der einst mit amerikanischen Lobbys eng verbunden war und vor kurzem von der DNA Laura Codruța Kövesis brutal angegriffen wurde; es ist auf jeden Fall auf der Seite eines seiner Organe (Mediafax), dass der Faksimile des Briefes erstmals in Rumänien veröffentlicht wurde.
Nichtsdestotrotz wäre es jedoch ein Fehler, in dieser Affäre eine auf Sârbu, Giuliani bzw. das Tandem Johannis-Kövesi beschränkte Lobbyingoperation sehen zu wollen. Es scheint eher so, dass das gesamte System Trump nun – nach dem Vorbild von dessen ungarischem Verbündeten – nunmehr die Sache der gemäßigten Populisten der PSD-ALDE-Koalition unterstütze – die derzeit das Parlament und die Regierung in Bukarest beherrscht – und auf das Johannis-Lager bzw. auf das scharf schieße, was vom System Băsescu übriggeblieben ist, die anscheinend unter die direkte Kontrolle der Achse Brüssel-Berlin (vielleicht mit der interessierten Neutralität Russlands) gekommen sind.
Denn in der Tat, am Vortag vom 22. August (dem Datum auf dem Brief Giulianis), gab der PSD-Chef und Anführer der Regierungskoalition, Liviu Dragnea, auf dem regierungsnahen Fernsehsender Antena 3 erstmals seit dem Wahlsieg besagter Koalition Ende 2016 ein längeres Interview (mehr als anderthalb Stunden). Im Laufe jenes Interviews hat er die Lage des Landes
mit einem seit dem rumänischen Beitritt zu den euroatlantischen Strukturen beispiellosen Freimut erwähnt: indem er (ohne sie zu nennen) die internationalen Konzerne und (praktisch alle westliche) in Rumänien agierende Banken als Geldgeber und Kommanditisten der #rezist-Bewegung ausmachte, bezeichnete er die Nachhaltigkeit ihrer Steuerfluchtsysteme (u.a. durch Off-Shore-Gesellschaften) als die wirkliche Herausforderung des laufenden Streits in Bukarest. Der dritte Mann im rumänischen Staat wurde dagegen nicht wortkarg, als es sich darum handelte, die Vermittler zwischen dieser kolonialen Oligarchie und den naiven protestierenden Massen auszumachen – sprich das „Binom“ mit all dessen untergeordneten Strukturen, und zwar mit Worten, die man fast wortgleich am nächsten Tag im Briefe Giulianis wiederfand. Schließlich als Höhepunkt der Show enthüllte er, dass er wisse, dass ein Mordversuch gegen ihn vor kurzem vereitelt worden sei, dessen Auftraggeber „ein sehr bekannter Mann“ sei (apriori George Soros angesichts der Schlaffheit, mit der Liviu Dragnea anschließend die Fragen der Journalistin abwehrte, die versuchte, ihm den Namen des berühmten „Menschenfreunds“ zu entlocken).
Dieses Interview kann somit als ein (stilistisch vorsichtigeres, weniger lyrisches bzw. gewundeneres, in einem Wort: rumänischeres) Pendant der Rede vom 15. März Viktor Orbáns betrachtet werden, in der letzerer erklärte, dass er nicht gegen eine (in Ungarn beinahe nicht vorhandene, in Rumänien schwache) hypothetische interne Opposition, sondern gegen „die echte Opposition“ kämpfe, die für Orbán wie für Dragnea aus den einheimischen Hilfstruppen der Netzwerke des linken Globalismus besteht.
Es ist allerdings symptomatisch, das im Unterschied zu ihren ungarischen Kollegen, die rumänischen Populisten – in dem Moment, wo sie Farbe hätten bekennen sollen – sich gezwungen gefühlt haben, das Gewicht eines auf Englisch verfaßten Briefes hinzuzufügen – als Symptom des abergläubigen Respekt, den das (jedoch immer widersprüchlichere) Wort des Westens immer noch sehr oft auf die rumänischen Eliten ausübt. Aus sozial-wirtschaftlicher Sicht ist also nicht sicher, dass das rumänische Volk kurzfristig aus der derzeitigen großen Rochade als Gewinner herauskommen wird, denn es könnte durchaus (u.a. als Waffenkäufe) dem Amerika Trumps die wohlmeinenden Briefe Rudy Giulianis genauso teuer zahlen müssen, wie es bisher (u.a. durch die wilde Abholzung für Schweighofer Holzindustrie bzw. durch Erdgas, das aus dem rumänischen Boden gegen symbolische Gebühren gefördert und im europäischen Preis der Bevölkerung weiterverkauft wurde) dem germanischen Großkapital die Demokratiezeugnisse zahlen mußte, die einst großzügig dem Băsescu-Regime von einem noch vereinten Westen gewährt wurden.
Mittelfristig ist es hingegen für jeden rumänischen bzw. mitteleuropäischen Patrioten schwierig, sich nicht über die kontinuierliche politische Schwächung Klaus Johannis’ zu freuen – einer derart seltenen giftigen Persönlichkeit, wenn man z.B. bedenkt – um nur einen Fall unter hundert nennen zu wollen –, dass er derzeit die Verkündung des „Off-Shore-Gesetzes“ Dragneas verzögert, das wahrscheinlich der Gesetzestext sei, der in der Geschichte des rumänischen Parlaments am meisten geeignet ist, die größte fiskale bzw. soziale Bereicherung des Landes hervorzurufen. Allerdings werden die Aufrufe für die Amnestie der Verurteilten der DNA, die der Brief Giulianis beinhaltet, schon von vielen wie ein grünes Licht interpretiert, das dem derzeitigen Präsident des Senats C. P. Tăriceanu gegeben werde, welche Entscheidungen er gegebenenfalls als Interimspräsident im Falle einer Suspendierung Johannis’ durch das Parlament treffen müßte. Übrigens schreibt eine am 23. August veröffentlichte Umfrage, dessen Repräsentativität allein das Vertrauen ihrer Leser garantiere, schon mit 13% der Wählergunst der Bewegung Rumänien Zusammen (Mișcarea România Împreună) zu, die vor kaum zwei Monaten vom früheren Ministerpräsidenten – ehemaligen europäischen Kommissar und Idol der #rezist-Protestler – Dacian Cioloş gegründet wurde; die die PSD-feindliche Wählerschaft potentiell spaltet bzw. eine höchst riskante Erneuerung darstellt, die entweder dem Panikzustand der westlichen Unterstützer Klaus Johannis’ entsprechen kann, die nunmehr gezwungen sind, in ihm einen politischen Zombie zu sehen (bzw. sich wegen der Gefahr Sorgen machen, dass er in letzter Minute das Lager wechseln könnte, um seine Karriere zu retten, wie wir dies schon mal erwähnten), oder von verborgenen Manövern eben dieser regierungsnahen Lobby herrühren, die man hinter der „Operation Giuliani“ vermutet. In beiden Fällen scheint der Gegenangriff Dragneas erfolgreich zu sein und es ist wahrscheinlich ein PSD-ALDE-regiertes Rumänien, das 2019 (in jenem Jahr aller Gefahren für diese liberale globalistische Elite, deren Haut Viktor Orbán laut eigener Aussage haben will), den turnusmäßigen Vorsitz der EU übernehmen wird.
Langfristig kann man schließlich betrachten, dass den politisiertesten Schichten der rumänischen Bevölkerung gerade eine Lektion erteilt werde, die sie nicht so rasch vergessen werden. Die beinahe wortwörtliche Wiederverwendung durch Giuliani der (der #rezist-Bewegung bzw. den Boxenludern des Tandems Johannis-Kövesi lieben) Rhetorik des „Rechtsstaats“ im Rahmen einer PR-Operation zugunsten des PSD-ALDE-Regimes läßt den westlichen Zynismus und den rein instrumentalen Charakter der Idole des fortschrittlichen Pantheons („Rechtsstaat“, „Kampf gegen die Korruption“, „Menschenrechte“ usw.) am hellichten Tag erscheinen, denen so viele Rumänen noch Glauben schenken. Die Älteren werden allerdings Mühe haben, die förmliche Ähnlichkeit dieser immer wiederkehrenden Reinigungsrhetorik nicht zu bemerken, die einst als Deckmantel für die internen Rechnungsbegleichungen der Einheitsparteien des kommunistischen Blocks dienten. Wie überall sonst in der Welt hat der Westen immer mehr die gleiche Schwierigkeit, sein wahres Antlitz zu verbergen, wie einst der einheitliche Osten: der König ist nackt.
Übersetzt von Visegrád Post.