Skip to content Skip to sidebar Skip to footer

Einwanderung: Merkel gibt der Visegrád-Gruppe Recht

Lesezeit: 4 Minuten

Pressburg, Slowakei – Am Donnerstag 7. Februar versammelten sich die Regierungschefs der Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) für einen Gipfel in Pressburg, und zwar mit einem prominenten Gast : die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und was die Migrationsfrage anbelangt, scheint die V4 in der Konfrontation mit Berlin gewonnen zu haben.

Deutschland gibt sich in der Migrationsfrage geschlagen

Die Regierungschefs der V4 und Deutschlands haben sich in der slowakischen Hauptstadt Pressburg (Bratislava) getroffen, die heuer den turnusmäßigen Vorsitz der Visegrád-Gruppe (V4) innehat. Seit der Rückkehr der V4 auf die internationale Bühne im Jahr 2015 wegen der Migrantenkrise entlang der Balkanroute kam es zu einer beinahe ständigen Konfrontation zwischen den vier mitteleuropäischen – einwanderungsfeindlichen – Ländern der V4 und der deutschen – einwanderungsfördernden – Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die Feindseligkeiten waren vom ungarischen christlich-demokratischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán eröffnet worden, der vor dem unkontrollierbaren und massiven Andrang illegaler Einwanderer entschieden hatte, seine Südgrenze mit Serbien mittels eines bewachten Zauns abzusichern, indem er die Richtlinien des Schengener Abkommens durchführte, obwohl die Berliner und Brüsseler Behörden sich vehement gegen diese Maßnahme ausgesprochen hatten. Seit dem Sommer 2015 wurde die Balkanroute im großen und ganzen dank Ungarn, der Visegrád-Gruppe und später auch Österreich zerschlagen.

Mitte September 2016 hatte Angela Merkel – schon in Pressburg – eine erste Niederlage in der Konfrontation über die Migrationsfrage einräumen müssen, indem sie verlauten ließ, dass sie auf die Pflichtquoten von illegalen Einwanderern und Asylwerbern für die EU-Länder verzichtete – eine Maßnahme, die die migrationsfördernden EU-Länder zwar wollten, allerdings von der V4 vehement abgelehnt wurde. Zweieinhalb Jahre später – noch einmal in Pressburg – geht die Bundeskanzlerin noch weiter: „Wir brauchen und wollen den Schengenraum, dazu haben wir uns klar bekannt. Das bedeutet aber auch den Schutz der Außengrenzen und dass wir eine legale Migration brauchen…“ Eine sehr bedeutende Entwicklung gegenüber ihren Positionen aus dem Jahr 2015, als sie mit ihrer Äußerung „Wir schaffen das!“ – über die Aufnahme und Verwaltung innerhalb einiger Monate von Millionen illegaler Einwanderer aus Afrika bzw. dem Nahen und Mittleren Osten – einen regelrechten Saugeffekt erzeugte.

Last but not least haben Deutschland und die V4 sich darauf geeinigt, ein gemeinsames Programm in den kommenden Monaten in Marokko zu initiieren, um die Einwanderung nach Europa einzudämmen, so der slowakische Ministerpräsident Peter Pellegrini, der dabei erklärte, dass die Einzelheiten dieses Programms später vorgestellt werden sollen. Die Bundeskanzlerin fügte hinzu, dass man, um der Einwanderung Herr zu werden, notwendigerweise gute Beziehungen mit den Nachbarn Europas, darunter Marokko, pflegen müsse.

Brexit, Europawahlen: Mitteleuropa als echter „Motor Europas“

Ein paar Wochen vor den Europawahlen vom 26. Mai 2019 haben die Regierungschefs der V4 ebenfalls ihre einstimmige Position der Bundeskanzlerin vorstellen wollen: die wichtigen Fragen über die Zukunft der EU müssen nach den Wahlen besprochen werden. Der Ausgang dieser Wahlen ist noch ungewiss, aber „eins ist sicher, die Europäische Union wird nicht mehr die gleiche sein,“ so der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán.

Abgesehen vom Thema Migration wurde vor allem vom Brexit gesprochen, der im März vollzogen werden soll und den mitteleuropäischen Ländern Sorgen bereitet, deren viele Bürger in Großbritannien leben und arbeiten. Hier hat sich die Kanzlerin zuversichtlich gegeben. Frau Merkel meint, dass der „geregelte Austritt Großbritanniens aus der EU für beide Seiten einen Vorteil“ darstelle.

Es wurde auch über den europäischen Haushalt für die Periode 2021-2027 gesprochen. Diesbezüglich erinnerte Viktor Orbán daran, dass „80% der Gelder, die dadurch nach Ungarn kommen, in die Länder zurückkehren, woher sie kommen,“ und dass „die Unternehmen aller europäischen Länder übrigens an den Ausschreibungen teilnehmen können“.

Die Ministerpräsidenten der V4 wiesen gegenüber der Kanzlerin darauf hin, dass die V4 ein wichtiger Partner für Deutschland ist. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte somit, dass „die Länder der V4 der wichtigste Handelspartner Deutschlands darstellen, der sogar z.B. wichtiger [sei] als Frankreich, die USA oder China“. Dagegen meinte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, dass Deutschland und die Visegrád-Gruppe gemeinsam den echten „harten Kern Europas“ bilden, da dieser „harte Kern aus Ländern besteht, die sich durch ihre Ergebnisse abheben. Betrachtet man die Staatsschulden, den Haushaltsdefizit, die Exporte, die Arbeitslosenquote, den Banksystem und die Strukturreformen, dann bilden [die V4 und Deutschland] den harten Kern Europas und sind die Motoren des europäischen Wachstums“.

Ukraine

Die Frage der Ukraine stand auch auf der Tagesordnung. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach über das deutsch-russische Ferngasleitungsprojekt Nord Stream und betonte, dass, gemäß Deutschland, die Ukraine ein Transitland bleiben solle. Die V4 stellen ihrerseits das Projekt in Frage und wünschen sich eine stabile und wohlhabende Ukraine – bis auf Tschechien sind drei der V4-Länder direkte Nachbarn der Ukraine. Die Abhängigkeit der V4 vom russischen Gas ist auch ein wichtiges Thema für die Regierenden in der Region. Die Nord-Süd-Infrastrukturprojekte zwischen den LNG-Terminals in Kroatien und Polen, die es u.a. ermöglichen, Flüssiggas aus den USA zu importieren, schließen Deutschland nicht ein; gleichzeitig involviert der Nord Stream weder das Baltikum noch Polen, was seit Jahren Spannungen beim Thema Energie verursacht, auch wenn die V4-Länder und Deutschland sich darüber einig sind, dass man die Versorgungsquellen prinzipiell diversifizieren solle.

„Wir wollen nicht von Russland abhängig sein, aber Russland ist für uns schon seit dem Kalten Krieg eine Erdgasquelle gewesen,“ erklärte Bundeskanzlerin Merkel und fügte hinzu, dass dies sich kaum ändern würde.

Die Frage der Annäherung der Ukraine an die NATO wurde ebenfalls erörtert. Viktor Orbán, dessen Regierung das ukrainische Vorhaben infolge des Konflikts um die Reform des Unterrichtswesens blockierte, die die Rechte der ungarischen Minderheit in Subkarpatien bedrohe, erklärte, dass er dieses Thema in allen Einzelheiten nächste Woche mit dem US-Staatssekretär in Budapest besprechen werde. „Die Position Ungarns stellt Probleme in der Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der NATO dar […] Aber es gibt in Ungarn eine pro-ukrainische Regierung, während es in der Ukraine eine ungarnfeindliche Regierung gibt, und daraus kommt diese Situation.“

Das Ende des Kommunismus: schon 30 Jahre ist es her

Der Gipfel wurde ebenfalls für alle fünf Regierungschefs zum Anlass, um eine gemeinsame Erklärung in Erinnerung an das Ende des Kommunismus vor dreißig Jahren zu unterzeichnen. „Die wesentlichen Veränderungen aus dem Jahr 1989 haben Freiheit und Entwicklung in unsere Länder gebracht und uns ermöglicht, dem europäischen Integrationsprozess beizutragen,“ so der Gastgeber, der slowakische Ministerpräsident Peter Pellegrini. Die Unterzeichneten erklärten, ein „starkes, geeintes und wettbewerbsfähiges Europa“ zu wollen.

Die Regierungschefs Deutschlands und Mitteleuropas am 7. Februar 2019 in Pressburg. Von links nach rechts: Viktor Orbán (H), Angela Merkel (D), Peter Pellegrini (SK), Andrej Babiš (CZ) und Mateusz Morawiecki (PL). Bild: Offizieller Facebook-Auftritt von Andrej Babiš.