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Offensive ungarische Kampagne für die Europawahlen

Lesezeit: 7 Minuten

Von der Redaktion.

Eine neue Kampagne der ungarischen Regierung gegen Soros und Juncker, steigender Unmut innerhalb der EVP und Gemeindewahlen im Visier.

Als sie drei Monate vor den Europawahlen ihre neue Plakatkampagne gegen George Soros vorstellte, die ebenfalls den derzeitigen Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker ins Visier nimmt, hat die von Viktor Orbán geführte ungarische Regierung keine Angst davor gehabt, Brüssel bzw. ihre Partner innerhalb der EVP, der der Fidesz immer noch angehört, zu kränken.

„Soros – Juncker; auch Sie dürfen wissen, worauf Brüssel sich vorbereitet! Sie wollen pflichtige Migrantenquoten durchsetzen. Sie wollen die Grenzschutzfähigkeiten der Mitgliedstaaten schwächen. Sie wollen mit der Einrichtung von Migrantenvisen die Einwanderung erleichtern.“ Budapest, Februar 2019. Bild: Visegrád Post.

Der Bruch zwischen Viktor Orbán und Jean-Claude Juncker ist nicht neu. Man erinnere sich an die „freundliche“ Ohrfeige von Juncker an Orbán anlässlich eines EU-Gipfels 2015, eine äußerst taktlose Geste (sei es auch nach einem feuchtfröhlichem Essen) in diesem Niveau der politischen Verantwortung.

Als feiner Stratege, der seine Kräfte und die Grenzen seiner Macht kennt, ist Orbán daran gewöhnt, Zugeständnisse zu machen um besser zurückschlagen zu können, und zwar sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene.

Im Juli 2018 hatte der ungarische Ministerpräsident es schon nicht geheim gehalten, dass er sich darüber freue, dass das Mandat Junckers in der Europäischen Kommission zu Ende komme: „Die europäische Elite hat versagt, und das Symbol dieses Versagens ist die Europäische Kommission. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass die Tage der Europäischen Kommission gezählt sind. Ich selbst habe sie auch gezählt, sie haben noch etwa dreihundert Tage und dann läuft ihr Mandat ab.

Anlässlich des Votums über den Sargentini-Bericht (der die Lage der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn kritisiert) im September 2018 ist die Fraktur zwischen EVP und Fidesz schon deutlich zum Vorschein gekommen. Was die Mandatare der EVP-Fraktion anbelangt, so verteilten sich die abgegebenen Stimmen wie folgt:

  • 114 Stimmen für den Bericht,
  • 57 Stimmen dagegen (darunter die 12 Fidesz-Mandatare),
  • 28 Enthaltungen und
  • 20 abwesende Mandatare.

Unter den 114 EVP-Abgeordneten, die den Sargentini-Bericht unterstützten, findet man den Ende 2018 von der EVP (mit Unterstützung des Fidesz) zum Kandidat als Nachfolger Junckers designierten CSUler Manfred Weber. Nach dieser Abstimmung hatte Jean-Claude Juncker erklärt, dass er die Anwesenheit des Fidesz innerhalb der EVP als problematisch betrachte.

Weitere EVP-Persönlichkeiten, die bisher mit dem Fidesz kompromissbereit waren, könnten sich nun allerdings gegen ihn wenden. Bis jetzt neigte der EVP-Vorsitzende Joseph Daul eher dazu, Orbán und dessen Partei zu verteidigen. Zum ersten Mal hat nun Daul öffentlich Orbán und seine Plakatkampagne gegen Juncker auf Twitter kritisiert:

„Ich verurteile kräftigst die von der ungarischen Regierung im Vorfeld der Europawahlen 2019 gestartete Kampagne und die Diffamierung gegen den Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker. Die Behauptungen dieser Kampagne sind irreführend, trügerisch und beruhen nicht auf die Fakten.

Ich prangere kräftigst die Angriffe und grundlosen Verschwörungen Ungarns gegen Präsident Juncker an, der ein aufrechter Christdemokrat und ein wirklicher europäischer Anführer ist, der für die Einheit, für die Solidarität und den Wohlstand Europas gekämpft hat, von denen die gesamte EU, einschließlich Ungarn, in hohem Maße profitiert hat.

Ich möchte Ministerpräsident Orbán daran erinnern, dass die in Brüssel getroffenen Entscheidungen, einschließlich bezüglich Migration, gemeinsam von den EU-Regierungen und dem Europaparlament getroffen werden, in denen Vertreter Ungarns anwesend sind. Statt Brüssel wie einen gepensterhaften Feind darzustellen, sollte Ungarn seinen Teil der Arbeit leisten.“

Weitere EVP-Persönlichkeiten haben sich von dieser neuen ungarischen Kampagne distanziert. Ohne Überraschung gehört der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz dazu, dessen Mandatare für den Sargentini-Bericht gestimmt haben. Trotz der populistischen Rhetorik, die ihn an die Macht gebracht hat, bleibt der junge österreichische Bundeskanzler in der Tat mit dem Netzwerk des ungarischstämmigen amerikanischen Milliardärs und Spekulanten George Soros sehr verbunden, den er übrigens vor kurzem empfangen hat, um die Übersiedlung eines Teils seiner Universität von Budapest nach Wien zu erörtern. Ferner hatte Kurz nicht gezögert, FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus zurechtzuweisen, wenn dieser Soros kritisiert hatte.

Eine weitere Kritik kam vom möglichen Nachfolger Jean-Claude Junckers: Manfred Weber erklärte, dass der Fidesz mit seinen 13 Mandataren nicht über die Zukunft Europas entscheiden werde. Während diese kalte Rückkehr in die Realität gnadenlos erscheinen kann, merke man, dass der Fidesz 12 Abgeordnete hat bzw dass das kommende Europaparlament wegen des Brexits nicht mehr aus 750 sondern 705 Abgeordneten bestehen wird.

Insbesondere wird das voraussichtliche Schwächerwerden der EVP- und SPE-Fraktionen zu einer Stärkung des relativen Gewichts des Fidesz innerhalb der EVP führen. Wenn man den aktuellen Umfragen Glauben schenkt, so soll der Fidesz mehr Mandate erhalten als die französischen Republikaner, was angesichts der Demographie (sprich auch der Gesamtanzahl an Europaabgeordneten) beider Länder Bände über das Gewicht und die Stabilität des Fidesz in Ungarn spricht, während etliche Mitgliedsstaaten der EU politisch instabil geworden sind.

Kann die künftig schwächere EVP auf den Fidesz und dessen Verbündete verzichten? Die Visegrád Post hatte diese Frage in einer Studie über die künftige Zusammensetzung der Fraktionen im Europaparlament schon aufgeworfen.

Wie lange wird aber diese Situation sich angesichts des Unmuts von immer mehr EVP-Mitgliedern bezüglich der Anwesenheit des Fidesz fortsetzen können?

Eins scheint sicher zu bleiben: der Fidesz wird von sich aus die EVP nicht verlassen, die ihn demnach zum Märtyrer machen muss, wenn sie sich dafür entscheiden sollte, ihn auszuschließen. Die nächsten Wochen zeichnen sich daher in der EVP gespannt ab.

Das andere Ziel der Kampagne: Péter Márki-Zay und die Gemeindewahlen vom Oktober 2019

Links ein Péter Márki-Zay zugeschriebenes Zitat: „Brüssel hätte die Vorschläge Sorosʼ befolgen sollen“; rechts ein George Soros zugeschriebenes Zitat: „Ich sehe mich wie eine Art Gott“.

Soros und Juncker sind nicht die einzigen Ziele dieser neuen Plakatkampagne. Parallel dazu startete der Fidesz ebenfalls eine ähnliche Kampagne gegen den Bürgermeister von Neumarkt an der Theiß (Hódmezővásárhely) einer Stadt mit 45.000 Einwohnern im Südosten von Ungarn.

Wie soll man das erklären? Dass der Fidesz bei den Europawahlen von Mai 2019 den ersten Platz erringen wird, steht außer Frage. Doch geht es nicht nur darum, möglichst viele Mandatare in Straßburg zu bekommen, um auf der europäischen Szene ins Gewicht zu fallen, sondern auch um die Kräfte auf nationaler Ebene im Hinblick auf die Gemeindewahlen von Oktober 2919 zu messen.

Um seine Vorherrschaft in den Gemeinden und Komitaten zu behalten liegt es im Interesse des Fidesz, einen großen Coup bei den Europawahlen zu landen, wo aufgrund der gewöhnlich niedrigen Wahlbeteiligung die Aufgabe für die Parteien darin besteht, ihre Wählerschaft besser zu mobilisieren als ihre Gegner. Und das könnte dem Fidesz ermöglichen, die bei den Parlamentswahlen von April 2018 erreichten 49% zu sprengen.

Die Kommunalwahlen werden eine gute Angelegenheit für die Oppositionsparteien darstellen, um das zu verwirklichen, was sie bei den Parlamentswahlen von April 2018 nicht geschafft haben: eine möglichst breite Koalition von der liberalen Linken (MSZP, DK, Párbeszéd) bis zum Jobbik (früher rechtsradikal, inzwischen rechtsliberal und pro-EU).

Diese im Februar 2018 bei einer Gemeindewahl in Neumarkt an der Theiß (Hódmezővásárhely – 45.000 Ew.) eingeweihte Strategie hatte die Wahl von Péter Márki-Zay ermöglicht, einem unabhängigen Kandidaten, der von allen Oppositionsparteien gegen den Fidesz-Kandidaten unterstützt wurde.

Márki-Zay, der zur Galionsfigur eines gewissen alternativen Konservativismus der Linie Orbáns gegenüber geworden ist, hatte sich für eine Regierung von Technokraten ausgesprochen, um das Erbe Orbáns abzubauen und Ungarn an die EU anzupassen. Dann hatte er eine Strategie des gegenseitigen Rücktritts der Oppositionsparteien in den Wahlkreisen für die Parlamentswahlen empfohlen, um den Fidesz zu besiegen – ohne Erfolg. Für die kommenden Gemeindewahlen wird vielleicht die Zeit reifer sein, damit die Oppositionsparteien das „Neumarkter Modell“ in möglichst vielen Gemeinden in Ungarn ausprobieren.

Die Nr. 2 der Jobbik, Márton Gyöngyösi, erklärte in einem Interview, dass wenn die Bildung einer gemeinsamen Oppositionsliste bei den Europawahlen aufgrund des Verhältniswahlrechts nicht in Betracht gezogen werde, die Koordination der Oppositionsparteien um unabhängige Kandidaten bei den Gemeindewahlen durchaus sinnvoll sei.

Die Koordination der Oppositionsparteien (liberale Linke und Jobbik) hat sich seit den Parlamentswahlen beträchtlich intensiviert, u.a. bei den Demonstrationen gegen ein Gesetz, das die Erhöhung der Höchstzahl an Überstunden ermöglichen soll, die in einzelnen Sektoren von den Arbeitnehmern gefordert werden dürfen.

Dies erklärt die von den Fidesz-nahen konservativen Medien gegen die liberale Linke und ihre Zusammenarbeit mit dem Jobbik geführte Offensive, indem sie an die umstrittene Positionierung der ehemals rechten Partei erinnern.

Die schwerwiegendste Wahl wird auf jeden Fall diejenige in Budapest sein. Nach zwanzig Jahren liberaler Herrschaft unter Gábor Demszky (SZDSZ) gelang es endlich 2010 dem Fidesz, die Stadt mit István Tarlós zu erobern, der nun als Fidesz-Spitzenkandidat für ein drittes Mandat in Folge antreten wird.

Während ein Teil der Linken interne Vorwahlen eingeleitet hat, könnten die grüne Partei LMP und der Jobbik sich auf eine gemeinsame unabhängige Kandidatur mit dem umstrittenen polemischen Journalisten Róbert Puszér einigen bzw. versuchen, weitere Rücktritte zu erreichen, um eine gemeinsame Front gegen den Fidesz-Kandidaten zu bilden. Róbert Puszér meinte, dass außer István Tarlós und ihm es keinen Kandidaten gebe, der in Budapest gewinnen könne, und wischte somit die Kandidatur von Gergely Karácsony vom Tisch, der die linken Kräfte vereinen wollte.

Orbán der Angreifer

Auf jeden Fall versprechen diese europäischen und kommunalen Wahlen heuer etwas Schwung in das ungarische politische Leben zu bringen.

Treu seiner Leidenschaft für Fussball und seinem Angreifergeist wird Viktor Orbán vermutlich diverse Offensiven auf nationaler wie auf europäischer Ebene führen. Diese offensive Strategie des Fidesz von Viktor Orbán hat in der Vergangenheit auf nationaler Ebene gefruchtet. Sie überrascht nunmehr die Westeuropäer, die daran gewöhnt sind, etwas zahmere Wahlkämpfe zu erleben. Die offensive und unzimperliche Strategie wird bevorzugt, um möglichst rasch die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen, ohne manche Konsequenzen in Betracht zu ziehen, die von einem schmerzlichen Brexit, von einer Wirtschaftskrise, wie die Direktoren der Zentralbanken sie befürchten, bzw. von einer neuen Migrantenkrise weggefegt werden könnten. Indem er den Ton der Debatte angibt, bleibt Orbán am Ball und befindet sich somit immer im Vorsprung seinen Gegnern gegenüber.

Es bleibt abzuwarten, bis wohin diese Strategie, die dem Regierungschef eines bescheidenen Landes von 10 Millionen Einwohnern erlaubt hat, eine Galionsfigur der europäischen (und internationalen) Politik zu werden, nun Orbán hinführen wird. Die ungarischen Wähler werden einen Teil der Antwort auf diese Frage bringen.