Visegrád – Die Regierungschefs der Länder der Visegrád-Gruppe trafen sich gestern, am 30. Juni, im oberschlesischen Kattowitz zum letzten Gipfel der polnischen V4-Päsidentschaft. Die Übergabe von Polen an Ungarn, das ab heute die V4-Führung übernimmt, war auch eine Gelegenheit, um zu aktuellen Themen Stellung zu beziehen.
„Wir sind wieder Mitglieder der europäischen Familie geworden“
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki skizzierte eine Bilanz der polnischen V4-Präsidentschaft:
„Unsere Situation ist spezifisch, sie ist anders als in Westeuropa. Milan Kundera schrieb, dass unsere Region nach 1945 die schlimmste Situation hatte: Sie war immer Teil des Westens, aber nach 1945 wurde sie plötzlich Teil des Ostens. Dank der Visegrád-Gruppe, die vor 30 Jahren gegründet wurde, hörten wir also auf, Teil des Ostens zu sein […], wir wurden wieder Teil der europäischen Familie.
[…] Die Welt verändert sich rasant und wir müssen reagieren. Es sind keine perfekten Ehen, keine perfekten Allianzen, aber unsere Allianz hat überlebt. Der V4 wird jedes Jahr stärker. Wir beeinflussen die europäische Politik effektiv. Wir sind ein Schwergewicht in der Europäischen Union. […] Der Slogan der polnischen Ratspräsidentschaft – Back on track (Zurück auf Kurs) – spiegelte nicht nur die für diese zwölf Monate formulierten Ziele, sondern auch die Herausforderungen, die sich aus der beispiellosen Situation ergeben, in der sich die Welt befindet, treffend wider […]. Deshalb,
war es das Ziel der polnischen V4-Präsidentschaft, nicht nur den Zustand der Visegrád-Zusammenarbeit vor dem Ausbruch der Pandemie wiederherzustellen, sondern ihr – unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen Umstände, in denen wir uns befanden – auch eine neue Qualität zu verleihen.
[…] Ich freue mich, dass wir jedes Jahr stärker werden, dass wir die europäische Politik effektiv beeinflussen, dass wir uns näher kommen, dass wir uns besser verstehen und ich kann sagen, dass in Europa, in der Europäischen Union, die Visegrád-Fraktion ein Schwergewicht ist […]
Die polnische Ratspräsidentschaft hat gezeigt, dass sie die Kraft hat, in wichtigen Momenten zu vereinen, dass in schwierigen Momenten die Gruppe zusammensteht, dass wir als Team spielen und dass wir gemeinsam immer mehr erreichen können.
Eine positive Bewertung der polnischen Ratspräsidentschaft, die auch der ungarische Ministerpräsident ausdrücklich hervorhob: „Ich gratuliere Polen zu seinen Leistungen im vergangenen Jahr […] Die polnische V4-Präsidentschaft hat das schwierigste Jahr der letzten Jahrzehnte hinter sich. Polen hat jedoch alle Probleme effektiv gelöst.“
„Zu Gewinnern der globalen wirtschaftlichen Veränderungen werden“
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán nutzte die gemeinsame Pressekonferenz der V4-Regierungschefs, um einen kurzen Ausblick auf einige Ziele des ungarischen Ratsvorsitzes zu geben: „Der ungarische V4-Vorsitz wird die Bemühungen der Mitgliedsländer unterstützen, Gewinner der globalen wirtschaftlichen Veränderungen zu werden“ und „ihnen helfen, ihre Wirtschaft durch die Förderung von Investitionen neu zu starten. Da die Steuern niedrig bleiben müssen, um Investitionen anzuziehen, unterstützt Ungarn keine internationalen Initiativen zur Steuererhöhung.“
Gegen Migrantenquoten
„Ungarn unterstützt nicht die Zwangsumverteilung von Migranten […] Die Einwanderung stellt in der aktuellen gesundheitlichen Situation ein besonders hohes Risiko dar […] Wir werden in keiner Weise die Zwangsumsiedlung als Teil der Umverteilung von Migration unterstützen“,
fuhr er fort und erinnerte daran, dass „Ungarn für die schnellstmögliche europäische Integration der Länder des westlichen Balkans eintritt“. Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš teilte diese Position: „Wir haben die Migrationsstrategie im Detail diskutiert. Dies ist ein Teil der Zukunft Europas. Dazu gehören die Schengen- und die Westbalkan-Strategie“, sagte er und begrüßte „die Tatsache, dass Slowenien die Präsidentschaft der Europäischen Union übernimmt. Dies ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Ansichten, die wir teilen, darzulegen“.
Die Visegrád-Gruppe, die 17. größte Volkswirtschaft der Welt
Unter Bezugnahme auf die Errungenschaften der Visegrád-Gruppe erinnerte Orbán auch daran, dass
„würden die V4-Länder heute als eine Einheit betrachtet, wären sie die 17. größte Volkswirtschaft der Welt, mit einem Wirtschaftswachstum, das doppelt so hoch ist wie das der Europäischen Union, und einer öffentlichen Verschuldung, die nur 4% derjenigen der EU entspricht.“
In diesem Zusammenhang ist die „Überwindung des Rückstands der Region bei der Infrastrukturentwicklung eine Priorität. Der Bau von Nord-Süd-Verbindungen ist nunmehr für die V4-Länder lebenswichtig geworden.“
Die mitteleuropäischen Länder fordern Respekt
Bezüglich der Beziehungen zwischen der Visegrád-Gruppe und dem Rest der Europäischen Union wies der ungarische Regierungschef darauf hin, dass
„Mitteleuropa ein erhebliches wirtschaftliches Gewicht in der Europäischen Union repräsentiert, [der die V4-Länder] als Vollmitglieder angehören […] und wesentlich zu ihrer Gesamtleistung beitragen […] Daher fordern sie Respekt.“
Zu diesem Thema sagte sein slowakischer Amtskollege Eduard Heger, dass „die Diskussion über die Zukunft Europas sehr wichtig ist und die Visegrád-Gruppe eine wichtige Rolle in dieser Diskussion spielen wird.“
In Bezug auf die von westlichen Politikern geschürten Kontroverse um das Anti-Pädophilen-Gesetz betonte Viktor Orbán, dass „die Ungarn niemals akzeptieren werden, dass andere Mitglieder der Europäischen Union ihnen sagen, wie sie ihre Kinder erziehen sollen.
Sie werden auch nicht akzeptieren, dass jemand sagt, dass eine mitteleuropäische Nation in die Knie gezwungen werden soll.“