Von der Redaktion.
Ungarn – Am Sonntag, den 13. Oktober haben die Einwohner Ungarns ihre Bürgermeister bzw. Gemeinderäte und Komitatenräte gewählt. Während Viktor Orbáns Fidesz die Wahlen auf nationaler Ebene gewonnen hat, verliert er allerdings in der Hauptstadt. Eine Wende in Orbáns Regierungszeit?
Bittere Orange
Der Fidesz Viktor Orbáns kann sich damit brüsten, die Wahlen auf nationaler Ebene erneut gewonnen zu haben, auch wenn dieser Sieg für ihn etwas bitter schmeckt. Die Ungarn und die anderen ständigen Einwohner des Landes – sie sind ca. 140.000 – sind am Sonntag, den 13. Oktober in die Wahllokale gegangen, um ihre Bürgermeister und Komitatenräte bzw. in Budapest den Bürgermeister der Hauptstadt und die Bezirksvorsteher sowie die Bezirksräte zu wählen.
Auf Landesebene ist der Sieg des Fidesz unumstritten: die Partei des Populisten Viktor Orbán bewahrt ihre erdrückende Mehrheit in den Komitaten sowie in der Mehrheit der „Gemeinden mit Komitatsrecht“, sprich der größten Städte des Landes: 13 der 23 Städte mit Komitatsrecht haben eine Fidesz-Mehrheit gegen 20 um Jahr 2014.
Die kleineren Gemeinden sind auch die Hochburgen des Fidesz. Der Gegensatz zwischen Großstadt und ländlichem Gebiet stellt die Dichotomie zwischen Liberalen und Illiberalen deutlich heraus, genauso wie in allen anderen westlichen Ländern, wo die Unterschiedlichkeiten zwischen Liberalen und Illiberalen, Konservativen und Progressisten, Souveränisten und Europäisten, Lokalisten und Globalisten bzw. Stadt und Land sich immer deutlicher überlagern lassen.
Der Fidesz und Viktor Orbán bilden also keine Ausnahme in dieser Beziehung. Doch während die ländlichen Gebiete Ungarns geschlossen hinter der christlich-demokratischen Regierungspartei stehen, kehrt Budapest – nach einem neunjährigen Zwischenspiel in den Händen des ausscheidenden Bürgermeisters István Tarlós – in den Schoß der Liberalen zurück. Tarlós (71) hatte auf der ausdrücklichen Bitte Viktor Orbáns nochmals kandidiert und war sichtlich erleichtert, das Rathaus für weitere fünf Jahre nicht mehr leiten zu müssen.
Dies stellt allerdings einen harten Schlag für die Regierung dar, da Budapest in dessen Tourismusentwicklungsstrategie eine Schlüsselrolle zukommt und sich in dem Bereich seit 2010 in einer Weise entwickelt hat, die man seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr erlebt hatte. Die einvernehmliche Zusammenarbeit zwischen Regierung und Rathaus kommt somit möglicherweise zu einem Ende. „Wir sind zur Zusammenarbeit bereit,“ beruhigte der ungarische Ministerpräsident allerdings am Sonntag Abend, der das Ergebnis der ungarischen Linke begrüßt und die Vitalität der ungarischen Demokratie betont. Sehr früh nach der Ankündigung der Ergebnisse erklärt der Experte im Studio des öffentlichen Fernsehsenders M1, dass es keine Sabotage oder Rache seitens der Regierung gegen Budapest geben wird: man versteht, dass die Position Orbáns heikel ist und dass eine Art Kohabitation notwendigerweise wird stattfinden müssen.
„Weihnachten im Oktober“
Der von der Opposition am Anfang des Sommers im Rahmen von zum ersten Mal organisierten Vorwahlen gekürte linksgrüne Kandidat Gergely Karácsony – sein Familienname bedeutet Weihnachten auf Ungarisch – ist eine bekannte Persönlichkeit der ungarischen Politszene. Dieser 44 jährige Universitätsprofessor, Soziologe und Politologe machte sich einen Namen dank der kleinen Linkspartei „Dialog für Ungarn“ (Párbeszéd Magyarországért, PM), einem Juniorpartner der sozialliberalen Partei MSZP. Seit 2014 Bezirksvorsteher im 14. Bezirk von Budapest wurde er zum Spitzenkandidaten der MSZP-PM-Koalition, die 11,98% bei den Parlamentswahlen von April 2018 erreichte. Damals verzichtete er auf sein Parlamentsmandat, um Bezirksvorsteher zu bleiben und die gestrigen Gemeindewahlen vorzubereiten.
Während beinahe alle Oppositionsparteien ein großes Bündnis in Erwägung gezogen hatten, um den Fidesz 2018 zu besiegen, wie dies Péter Márki-Zay einige Zeit zuvor bei einer Nachwahl vorgemacht hatte, kam dieses Bündnis nicht zustande und der Fidesz erhielt zum dritten Mal in Folge eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
Die Opposition, die seit dieser Niederlage eine Krise durchmacht, hat zum Dialog zusammengefunden und konnte sich entsprechend organisieren, um eine gemeinsame Front in Budapest und zahlreichen Städten zu bilden, die auf den gemeinsamen „Antiorbánismus“ beruht und die eigenen Truppen mittels einer Rhetorik der Sezession und bewährten Methoden des sozialen Engineerings mobilisieren konnte, eine Taktik, die ihre Früchte brachte bzw. die Anstrengungen und Kalküle der Opposition mit dem Sieg in Budapest und sieben anderen Großstädten (von 23) belohnte.
Allerdings wird es für die vereinte Opposition eine echte Herausforderung sein, Budapest auch zu behalten. Wird sie nach den Wahlen weiterhin so vereint bleiben wie bisher? wird sie ihre Zusammenarbeit fortsetzen können, wenn keine Wahlen in Sicht sind? wird sie die bloße orbánfeindliche Rhetorik überwinden und sich in der Aktion auszeichnen können? was wird u.a. aus der Zusammenarbeit mit der Jobbik, die zu dieser Regenbogenkoalition gehört?
Das Ende eines unerträglichen Wahlkampfs
Die sukzessiven Erfolge Viktor Orbáns und die Niederlagen der Opposition, die seit 2010 der regelrechten Fidesz-Dampfwalze gegenüber regelrecht ohnmächtig war, haben die Opposition dazu gebracht, sich auf eine Sabotagetaktik statt auf eine Eroberung der Macht einzustellen. In dieser Hinsicht hat die regierungsfeindliche Presse – die trotz der Versuche Orbáns und seines Umfelds, ihre Medienbasis auszubauen, in Ungarn weiterhin dominant ist – ab 2015 – der Wendepunkt hierfür stellt die Krise der Balkanroute dar – angefangen, sich in einen aggressiven Antiorbánismus zu stürzen. Übrigens hat sich die Regierung an diesem Spiel bereitwillig beteiligt. Seit vier Jahren hat sich also die ungarische Innenpolitik um zwei verfeindete Lager kristallisiert, die in ihren jeweiligen Kampagnen immer heftiger werden.
In beiden Lagern wimmelten die Plakate, die einfach bloß den politischen Gegner verunglimpften; die Aktivisten beider Lager haben die Kundgebungen der Gegenpartei gestört. Karácsony wurde wegen dessen Misswirtschaft im 14. Bezirk und dessen Zuvorkommenheit der sog. „Parkhausmaffia“ gegenüber angegriffen, wie man die Privatfirmen bezeichnet, die mit Parkhäusern viel Geld gemacht haben. Dies führte heuer zu mehreren Skandalen, die offensichtlich im voraus vorbereitet wurden, um sie gezielt in den letzten Wochen des Wahlkampfs öffentlich zu machen: Tonaufnahmen bzw. Videos von beiden Seiten mit schmutzigen Einzelheiten: Drogen, Prostituierte, Korruption, Unterschlagung von öffentlichen Geldern, Bestechung usw.
Während die ersten veröffentlichten Aufnahmen gegen linke Persönlichkeiten (Wittinghof, Lackner) gerichtet waren – darunter eine Aufnahme Gergely Karácsonys, der seine sozialistischen Verbündeten heftig kritisierte, ihre Dieberei bzw. Untreue sowie seine Schwierigkeiten erkannte, damit umzugehen –, sorgte der Skandal um den Raaber Bürgermeister Zsolt Borkai – u.a. dank der ausländischen Medien – am meisten für Aufsehen. Ein anonymer Blogger – dessen Autor sich als ein Winkeladvokat vorstellte, der sich rächen
wolle – verbreitete Bilder und Videos des Bürgermeisters mit Prostituierten auf einem Schiff in Kroatien. Ferner wurden Anschuldigungen gegen ihn wegen Unterschlagung von öffentlichen Geldern und Bestechung ausgesprochen.
Diese chronologisch letzte Affäre diente der Opposition als Illustration ihrer Antikorruptionsrhetorik, die allerdings sehr schweigsam wird, sobald es von ihren eigenen Mitgliedern die Rede ist.
Das alles trug dazu bei, dass der Wahlkampf zu einem Krieg der Bilder statt zu einer Debatte über Projekte oder Weltanschauungen wurde. Der Fidesz versuchte dabei, die Karte der Einwanderung noch einmal zu spielen, indem er die linken Kandidaten bezichtigte, Migranten kommen lassen zu wollen, während das Hauptargument im Gegenlager war, „den Fidesz nicht gewinnen zu lassen“ bzw. „Orbán loszuwerden.“
Trotzdem wurde die Wahlbeteiligung ziemlich hoch, zumindest im Vergleich zu den früheren Urnengängen. 2006 hatten sich zwar 53,13% der Wahlberechtigten an den Wahlen beteiligt, doch 2010 und 2014 waren sie nur 46,64% bzw. 44,30% gewesen. Heuer haben 48,57% der Wahlberechtigten an den Wahlen teilgenommen.